David Carlier ist als Fotograf und Filmemacher in den Bergen unterwegs. Keine Piste zu steil, kein Fels zu glatt – als Outdoor-Fotograf ist er weltweit mit den besten Extremsportlern unterwegs. Selber Bergexperte, kann er Gefahren einschätzen. Und er weiss: Die Natur ist im Zweifelsfall stärker als der Mensch. Entweder man kann sie lesen und sich nach ihr richten, oder man ist auf verlorenem Posten.
Die Gletscher gehörten immer zu seinem Leben. «Sie sind wie eine riesige Schweizer Uhr, die die Zeit in Jahrtausenden misst.» Die Eisströme haben die Landschaft der Schweiz geprägt. Und sie machten sie zum Wasserschloss Europas – von hier aus werden vier grosse Ströme bewässert, die in alle Himmelsrichtungen fliessen. Der Genfersee, durch die Rhone gespiesen, ist der grösste Süsswasserspeicher Europas. «Wenn ich in der Camargue in Südfrankreich die Rhone ins Mittelmeer fliessen sehe, ist es das gleiche Wasser, das bereits durchs Goms geflossen ist», beschreibt es Carlier. Ursprung dieses Lebenselixiers sind Schnee und Eis, die sich im Lauf der Jahreszeiten bilden und wieder schmelzen. Und nun, seit Jahrzehnten, immer mehr schmelzen und nicht mehr nachwachsen. «Wir müssen die Gletscher bewundern, solange wir noch können», sagt der 47-Jährige. Seine Bewunderung äussert sich in Bildern: Schon vor 35 Jahren hat er erstmals Gletscher fotografiert, seit zwei Jahren geht er systematisch und mit grosser Dringlichkeit vor. «Mir wurde bewusst: Eines Tages sind die Gletscher weg, und dann erinnern nur noch Bilder an diese Macht, Kraft und Schönheit.» Mit dem Projekt «Giants in Motion» will er das festhalten, von dem man glaubte, es sei ewig.
Mit einem Ultraleichtflugzeug überfliegt er die riesigen Eisfelder und rapportiert, was nach seiner Überzeugung bald nicht mehr existieren wird. «Die Gletscher schmelzen nicht nur in der Länge, sondern auch in der Dicke in rasendem Tempo. Durch Abbrüche gibt es Löcher in der Eisschicht, im Sommer kann die Sonne tief eindringen und so die Schmelze nochmals beschleunigen.» Die Kritik, dass er selber mit einem Ultraleichtflugzeug unterwegs sei, weist er zurück. «Mit Auto und Bergbahnen zu den Gletschern zu gelangen, würde mehr CO2 ausstossen.»
Der Aletschgletscher, grösster Eisstrom Europas, der Rhonegletscher, die Eisfelder des Monte-Rosa- und des Grand-Combin-Massivs sind seine Sujets. «Ich war so wütend, als ich erkennen musste, wie schnell das Eis schmilzt. Jetzt aber kann ich allen nur raten: ‹Schaut sie euch an, setzt euch hin, etwa auf dem Eggishorn mit Blick auf den Aletschgletscher, beobachtet und erkennt die Schönheit und das Leben der Gletscher.›»
«Geht hin, schaut und erkennt die Schönheit»