Ein Blind Date am Bahnhof kann zur ziemlichen Herausforderung werden. Heisst der Ort Ardez, hat man aber Glück – Oceana Galmarini erkennt man von Weitem. Ist sie doch die Einzige, die an der kleinen Station, umgeben von Engadiner Bergen, auf uns wartet. Und so ganz stimmt das mit dem Blind Date auch nicht. Die 28-Jährige kennt man vom Bildschirm, wo sie auf SRF die Sendung «Schweiz aktuell» moderiert. Hier in Ardez GR, wo tagsüber kein Geräusch lauter ist als der viertelstündliche Glockenschlag der Dorfkirche, ist sie aufgewachsen. Und in dieses Engadiner Tal kehrt sie immer wieder zurück, so oft sie kann.
GRUEN: Oceana Galmarini, was bedeutet Ihnen dieser Ort?
Schon als Kind haben mich die Berge hier geflasht. Für mich ist es einfach der magischste Ort auf dieser Welt. Das ist ein Gefühl, das man nur schwer beschreiben kann. Jedes Mal, wenn ich zurückkomme, atme ich auf – diese Gegend ist ganz klar mein Kraftort.
Und trotzdem leben Sie in der Stadt Zürich …
Ja, ich bin eine richtige Heimwehbündnerin (lacht). Aber als ich vor einem Jahr die Gelegenheit bekam, als Moderatorin für «Schweiz aktuell» zu arbeiten, habe ich mich dazu entschlossen, von Chur nach Zürich zu ziehen.
Ist Ihnen das schwergefallen?
Ich habe es mir schon sehr gut überlegt. In Chur hatte ich einen tollen Job bei Radiotelevisiun Svizra Rumantscha, die beste WG und meine liebsten Freunde. Das alles aufzugeben, war ein grosser Schritt für mich.
Der sich aber gelohnt hat?
Definitiv. Obwohl der Start verrückt war.
Erzählen Sie!
Was nach der ersten Sendung auf Social Media abgelaufen ist, hat mich sehr überrascht. Auf einen Schlag hatte ich, zumindest für meine kleine Welt, sehr viele neue Follower und Kommentare.
Aber Sie waren darauf vorbereitet, oder?
Ja, klar. Und ich war mir meiner neuen öffentlichen Rolle auch sehr bewusst. Aber wenn es dann so weit ist, ist es nochmals eine ganz andere Sache.
Haben Sie die Kommentare gelesen?
Ja, jeden einzelnen (lacht).
Und?
Die meisten waren sehr lieb und schön.
Was war mit den anderen?
Die bezogen sich oft auf mein Äusseres.
War das ein Problem für Sie?
Nein, das berührt mich überhaupt nicht. Wenn jemand schreibt: «Ich finde dich schön», dann denke ich nicht: Wow! Sondern: Who cares! Denn für das bin ich nicht da, das ist nicht mein Job.
Was, wenn jemand sagt, dass Sie schlecht aussehen?
Das ändert nichts. Und ganz ehrlich: Manchmal sieht man halt einfach gspässig aus, das ist einfach so. Vor allem, wenn man bei einer Aussenmoderation live sendet. Aber das ist das wahre Leben, man muss sich damit anfreunden, wie man aussieht – so bisch eifach!
Welche Kritik trifft Sie?
Inhaltliche. Die nehme ich immer sehr ernst. Oder auch wenn es um meine Art zu moderieren geht. Wir sind für die Zuschauer da und müssen es schaffen, dass sie sich angesprochen fühlen.
Stehen Sie gern im Mittelpunkt?
Nein, nicht unbedingt. Und bei meiner Arbeit sind es ja eigentlich auch die Beiträge, die spannend sind. Als Kind mochte ich es überhaupt nicht, wenn mich alle anstarrten.
Sie sprechen Ihre Rolle als Gehörlosen-Dolmetscherin an …
Ja, meine Eltern sind gehörlos, und meine Geschwister und ich mussten oft in die Gebärdensprache übersetzen. Als Kind ist es einfach überhaupt nicht cool, wenn man anders ist. Man fühlt sich dann als die komische Aussenseiterin. Heute bin ich natürlich sehr stolz auf meine Eltern.
Wie waren Sie als Mädchen?
Immer in Bewegung. Ehrgeizig. Rebellisch. Als 14-Jährige dachte ich, ich sei erwachsen. Mit 16 bin ich dann von Ardez nach Chur in eine WG gezogen und habe meine KV-Lehre angefangen.
Wollten Sie von der Familie weg?
Nein, überhaupt nicht. Ich wollte ein-fach selber über mein Leben entscheiden. Das liebe ich heute noch immer, dieses Privileg, selber entscheiden zu können. Viele gestandene Leute sagen, sie wären gern wieder ein Kind. Das trifft auf mich überhaupt nicht zu. Ich liebe es, erwachsen zu sein und meine eigenen Entscheidungen treffen zu können.
Ganz freiwillig leben Sie aber nicht in der Stadt. Vermissen Sie die Berge?
Ja, es ist ein ewiger Clinch! Einerseits liebe ich meinen Job, andererseits brauche ich die Berge.
Wo fühlen Sie sich am wohlsten?
So hoch oben wie möglich, bei den Steinböcken. Am liebsten über der Baumgrenze, wo es richtig dürr wird. Wenn man keinen Menschen mehr um sich herum hat und in einer einfachen Hütte übernachten kann.
Was ist das für ein Gefühl?
Es ist pur. Ich habe einen Rucksack dabei, bin ungeschminkt und einfach nur ich. Wenn es kalt wird und du stundenlang im Regen läufst und immer mehr Teil der Natur wirst, hat das etwas sehr Echtes.
Was machen Sie, um diese geliebte Natur zu schützen?
Das, was alle machen. Ich bin kein Hero. Ich hatte mal eine Phase, da war ich in Sachen Nachhaltigkeit etwas extremer unterwegs.
Wann war das?
Vor ungefähr zwei, drei Jahren. Alles, was ich gekauft habe, war konsequent fair produziert und biologisch. Kleider, Kosmetik, Lebensmittel – die ganze Palette. Ich habe sehr viel Geld dafür liegen gelassen (lacht).
Und jetzt?
Ich musste einen Weg finden, der nicht ganz so extrem ist. Je mehr man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst, desto mehr Probleme tun sich auf. Mir wurde klar, dass alles, was ich tue, nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist. Und ich war ehrlich gesagt auch überfordert. Man fühlt sich machtlos.
Dann gaben Sie einfach auf?
Nein! Klar ist es besser, etwas zu machen, als gar nichts. Aber man darf nicht illusorisch sein. Nur weil man keine Röhrli mehr braucht, rettet man nicht die Welt.
Wie lösen Sie das Dilemma?
Die Balance zu halten zwischen Verzicht und sich etwas gönnen, beschäftigt mich sehr. Was ich verinnerlicht habe: Bei jedem Konsum frage ich mich, ob ich das wirklich brauche. Ich fühlte mich nämlich gut, als ich nur noch drei Paar Jeans in meinem Schrank hatte. Wenn ich etwas kaufe, dann habe ich sehr lange Freude daran. Ich brauche keine tausend Sachen.
Was regt Sie punkto Umweltschutz am meisten auf?
Leute, die ihren Abfall einfach auf den Boden werden. Gerade in den Bergen. Leider habe ich noch nie jemanden in Aktion erwischt. Wäre das der Fall, würde ich sie oder ihn fix darauf ansprechen. Das ist doch das Einfachste auf dieser Welt. Wir haben sieben Millionen Kübel in dieser Schweiz – come on!