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Skicrosser Ryan Regez

Show, Ski und nackte Haut

Er ist ein Mann fürs Rampenlicht und ein Athlet mit Flair für schräge Auftritte. Doch sportlich will der Skicrosser Ryan Regez ernst machen. «Mein Ziel ist der WM-Titel.»

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SI SKI 2020 erschienen

Keine abgesägten Hosen: Ryan Regez mag die kultivierte Provokation. Auf dem Männlichen im Berner Oberland zeigt er seine Männlichkeit. 

Philipp Mueller / SI Sport

Cool und crazy. Ryan Regez blickt die Hänge des Männlichen hinunter und breitet die Arme aus, als wolle er abheben. «Das Berner Oberland ist mein Kraftort, und von hier aus möchte ich im kommenden Winter durchstarten.» Der 27-jährige Skicross-Champion aus Interlaken blickt wie alle Menschen auf verwirrende Monate zurück, und er weiss nicht, wann und ob die nächste Saison starten wird. Geplant wäre der Weltcup-Auftakt Anfang Dezember im französischen Val Thorens.

Aber was ist schon normal in diesem Jahr? «Man muss es nehmen, wie es kommt. Vielleicht hat die ganze Geschichte ja ihre guten Seiten. Die Menschen lernen wieder Demut und Respekt. Die Erde erhält eine Atempause», sagt Regez und fügt an: «Aber ich freue mich sehr auf die Wettkämpfe. Ich bin zwäg, ich bin bereit, ich bin schnell.» 

Die Zuversicht schöpft er aus Zusatzschichten an den Kraftgeräten im Gym und aus dem Gletschertraining in Saas-Fee. «Dort steht uns eine sehr coole Strecke zur Verfügung.» Und mit den Gardemassen eines Schwergewichtsboxers (192 cm/100 kg) bringt er physische Qualitäten und eine Wasserverdrängung auf die Piste, die im «Kontaktsport» Skicross den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen können. 

SI SKI 2020 erschienen

Ryan Regez mags neben der Piste extravagant.

Philipp Mueller / SI Sport

Dabei hätte Regez im Sommer eigentlich im argentinischen Ushuaia üben sollen. Dass er nun in den Walliser Alpen statt am «Fin del mundo» (Ende der Welt) landete, hatte gute Seiten: «Der Reisestress fiel weg, und ich hatte Zeit, mich in der Schweiz um andere Dinge zu kümmern.»

Konkret heisst das: Regez gründete mit Kollegen den eigenen Fanclub (www.fanclubryanregez.clubdesk.com), erspielte sich auf dem Golfplatz die Platzreife, begann Gleitschirm zu fliegen, gestaltete mit Hilfe seines Cousins Andi Regez die eigene Website (www.ryanregez.ch) und besuchte einen Buchhaltungskurs: «Es kann nicht schaden, wenn man über die Zahlen etwas Bescheid weiss. Schliesslich habe ich keinen Manager», sagt er lachend. Dafür verzichtete der gelernte Hochbauzeichner auf die vereinbarten Arbeitseinsätze im Architekturbüro: «Ich wollte meinen Kollegen nicht die Arbeit wegnehmen. Die Krise traf uns schon alle genug.»

«Ich fliege nicht um die Welt, um nur Spaghetti oder Kartoffeln zu essen»

Auch sonst stellte die Pandemie seine Pläne auf den Kopf. Die Bar-Betriebe («Hangover» und «Metro») in Interlaken, in denen er im Sommer normalerweise arbeitet, waren geschlossen, der Weltcup-Final im Skicross in Veysonnaz VS wurde ersatzlos gestrichen, viele seiner Freunde, die vom Tourismus leben, stehen vor dem Nichts: «Corona zeigt uns, wie fragil unser System ist und wie alle voneinander abhängen.» Auch seine Ferienpläne fielen ins Wasser. Mit Freunden wäre er nach Hawaii gereist und dann mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück nach Europa.

Sportlich würde ihm die Situation dann Sorge bereiten, wenn sie ihn unvorbereitet träfe: «Wenn man weit gereist ist und dann plötzlich alle Rennen abgesagt werden, könnte das ganz schön frustrierend sein. Schliesslich fliege ich nicht um die halbe Welt, um nur Spaghetti oder Kartoffeln zu essen.» Doch im Vergleich zu den Existenzsorgen von vielen anderen Menschen seien dies vernachlässigbare Probleme.

Ryan Regez
ZVG
«Der Sport lebt von den Emotionen»

Finanziell übersteht er die Pandemie bisher mit einem hellblauen Auge: «Dank der Sporthilfe und dem Militär liessen sich Ausfälle bei den Sponsoren abfedern.» Dass die Rennen vorderhand ohne Zuschauer stattfinden werden, wertet er als «nicht so tragisch, weil an den meisten Orten das Publikumsaufkommen überschaubar ist». Gleichzeitig aber sagt er: «Der Sport lebt von den Emotionen und den Interaktionen zwischen Fans und Sportlern. Bleibt die Interaktion länger aus, fehlt ein wichtiger Faktor».

Entscheidend aber sei, dass überhaupt gefahren werden kann. Denn sollte Corona die Wettkämpfe noch länger verunmöglichen, wäre dies für Skicross als Profisport verheerend: «Die Preisgelder machen bei uns einen wichtigen Teil der Einnahmen aus.» 

Legendärer Auftritt mit lila Einhorn-Leggins

Dabei ging im Wettkampf die Rechnung bei Ryan Regez zuletzt immer besser auf. Bevor Corona dem Sport quasi über Nacht den Stecker zog, war Ryan auf der Überholspur unterwegs. Mit je zwei Siegen und dritten Plätzen sowie dem zweiten Platz in der Weltcup-Gesamtwertung blickt er 2019/2020 auf die beste Saison seiner Karriere zurück: «Es ist praktisch alles nach Plan aufgegangen», sagt er. Entsprechend ambitioniert sind seine Ziele für die Zukunft: «Ich will Weltmeister werden und den Gesamtweltcup gewinnen», sagt er unbescheiden. Schliesslich treibe er Sport nicht bloss, um mitzumachen.

Skicross. Buchhaltung. Bar. Büro. Regez verbindet wohl die grösstmöglichen Gegensätze. Bezeichnend für einen Mann, der sich nicht in einen Raster zwängen lässt, unbeirrt seinen Weg geht und die schrägen Nummern quasi zum persönlichen Kulturgut gemacht hat. Legendär ist sein Auftritt im «Sportpanorama», als er im Dezember 2019 dem Moderator Jann Billeter freudestrahlend in lila Leggins mit rosaroten Einhörnern entgegentritt: «Die Hosen sind sehr bequem. Und der Style kommt aus den Ferien. Man sagt, diese Leggins seien nur für Frauen, aber offenbar gibt es sie auch in Männergrösse», erklärt er dem Publikum.

Für den erfrischenden und überraschenden Auftritt erhält er viel Applaus und noch mehr positive Reaktionen auf seiner Mailbox. Deshalb sagt er lachend: «Wenn ich nochmals ins ‹Sportpanorama› darf, ziehe ich garantiert wieder diese Leggins an.»

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Eingespieltes Doppel: Ryan und Freundin Barbara Skacel befinden sich auch modisch auf Augenhöhe.

Philipp Mueller / SI Sport

«Wir lernten uns schon vor den Nacktfotos kennen»

Freundin Barbara Skacel

Es ist ein Auftritt, der perfekt zu Regez passt. Der Berner Oberländer kann die Menschen mit seiner natürlichen Art für sich gewinnen. Er ist ein Mann mit Charme, Empathie und einem speziellen Lebensplan. Er ernährt sich vegan und hat seit sechs Jahren keinen Alkohol getrunken: «Nicht, weil mir jemand dazu geraten hätte, sondern weil es für mich passt und ich mich sehr gut fühle.» Dass er sich als Spitzensportler gelegentlich deswegen erklären muss, findet er speziell: «Ich schreibe niemandem vor, dass er auch so leben sollte.»

Branchenübergreifende Bekanntheit erlangt er aber nicht durch seinen Menüplan, sondern durch Nacktbilder auf Instagram. Diese Aktion sei kein Kalkül gewesen, sondern habe sich nach einem Shooting so ergeben. Auch auf diesem sozialen Netzwerk begegnete er seiner Freundin Barbara Skacel das erste Mal. Die gebürtige Tschechin, die in Bern Psychologie studiert, betont: «Wir lernten uns schon vor den Nacktfotos kennen.»

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Gras-Skifahren mit Freundin Barbara, welche er auf Instagram kennenlernte.

Philipp Mueller / SI Sport

Nicht nur wegen Freundin Barbara bewegt sich Ryan in einem internationalen Umfeld. Zu diesem gehört auch Mutter Clare, 60, die mit ihrem modebewussten und distinguierten Auftreten nicht so recht ins Berner Oberland passen will. Von ungefähr kommt dies nicht. Clare stammt aus dem schneesportarmen England, nahe London: «Doch ich bin schon seit ewig hier und fühle mich als echte Oberländerin.» Als Chaletgirl, eine Art Gouvernante für Ferienwohnungen, war sie einst nach Wengen gekommen und hatte bei Andy Regez Skiunterricht genommen. Sie lernte den kultivierten Parallelschwung und noch viel mehr. 

Heute sind Vater und Mutter Regez getrennt, wohnen aber noch immer in derselben Strasse. Und sie kümmern sich mit ungebrochener Leidenschaft um ihre Kinder: «Wir waren immer für sie da, und das wird sich nie ändern.» Ihren Sohn Ryan beschreibt Clare mit liebevollen Worten: «Er hat das Auftreten eines echten englischen Gentleman.»

Sein Vater Andy, 64, Präsident des legendären Skiclub Wengen, blinzelt voller Stolz in die Sonne, wenn er auf seinen Sohn angesprochen wird: «Ryan war schon als Kind nicht zu halten. Er gab lieber Vollgas, als zu bremsen, und krachte deswegen nicht selten in eine Schneemauer.» Auch die 18 Monate ältere Tochter Naomi war eine ambitionierte Skirennfahrerin und trainierte oft mit ihrem Bruder. Doch der Sprung in die Spitzenklasse blieb ihr verwehrt.

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Ryan Regez: Keine Angst vor Freizügigkeit. 

Philipp Mueller / SI Sport

Als Kind strebt Ryan eine Laufbahn im Ski Alpin an. Im Alter von zwölf Jahren fährt er im prestigeträchtigen Migros Grand Prix auf den vierten Platz. Später bestreitet er die Lauber-horn-Abfahrt als Vorfahrer. Doch er will immer mehr und setzt sich einen Massstab: «Wenn ich mit 18 Jahren nicht in einem nationalen Kader bin, gebe ich meine Karriere auf.» 

Regez verpasst das Ziel und zieht die Konsequenzen. Er lässt die Ski im Keller und absolviert eine Lehre als Hochbauzeichner. Für kurze Zeit arbeitet er auf dem Beruf und entwirft die Pläne für das mütterliche Chalet. Doch dann entdeckt er seine Leidenschaft für das Skicross. Sein grosses Vorbild ist heute sein Trainer: Mike Schmid, 36, der 2010 in Vancouver sensationell Olympiasieger wurde. Über ihn sagt Ryan Regez: «Mike ist eine grosse Stütze für mich. Allein seine Geschichte motiviert mich ungemein.» 

Ryan Regez

Hochbauzeichner und Skicrosser Regez kann auch ganz seriös.

Thomas Buchwalder

Diese Geschichte möchte Regez in China weiterschreiben, wenn im Februar 2022 im Reich der Mitte die Winterspiele stattfinden: «Olympia ist die Plattform, auf der man sich im Skicross einem breiten Publikum präsentieren kann. Dann schauen Leute zu, die sich sonst nicht für unseren Sport interessieren.» 

Es ist exakt jene Bühne, die zu Ryan Regez passt. Denn ein Mann mit derart viel Strahlkraft und Sendebewusstsein gehört einfach ins internationale Scheinwerferlicht. Mit oder ohne lila Leggins. 

Von Thomas Renggli am 27. November 2020 - 06:00 Uhr