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Bio-Laden, Bier­gar­ten und Bar

Hip und herzhaft: Eine Reise nach München

Vom Bio-Laden in den Bier­gar­ten zur edlen Bar: München bewahrt Traditionen und geht mit dem Zeitgeist. Funktioniert das denn? «Passt scho!», sagt der Bayer.

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Juliet Rose Bar

In der Juliet Rose Bar wird am Wochenende gebruncht.

Stephanie Füssenich

Zusammenrücken bitte! Es ist Mittagszeit, und bei «Caspar Plautz» auf dem Viktualienmarkt wirds eng rund um die kleinen Bude. Es hat nur wenige Sitzplätze, die restlichen hungrigen Gäste scharen sich um Stehtischchen. Man schaut einander auf die weissen Emaille-Teller – und bestellt danach. Das Zusammenrücken hat in München Tradition, im Biergarten istes üblich, dass man sich an den langen Tisch zu fremden Menschen dazusetzt. Vielleicht rührt die Enge bei «Caspar Plautz» auch einfach daher, dass ganz München die Ofenkartoffeln probieren will. Zubereitet werden sie von Theo Lindinger und Dominik Klier, den Youngstern auf dem traditionellen Viktualienmarkt. Die grünen Buden auf dem Platz vergibt die Stadt auf Lebenszeit und mit einer «Zuweisung». Bei den beiden Jungs – ursprünglich Goldschmied und Soziologe von Beruf – lautet diese: Ofenkartoffeln. Etwas anderes darf nicht angeboten werden. «Wir interpretieren das Gericht so modern und cool wie möglich», sagt Theo Lindinger. Das gelingt: Die vegane Variante Shakshuka mit Auberginen, Tomatensugo, Hummus und Salat hat nichts gemein mit einer öden Knolle.
Sonst ist der Viktualienmarkt eine eher fleischige Angelegenheit und ein touristischer Magnet. Doch, doch, wird einem versichert, an den Markt würden auch die Münchner gehen. Es sei halt einfach alles etwas teurer. Gern gekauft werden Wurstwaren und Fleisch. Zum Beispiel bei Herrmannsdorfer, Bio-Metzgerei und Bistro in einem. Und ein guter Ort, um Weisswürste mit Brezen und süssem Senf zu bestellen. Erst aber eine dringende Frage an die Chefin. Stimmt es, dass man diese nur bis elf Uhr essen darf? «Ja! Ein richtiger Bayer isst keine Weisswurst nach dem Mittag», antwortet Sophie Schweisfurth entschieden. Sie ist im Schuss, ein Treffen mit ihren Schweinebauern steht gleich an. Seit einem Jahr leitete die 31-Jährige den Betrieb, zu dem neben den Geschäften ein Bio-Bauernhof ausserhalb Münchens gehört, wo Schweine gemästet, Hühner gehalten und Ackerbau betrieben wird. Sophies Grossvater Karl Ludwig Schweisfurth gründete das Unternehmen in den Achtzigerjahren. Davor gehörte ihm die grösste industrielle Fleischproduktion Europas. «Der Metzger, der kein Fleisch mehr isst …» heisst sein Buch, welches im Geschäft aufliegt und seinen Werdegang zum bewussten Fleischesser erzählt.

München Haderner Weissbier

In München-Hadern wird seit einem Jahr Bio-Bier gebraut. Eine Novität in der Stadt!

Stephanie Füssenich
München. Caspar Plautz. Severin Herold

Mitarbeiter Severin Herold in der Küche von «Caspar Plautz».

Stephanie Füssenich

Ehe man sichs versieht, hat man eine Gartenschere gekauft – obwohl man gar keinen Garten hat

Der nächste Blick auf den Viktualienmarkt erfolgt aus Vogelperspektive. 306 Stufen sind es hoch zur Aussichtsplattform der Peterskirche, die von allen nur «Alter Peter» genannt wird. Einen Lift gibt es nicht, und bei Gegenverkehr muss man sich im engen Treppenhaus schmal machen. Die Einsicht von oben: München ist eigentlich ziemlich überschaubar. 
Durch die Altstadt geht es leicht zu Fuss. Bei Schlechtwetter vertrödelt man sich im Manufactum Warenhaus. Vom Kupferbecher für den trendigen Moscow Mule, gemixt an der Hausbar, bis zum Mottenschutz gibt es alles für ein (stil)bewusstes Daheim. Und alles ist so ansprechend präsentiert, dass sich niemand wundern muss, wenn er das Geschäft mit einer kleinen Gartenschere (der Topseller!) in der Tasche verlässt, obwohl er weder Terrasse noch Garten besitzt. 

Gebackene ­Kartoffel Shakshuka bei «Caspar Plautz».

Gebackene Kartoffel Shakshuka bei «Caspar Plautz».

Stephanie Füssenich
Gebackene ­Kartoffel Shakshuka bei «Caspar Plautz».

Gäste vom «Caspar Plautz».

Stephanie Füssenich

«Wir interpretieren die Ofenkartoffel so modern und cool wie möglich.» Theo Lindinger vom Imbiss Caspar Plautz

Echte Münchner Manufakturen gibt es auch einige in der Stadt. Wie das Modelabel A Kind of Guise, das es bereits seit zehn Jahren gibt und von Yasar Ceviker und seine Partnerin Susi Streich gegründet wurde. Zweimal im Jahr entwickeln sie eine Kollektion aus schlichten, hochwertigen Stücken. Gefertigt wird in Deutschland. Ein anderes Münchner Paar, das sich mit einem eigenen Label verwirklicht, ist Michael Mayr und seine Frau Esra. Er hat wie sein Vater und Grossvater Sattler gelernt. Während in seinem Familienbetrieb vor allem PVC verarbeitet wird, zum Beispiel für LKW-Planen, geht Michael mit Günstling neue Wege. Im kleinen Atelier, das gleichzeitig Showroom ist, entstehen Ledertaschen. «Ich möchte Klassiker gestalten, die auch noch in zehn Jahren gefallen», sagt Mayr. Jedes Stück wird auf Bestellung gefertigt, der Kunde kann Dinge wie Verschlüsse oder Riemenlänge mitbestimmen.

Blick vom «Alten ­Peter» auf den ­Viktu­alienmarkt.

Blick vom «Alten Peter» auf den Viktualienmarkt.

Stephanie Füssenich

Kasnocken und Palatschinken: Essen in der «Goldmarie» ist märchenhaft-bodenständig 

Ständig umgenäht wird im Atelier von Noh Nee. «Ein Dirndl passt fast keiner Frau auf Anhieb», sagt Rahmée Wetterich. Sie gründete zusammen mit ihrer Schwester Marie das Modelabel. Die beiden sind in Kamerun aufgewachsen und kamen vor rund vierzig Jahren nach München. Die Schnitte ihrer Dirndl sind traditionell, gearbeitet wird aber mit afrikanischen Waxprint-Stoffen. Nicht nur für die Wiesn suchen sich Frauen ein «Gwand», zurzeit wird in Bayern gern in Tracht geheiratet, und die Gäste müssen mitziehen. Zum Oktoberfest selbst hat Rahmée Wetterich ein zwiespältiges Verhältnis: «Ich liebe es, wenn sich während dieser Zeit die Frauen hübsch machen, dann weht so viel Weiblichkeit durch die Stadt. Aber ich bin immer froh, wenn alles wieder vorbei ist.»
Im Glockenbachviertel befinden sich neben Noh Nee viele Kaffeebars und kleine Boutiquen wie Dear Goods oder A Better Story mit fairer, nachhaltiger Mode. Ein heimeliger Ort ist das Teehaus Tushita. Sandeh von Tucher und ihr Mann, ein Gartenbauer, haben das Lokal mit viel Geschick und Geschmack eingerichtet. Die Wände sind vollgestellt mit Teekannen und -zubehör, eine lange Sitzbank zieht sich die Wand entlang. Einmal Platz genommen, verweilt man. Wenn es warm draussen ist, werden die Fenster hochgeschoben, und alle Aufmerksamkeit richtet sich nach draussen. In der Vitrine locken selbst gebackene vegane Kuchen und Torten. «Biologisch sind sie auch, alles andere würde nicht passen», findet von Tucher. 

Dirndl aus afrikanischen Waxprint-Stoffen von Noh Nee.

Dirndl aus afrikanischen Waxprint-Stoffen von Noh Nee.

Stephanie Füssenich
Gut geschnitten: Das Label A Kind of Guise macht vor allem Herrenmode, für Damen hat es nur eine kleine Auswahl.

Gut geschnitten: Das Label A Kind of Guise macht vor allem Herrenmode, für Damen hat es nur eine kleine Auswahl.

Stephanie Füssenich

Schon fast ein Grund, um nach München zu ziehen, ist die «Goldmarie». Als Julia Schneider, Karin Stüwe und Petra Mirwald das Restaurant eröffneten, wurden sie gewarnt. In diesem Lokal könne man keinen rechten Umsatz machen, hiess es. Seitdem sind zehn Jahre vergangen und die Tische abends ständig besetzt. Auf ihrer «Selbstverwirklichungskarte» stehen fix Südtiroler Kasnocken, Schweinsbraten und Palatschinken. Dazu wechselt das Ange-bot nach Jahreszeit. Der «Goldmarie»-Stil lässt sich am einfachsten unter Alpenküche zusammenfassen. «Kompliziert ist unsere Küche nicht, wir gehen einfach achtsam und liebevoll mit den Speisen um», sagt Julia Schneider, die Köchin unter den dreien. Die Achtsamkeit spürt auch der Gast. Abends im von Kerzen beleuchteten Raum zu essen, fühlt sich märchenhaft gediegen an.
Für einen Absacker gehts ins Quartier Haidhausen, in die Juliet Rose Bar. Hier zeigt sich München grossstädtisch. Die Einrichtung ist im Art-déco-Stil gehalten, gepaart mit New Yorker Chic. Am Wochenende legt ein DJ auf, im Lokal wird auch gebruncht. Hinter der Kulisse gibt sich «Juliet Rose» jedoch typisch bayrisch: Das Brot liefert die Hofpfisterei, gegründet 1331 und heute eine Bio-Bäckerei. Ihre Filialen muss man sich auch wegen den Brezen merken. Sie sind «resch», richtig knusprig gebacken, so, wie sie in München sein müssen.

Die Gaststube der «Goldmarie».

Die Gaststube der «Goldmarie».

Stephanie Füssenich
Von Barbara Halter am 14. Mai 2019 - 12:01 Uhr