Ein Glaubenskrieg tobt derzeit um die Zukunft der individuellen Mobilität. Ziemlich sicher ist, dass wir sie elektrisch bestreiten. Aber speist sich der E-Motor in unseren Autos mit Strom aus einem Akku? Oder wird Wasserstoff (H2) mittels Brennstoffzelle im Auto umgewandelt, um es ebenfalls elektrisch anzutreiben? Während die Zahl der Ladesäulen für Elektroautos europaweit massiv steigt, hat in St. Gallen diesen Sommer die nach Hunzenschwil AG erst zweite öffentliche Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz eröffnet. Noch in diesem Jahr sollen aber fünf weitere Stationen folgen und die Ost-West-Achse Genfersee-Ostschweiz erschliessen (Karte S. 53). Doch die Frage bleibt: Ist der Aufbau eines H2-Netzes überhaupt erfolgversprechend?
Rolf Huber, 55, CEO des Unternehmens H2 Energy, sowie Jörg Ackermann, 62, Präsident des Fördervereins H2 Mobilität, sind nicht nur überzeugt vom Erfolg des Wasserstoffs, sie sagen auch klipp und klar: «Ohne Wasserstoff ist die Energiewende gar nicht möglich.» Warum die Schweiz als Pioniermarkt für den Wasserstoff geradezu prädestiniert ist, wie der Fahrplan für die Umsetzung aussieht und warum sie nichts von staatlicher Förderung halten, erklären Huber und Ackermann im Interview.
Bereits 2016 hat in Hunzenschwil die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz eröffnet. Es sollte der Startschuss für ein flächendeckendes H2-Netz sein. Warum hat es doch vier Jahre gedauert, bis Tankstelle Nummer 2 eröffnet hat?
Rolf Huber: Das lag sicher nicht an unserem mangelnden Willen. Uns war aber wichtig, ein kommerzielles Geschäftsmodell zu finden, das den Aufbau einer Tankstellen-Infrastruktur sicherstellt. So sind wir auf die Idee einer Lkw-Flotte gekommen. Dafür mussten wir Partner finden, die solche Wasserstoff-Trucks für unsere Bedürfnisse entwickeln können. Mit dem Hyundai Xcient steht ein solches Nutzfahrzeug nun bereit.
Warum denn Last- statt zuerst einmal mehr Personenwagen mit Brennstoffzelle?
Jörg Ackermann: Lkw sind der eigentliche Schlüssel zum Aufbau eines H2-Tankstellen-Netzes. Momentan haben wir zwölf Trucks in der Schweiz, die für unsere Partner im Förderverein aufbereitet werden. Bis Ende Jahr soll die Flotte auf 50 Fahrzeuge wachsen, bis 2025 gar auf 1600 Fahrzeuge – das ist unsere grobe Zielvorgabe. Mit diesen Lkw sorgen wir für eine konstante, planbare Grundauslastung. Wir sehen dann, wie viel Wasserstoff wir für den Betrieb tatsächlich brauchen und somit, welches Tankstellen-Netz möglich ist.
Sollen die Tankstellen auch die wasserstoffbetriebenen Autos fördern?
Ackermann: Auf lange Sicht ist es sogar das Ziel, das H2-Netz für Pw aufzubauen. Das sehen Sie auch an den Zapfsäulen, welche auf 350 bar für Lkw und 700 bar für Pw ausgelegt sind. Wenn Kunden ein Wasserstoff-Auto kaufen, können sie es also betanken.
Huber: Sämtliche Tankstellen-Partner rechnen damit, dass die Pw in einigen Jahren aufholen. Wenn es erst einmal genügend auf unseren Strassen gibt, werden die Lkw dann in den Betriebszentralen betankt und müssen nicht mehr extra zu einer H2-Tankstelle fahren.
«Die Schweiz eignet sich hervorragend als Pionierland für Wasserstoff.»
Rolf Huber
Wie teuer ist ein solcher Wasserstoff-Truck in der Anschaffung und im Betrieb, verglichen mit einem Diesel-Lkw?
Ackermann: Den Hyundai Xcient kann man nicht kaufen im Sinne einer Investition. Es handelt sich um ein Pay-per-Use-Modell: Hyundai stellt den Lkw zur Verfügung, und die Betreiber zahlen pro Kilometer eine Gebühr, in der alles – vom Treibstoff über Unterhalt bis Versicherung – eingeschlossen ist. Im Anhängerbetrieb mit grosser Laufleistung von 80 000 Kilometer im Jahr und unter Anrechnung der Schwerverkehrsabgabe, die bei den Trucks aufgrund des Elektro-Antriebs entfällt, sind die Kosten nicht viel höher als bei einem Diesel.
Sie sagen, die Schweiz sei das Land mit der ersten kommerziellen Nutzung einer H2-LKW-Flotte weltweit. Ist die Schweiz als Pioniermarkt nicht etwas klein?
Huber: Das Ziel von H2 Energy ist es natürlich nicht, bis in alle Ewigkeit ausschliesslich den Schweizer Markt zu bedienen. Doch als Pionierland eignet sich die Schweiz hervorragend, denn wenn Sie einen so grossen Schritt wagen, müssen Sie ja immer auch davon ausgehen, dass Fehler passieren. Und Verbesserungen lassen sich in einem kleinen, überschaubaren Rahmen viel einfacher vornehmen als auf einem grossen.
Ackermann: Zudem haben wir in der Schweiz ganz besondere kulturelle Voraussetzungen. Im Förderverein können wir uns auch mit Mitbewerbern an einen Tisch setzen und eng zusammenarbeiten, was in anderen Ländern in dieser Form nicht möglich wäre. Und wir haben auch keine wirtschaftspolitischen Interessen, weil wir ja – leider, muss man sagen – keine Industrie haben, die solche Lkw herstellt. Nicht zu vergessen ist die Topografie der Schweiz, mit all den Höhenunterschieden und klimatischen Bedingungen. Bekommt man die Fahrzeuge hier in den Griff, gibt es kaum einen Ort, wo man es nicht schaffen kann.
Huber: Viele sagen manchmal: Hier in der Schweiz fängt doch der Klimaschutz nicht an, wir stossen sowieso kaum CO2 aus im Vergleich zum Rest der Welt. Und jetzt haben wir ein Projekt, das weltweit führend ist, und alle schauen auf uns und sehen, dass es machbar ist. Das zeigt, dass die Schweiz eben doch Wirkung erzielen kann, auch ganz ohne Autoindustrie.
Was stempelt Wasserstoff zur Zukunftslösung?
Huber: Sein grösster Vorteil ist die Vernetzung zum Energiemarkt. Heutige fossile Energie nehmen wir aus dem Boden – dort ist sie seit Millionen Jahren in Form von Öl, Kohle oder Gas gespeichert. Das ist die alte Welt. In der neuen, unserer Welt ist es komplizierter: Das Potenzial zum Herstellen von erneuerbarer Energie etwa mit Wasserkraftwerken oder Fotovoltaikanlagen ist riesig – der Bau solcher Produktionsanlagen findet aber nur statt, wenn wir diese Energie auch speichern und transportieren können – dafür ist Wasserstoff prädestiniert. Schon vor zehn Jahren, als wir erstmals zusammensassen, wurde uns klar: Ohne Wasserstoff ist die Energiewende gar nicht möglich.
Und woher kommt der grüne Wasserstoff für die Tankstelle hier in St. Gallen?
Huber: Bisher wird der Wasserstoff im Laufwasserkraftwerk in Niedergösgen im Aargau produziert und dann in Druckspeichern hierher transportiert. Wir überbrücken damit die Zeit, bis unsere Produktionsanlage am hiesigen Wasserkraftwerk Kubel bewilligt, erstellt und betriebsbereit ist. Ab Ende 2021 können wir von hier aus die gesamte Ostschweiz mit erneuerbar produziertem Wasserstoff versorgen.
Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft hört sich sinnvoll an. Dennoch scheint es die Brennstoffzelle bei den Autoherstellern schwer zu haben: Ausser Hyundai und Toyota bietet bei uns niemand normal kaufbare H2-Autos an. Wird sich das ändern?
Huber: Die Forschung dazu läuft auf Hochtouren. Die EU fördert entsprechende Projekte mit Milliarden, Daimler und Volvo ha-ben kürzlich eine Kooperation bei Brennstoffzellen für schwere Nutzfahrzeuge bekannt gegeben, BMW möchte in den nächsten Jahren ein H2-Auto auf den Markt bringen. Und dann gibt es europäische Grossfirmen wie den Zulieferer Bosch, der eigene Brennstoffzellen-Stacks entwickelt. Ausserdem ‒ das wird unterschätzt ‒ hat auch China grosse Ambitionen, beim Thema Wasserstoff führend zu werden.
«Bei der Anwendung unterscheiden sich H2-Autos kaum von Verbrennern.»
Jörg Ackermann
Was ist denn der Vorteil von H2-Autos im Vergleich etwa zu Elektroautos?
Ackermann: Einer der grössten Vorteile ist, dass sich Wasserstoffautos bei der Anwendung kaum von Benzinern oder Dieseln unterscheiden: Das Tanken dauert wenige Minuten, eine Tankfüllung reicht für 500 bis 700 Kilometer, und die Autos sind bei kühlen Temperaturen, anders als
batterieelektrische Autos, nicht eingeschränkt. Wir sagen nicht, dass alle H2-Autos fahren müssen und batterieelektrische Fahrzeuge per se schlecht sind. Es gibt aber unterschiedliche Bedürfnisse, und wir wollen mit dem Projekt die Möglichkeit schaffen, dass H2-Autos ebenfalls zum Einsatz gelangen können.
In der Bevölkerung wird Wasserstoff immer noch als Gefahrstoff wahrgenommen …
Huber: Unabhängige Experten kommen zum Schluss, dass H2-Fahrzeuge sogar sicherer sind als Autos mit einem Verbrennungsmotor. Natürlich hantieren wir mit grossen Energiemengen und hohen Drücken in den Tanks. Deshalb gibt es strenge Sicherheitsvorkehrungen, die eingehalten werden müssen. Doch dass Wasserstoff explodieren kann, ist ein Mythos.
Neben normalen Tankstellen und der Ladeinfrastruktur für E-Autos wird jetzt mit den Wasserstoff-Zapfsäulen ein drittes Netzwerk an Tankstellen aufgebaut. Machen synthetische Kraftstoffe nicht mehr Sinn?
Huber: Das Problem bei synthetischen Kraftstoffen, also e-Fuels, sind die Kosten. Um sie herunterzubekommen, brauchen Sie günstigen Wasserstoff. Dafür müssen Sie wiederum grosse Mengen H2 produzieren – genau das, was wir aufzubauen versuchen. E-Fuels sind, vereinfacht gesagt, eine veredelte Form von H2. Warum also synthetische Kraftstoffe herstellen, wenn wir schon unveredelten Wasserstoff zum Antrieb nutzen können? Das würde alles nur teurer machen. E-Fuels sind eher interessant für Flugzeuge oder grosse Frachtschiffe, die enorme Mengen an Treibstoff brauchen.
Ackermann: Alle Schnellladestationen, die Sie bei uns sehen, werden staatlich gefördert – unsere Zapfsäulen nicht. Nur weil die Autoindustrie nun auf Elektroautos setzt, dürfen dafür Steuergelder verbraten werden? In einem liberalen Land darf doch jeder selber entscheiden, wo man investiert. Wir tragen das Risiko und machen letztlich den Strauss an Mobilitätsangeboten reichhaltiger.