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Andreas Wyss und Andreas Bauder

Spuren im ewigen Eis

Zwei Männer, zwei Berufe, eine Tätigkeit, die sie verbindet: Auf dem Grossen Aletschgletscher beobachten Andreas Wyss und Andreas Bauder den Schneezustand. Der eine als Glaziologe, der andere für den Unterhalt.

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Neues Pistenfahrzeug und Caverne auf dem Jungfraujoch.

Snowfarming Andreas Wyss planiert den Neuschnee, damit er nicht weggeweht wird.

david birri

Wie ein Kapitän steht er auf der Raupe des Pistenbullys und überblickt die grandiose Szenerie, die sich vor ihm ausbreitet: die schier endlose Weite des frisch verschneiten Grossen Aletschgletschers. Dieser legt sich wie ein mächtiges Tuch aus weissem Samt über die felsige Landschaft.

Für Andreas Wyss, seit 32 Jahren Leiter Technischer Unterhalt auf dem Jungfraujoch, ist der Gletscher so etwas wie ein Weggefährte geworden. Er kennt seine Brüche und Spalten, er hat in der langen Zeit mit ihm gekämpft, auf ihm für die Jungfraubahnen spektakuläre Events realisiert – und die Veränderungen, mit denen der Klimawandel dem vermeintlich ewigen Eis zusetzt, wahrgenommen. Wenn Andreas Wyss heute mit dem Pistenbully seine Oberfläche bearbeitet, so tut er dies, um den Gletscher zu schützen.

«Wir pressen den Neuschnee fest, dass er durch die starken Winde, die hier bisweilen herrschen, nicht verfrachtet wird. Es ist eine Art Snowfarming, das wir betreiben, um den Gletscher so lange als möglich stabil zu halten», erklärt Andreas Wyss, den alle hier oben nur Dres nennen.

Gletscherforscher Andreas Bauder Jungfraujoch

Schneewaage Andreas Bauder bestimmt das Gewicht des Bohrkerns im Firnbohrer.

david birri

Filigraner ist die Arbeit von Andreas Bauder auf dem Firnfeld unterhalb des Jungfraujochs. Mit einem Assistenten hievt er den mit Schnee gefüllten Firnbohrer in eine improvisierte «Skistockwaage», misst das Gewicht und trägt die Resultate in sein Feldbuch ein. Zweimal im Jahr kommt der ETH-Glaziologe auf den Grossen Aletschgletscher, um Bohrkerne zu entnehmen und seine Messungen zu machen. Und das seit nunmehr 20 Jahren.

Gletscherforscher Andreas Bauder Jungfraujoch

Messdaten Das Jungfraujoch ermöglicht eine der längsten Messreihen der Glaziologie.

david birri

Die Gletschermessungen auf diesem Teil des Aletschgletschers gehen auf die Pionierzeit der Jungfraubahnen zurück. «Das ist äusserst wertvoll», sagt Andreas Bauder, «denn so ist eine der längsten Messreihen der Glaziologie entstanden, die uns heute ein repräsentatives Bild der Veränderungen gibt, die durch den Klimawandel der vergangenen Jahrzehnte hier oben verursacht worden sind. So ist zum Beispiel ersichtlich, dass der durchschnittliche Gletscherzuwachs seit Mitte der 1980er-Jahre auf dem Aletschgletscher abnimmt.»

Gletscherforscher Andreas Bauder Jungfraujoch

Messsonde Sechs Meter lang ist der Alustab, den Andreas Bauder für die Messung nutzt.

david birri

Die Folgen des Klimawandels beschäftigen auch Andreas Wyss – allerdings in anderer Weise: Da der Gletscher auf dem Jungfraujoch in den vergangenen Jahren abgesunken ist, konnte der Pistenbully auf der Ostseite nicht mehr um den Berg fahren. So musste für die Westseite ein zweiter Pistenbully besorgt werden, für den jetzt eine Garage in den Berg gebaut wird. Eine grosse Kaverne ist bereits ausgesprengt. Bald soll das Schiebetor folgen. Direkt vor der Bullygarage beginnt der Gletscher. «Damit die Zufahrt gewährleistet bleibt, muss regelmässig Schnee aufgeschüttet werden», erklärt Dres Wyss.

Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, treffen sich An-dreas Wyss und Andreas Bauder auf dem Grossen Aletschgletscher. Wyss hilft Bauder dann beim Materialtransport. Dabei tauschen sie auch ihre Erkenntnisse und Erfahrungen aus. Für beide ist klar: Es braucht viel Engagement, um diesen Gletscher so lange wie möglich der Nachwelt zu erhalten.

Gletscherforscher Andreas Bauder Jungfraujoch

Markierung Auch aktuell markiert Glaziologe Bauder seine Messfelder mit Sägemehl.

david birri
Von Zeno van Essel am 13. Dezember 2019 - 08:00 Uhr