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Unsere Beachvolleyball-Trümpfe in Tokio

«Die Konkurrenz macht uns stärker»

Medaillenträume, gebaut auf Schweizer Sand: Nina Betschart und Tanja Hüberli sowie Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré sprechen über den Bikini als Arbeitskleidung, Konkurrenz als Antrieb und tragen dabei Retro-Bademode aus den Anfängen ihrer Sportart.

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Tanja hüberli sowie Joana Heidrich und Anouk vergé- Dépré

Hüberli, Vergé-Dépré, Heidrich und Betschart (v. l.) im Vintage-Look mit Vichy-Karomuster der 50er und 60er.

Remo Buess

Nina Betschart und Tanja Hüberli, im Beachvolley wird die Spielzone zwischen den Spielerinnen oder Spielern «Husband and Wife Zone» genannt. Wann verstehen Sie sich blind wie ein altes Ehepaar?
Hüberli: Auf dem Platz sind wir sowieso eingespielt. Aber auch daneben gibt es viele solche Situationen (lacht). Oder, Nina?
Betschart: Ja, wir könnten füreinander das Essen bestellen. Tanja möchte nie Pasta. 
H: Und an einem freien Tag will Nina nicht Sightseeing machen – eher shoppen. Ein weiteres Beispiel: Vor kurzem bekamen wir eine Anfrage für Social-Media-Werbung für eine Dating-App. Ich habe abgesagt, ohne Nina vorher zu fragen – ich kannte ihre Meinung. 

Wann kommt es bei Ihnen zu Meinungsverschiedenheiten? 
H: Das Wichtigste ist die Kommunikation, damit es eben keine Konflikte gibt. Ich bin etwa eine Frühaufsteherin, Nina ein Abendmensch. Da braucht es von beiden Seiten Kompromisse. Aber klar, auf dem Spielfeld gibt es manchmal Situationen, in denen die Wahrnehmung unterschiedlich ist. Weisst du noch, unser erster Streit in Klagenfurt?
B: Hmm … nein! Dann kann es nicht so schlimm gewesen sein (lacht).
H: Wir haben unter Druck die Emotionen rausgelassen, uns dann aber schnell wieder zusammengerauft. 

Wer von Ihnen lässt die andere öfter warten?
H: Nina mich, aber weil ich überpünktlich bin. 
B: Zu früh meinst du! Vor Jahren habe ich aber tatsächlich einmal ein Training verschlafen.

Der Strand von Hermosa Beach in LA gilt seit jeher als einer der populärsten Spielorte. Was macht ihn so besonders?
H: Alles! Es gibt so viele Felder, du merkst: da ist Beachvolley zuhause.
B: Ja, ganz verschiedene Leute spielen zusammen, Familien, Spitzen- und Hobbysportler. Andere picknicken und schauen zu. Statt auf ein Feierabendbier, treffen sie sich zum Afterwork-Beachvolleyball.

Nina Betschart

Nina Betscharts Turban ist inspiriert von Grace Kelly.

Remo Buess

Ab den 80er-Jahren wurde Beachvolley immer professioneller. Wann wussten Sie, dass Sie Beachvolleyballprofi werden möchten?
B: Bei mir wars, als ich mit 20 Jahren anfing, mit Tanja zu spielen. Ich hatte gerade die Schule abgeschlossen und bin für unser gemeinsames Training nach Bern gezogen. Das waren viele Veränderungen. Ich sagte zu Tanja: «Hey, ich muss das mal für ein Jahr ausprobieren. Ich weiss gar nicht, ob ich das kann und möchte – die vielen Reisen, das absolute Commitment.» Dann merkte ich aber schnell, dass ich diesen Weg gehen möchte.
H:Ich kann keinen genauen Zeitpunkt nennen. Alles geschah fliessend. Ich spielte nach der Matura ein Jahr als Hallenprofi, kam in die Beachvolleynati und dachte, «cool, das mache ich mal, solange es mir Spass macht». Ich kann die Ausbildung als Lehrerin und den Sport verbinden, musste mich also nie für das eine oder das andere entscheiden. 

Im Beachvolleyball gibt es oft Diskussionen um die Wettkampfbekleidung. Was würden Sie anziehen, wenn es keine Regeln gäbe? 
B: Genau dasselbe, einen Bikini. 
H: Im Training spiele ich manchmal mit kurzen Hosen oder T-Shirt, doch meist im Bikini.

Stören Sie diese Kleiderregeln also nicht?
B: Etwas stört mich: Dass wir ab 15 Grad lange Hosen oder Langarmshirt ausziehen müssen. Das gab auch schon Diskussionen mit dem Schiedsrichter, wo es um ein halbes Grad ging – einfach lächerlich. 
H: Zudem glaube ich kaum, dass jemand das Stadion verlässt, weil wir Leggings tragen!

Sie sprechen den Bikini als Vermarktungs-Tool an. Beachvolleyball bedeutet auch: Musik, Fun, Party. Fühlen Sie dadurch in Ihrer Leistung weniger ernst genommen?
H: Nein. Es mag sein, dass es Leute gibt, die Beachvolley wegen Outfits und Partystimmung schauen. Etwa in Gstaad ist das aber  überhaupt nicht der Fall. Bei einem Gratis-Event am Hauptbahnhof Zürich kann das jedoch schon mal vorkommen.

Ein Problem für Sie?
H: Es ist gerade ein gutes Training, sich durch nichts von aussen ablenken zu lassen. 
B: Am Anfang war das für mich ein Thema. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. 
H: Als ich jünger war, hatte mein Mami Mühe damit, dass ich im Bikini spiele und einfach jeder mich dabei fotografieren konnte. 
B: Ich sehe aber, warum es Kleiderregeln gibt: Einheitlichkeit wirkt professionell. Kommt die eine nackt, die andere mit Bikini, der nächste im Trainer, strahlt das keine Professionalität aus. 

Tanja Hüberli

Frohnatur Tanja Hüberli im Badekleid mit Hüftgurt – auch heute wieder Trend.  

Remo Buess

Seit 1996 ist Beachvolleyball olympisch. Haben Sie schon in der Kindheit von Olympia geträumt? 
H: Nein, ich hatte nie diesen Olympiatraum. 
B: Bei mir war es ähnlich. Wahrscheinlich habe ich es am TV verfolgt, aber kein spezifischer Moment ist mir geblieben.

Dann hatten Sie auch keine Vorbilder?
B: Nein. Ich bewunderte zwar die Besten, hatte aber nie eine Einzelperson als Vorbild.
H: Ich auch nicht. Als ich 2013 in Long Beach der dreifachen Olympiasiegerin Misty May begegnete, die mit ihrem Baby dort war, dachte ich: Wer ist denn das? Ich hatte keine Ahnung! (lacht) 

Nun steht Ihre Olympiapremiere bevor – mit einem Jahr Verspätung. Fluch oder Segen? 
H: Segen! Da ich letztes Jahr immer noch im Aufbau war nach meiner Lungenembolie, kam mir das zusätzliche Jahr sicher zugute. 
B: Weil wir durch Tanjas Krankheit auch eine lange Turnierpause hatten, fiel es uns leicht, nochmals ein Jahr Vollgas zu geben. Wir sind vollkommen zufrieden, wo wir jetzt stehen. 

Neben Ihnen kämpfen auch Heidrich/Vérgé-Depré um die Medaillen. Wie gehen Sie mit dieser Konkurrenz-Situation um?
B: Die Konkurrenz macht uns definitiv stärker. Sie pusht uns. Wir fordern einander und können täglich herausfinden, welche Spielzüge bei Teams auf Spitzenniveau klappen. 
H: Aber klar ist es speziell, wenn man gegen das Team spielt, mit dem man so oft trainiert. Man kennt sich sehr gut, und so gibt es immer Battles mit langen Ballwechseln. 

Tanja hüberli sowie Joana Heidrich und Anouk vergé- Dépré

Joana Heidrich, Nina Betschart, Anouk Vergé-Dépré und Tanja Hüberli (v. l.) trainieren oft zusammen in Bern und verstehen sich gut – doch wenn es ernst wird, wollen beide Teams den Sieg.

Remo Buess
Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré

Die Zweier-Spielweise geht auf Paul Johnson zurück, der es satt hatte, auf die Mitspieler zu warten. Wer von Ihnen ist unpünktlicher?
Vergé-Dépré: Klar ich. Mein Umgang mit der Zeit ist südländisch geprägt. (Anouks Vater stammt aus Guadeloupe, Anm. d. Red.) Früher kam ich stets knapp zum Flughafen.
Heidrich: Nun komme ich etwas später, Anouk ein bisschen früher – guter Kompromiss (lacht).

Die Strände der USA und Brasiliens gelten als Geburtsstätten Ihres Sports. Welches sind Ihre Lieblingsstrände fürs Beachvolley?
H: Die Copacabana und Ipanema sind eindrücklich. Wenn man diese Strände entlangläuft, spielt jeder Beachvolleyball.
V: Dort ist es wie bei uns mit Skifahren. Alle, von Jung bis Alt, haben einen Bezug zur Sportart und üben sie aus. Das ist ansteckend.

Mittlerweile finden Turniere auch in Innenstädten statt. Was gefällt Ihnen besser?
H: Schwierig zu sagen. Beides hat seinen Charme. In den Städten finde ich es cool, weil es abstrakt ist: Man bringt den Strand dorthin, wo er sonst nicht wäre. Unser Sport wird so auch einem neuen Publikum zugänglich. Andererseits war es eine schöne Abwechslung, kürzlich in Cancún wiedermal an einem natürlichen Strand zu spielen.
V: In den Städten zu spielen, liegt uns, da es die Bedingungen sind, in denen wir hier trainieren – ohne den oft starken Wind am Meer. Von der Atmosphäre her ist beides cool.

In den 80er-Jahren wurde Beachvolley zum professionellen Sport. Wann wussten Sie: Ich möchte den Sport zum Beruf machen?
H: Ich schon früh. Und nach der KV-Ausbildung war es dann so weit. Mit dem hohen Trainingspensum und den vielen Reisen wäre es kaum machbar gewesen, daneben noch zu arbeiten. Ich bin froh, dass es sportlich und finanziell geklappt hat. Das Leben als Leistungssportlerin sagt mir zu, deswegen habe ich es auch nie infrage gestellt.
V: Das Schwierige im Beachvolleyball ist, dass alles nicht so organisiert ist wie zum Beispiel in der Halle: Wir organisieren und bezahlen nun unsere Trainings und Reisen selber. Also birgt es ein gewisses Risiko, alles auf diese Karte zu setzen. Ich habe fürs Beachen das Hallenvolleyball aufgegeben, als mich damals Isabelle Forrer gefragt hat, ob wir zusammen spielen – und es ebenfalls nie bereut.

 Joanna Heidrich

Die 29-jährige und 1.90m grosse Athletin Heidrichs macht auch mit Styling aus den 50ern eine gute Figur.

Remo Buess

Sie schafften es mit Isabelle Forrer in Rio 2016 auf den 9. Platz. Joana, Sie scheiterten mit Nadine Zumkehr hauchdünn im Viertelfinal. Seit wann träumen Sie von Olympia?
H: Ich weiss noch genau, wie Heuscher/Kobel 2004 Olympiabronze gewannen. Da wusste ich: Da will ich auch hin. Seitdem habe ich mir das in den Kopf gesetzt und dieses Ziel konsequent verfolgt. 
V: Da mein Vater schon damals Coach war, war ich viel als Ballkind an Turnieren. Ich erinnere mich, wie er 1996 mit Laciga/Laciga an Olympia dabei war und ich alles am TV verfolgt habe. So habe ich die Atmosphäre unserer Sportart und auch von den Spielen von klein auf mitbekommen. 

War da der olympische Gedanke des Dabeiseins zentral oder eine Medaille das Ziel?
H: Sagen wir es so: Ich bin genügend ehrgeizig, um an Olympia nicht nur dabei sein zu wollen. Das ist an jedem Turnier der Fall und war auch in Rio so. Der grosse Traum ist es, an Olympia zuoberst zu stehen. 
V: Bei mir war am Anfang der Traum da, das ganze Olympia-Erlebnis einmal erfahren zu können. Mich mit den besten Athletinnen der Welt zu messen. Je besser ich wurde, desto mehr wurde die Medaille zum Ziel. 

Anouk, Sie sind Mitbegründerin der Spielergewerkschaft im Beachvolleyball. Warum engagieren Sie sich?
Weil ich das riesige Potenzial unseres Sports sehe. Ich möchte die Sportart nicht nur mit meinen Resultaten weiterbringen. 

Woran denken Sie konkret?
Es gibt etwa zu wenig und zu wenig einfach verfügbare Informationen, um neues Publikum zu begeistern: Wie funktioniert das Spiel? Wo kann ich es verfolgen? Es ist mir auch ein Anliegen, dass mehr Spielerinnen und Spieler vom Beachvolleyball leben können und wir besser versichert und geschützt sind. Ich bin sicher: Das ist möglich. Unser Sport ist der perfekte Mix: Emotionen, Spannung, Höchstleistung und Entertainment. 

Anouk Vergé Dépré

Anouk Vergé-Dépré beinahe wie Brigitte Bardot. Puffärmel und Sonnenhut sind von den 50er-Jahren inspiriert.

Remo Buess

Entertainment bedeutet im Beachvolley auch: Musik, Partystimmung und nackte Haut. Stört Sie das?
V: Mich stört, wenn der Fokus von unserer harten Arbeit weggeht und wir auf Bikini und Party reduziert werden. Aber grundsätzlich ist es das Besondere unserer Sportart. Statt es zu verteufeln, sollten wir es positiv nutzen. Der Bikini ist unsere Arbeitskleidung, welche an den Strand passt und das Sommerliche perfekt verkörpert.
H: Ich liebe die emotionale Stimmung, die bei uns herrscht. Tennis etwa, wo Fans kaum aufstehen und erst nach dem Ballwechsel klatschen dürfen, wäre nichts für mich. Zum Bikini habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Früher spürte ich einen gewissen Druck, weil halt alle deinen Körper sehr genau sehen. Meine Gedanken kreisten oft ums Essen und um meinen Körper. Heute fühle ich mich sehr wohl – im Bikini und in meinem Körper.
V: Bei mir wars umgekehrt. Mir hat das ständige Bikini-Tragen geholfen, mich früh in meinem Körper wohl zu fühlen. Dass alle in Badehose spielen, trägt auch zur Akzeptanz verschiedener Körper bei. Jeder Körper ist gut, wie er ist, niemand muss sich verstecken. Aber klar: Noch besser wäre, wenn den Athletinnen und Athleten freigestellt würde, was sie anziehen – sei es aus klimatischen, religiösen oder sonstigen Gründen.

Zurück zu Olympia: Sind Sie zufrieden mit Ihrer Form kurz vor dem Höhepunkt?
V: Ja, wir haben vor allem im mentalen Bereich nochmals Fortschritte gemacht. 
H: Ich bin ebenfalls zufrieden. Seit meinem Bandscheibenvorfall schätze ich alles umso mehr. Ich weiss, dass es nicht selbstverständlich ist, im richtigen Moment fit und gesund zu sein.

Von Sarah van Berkel am 23. Juli 2021 - 10:58 Uhr