Es ist ein Moment für die Ewigkeit, als Cathy Lee, 58, Mary Hong, 75, Tom Lee, 67, und Jerry Lee, 66, am 17. September 1988 mit ihrem Lied «Hand in Hand» die Olympischen Spiele in Seoul eröffnen. Fast vier Milliarden Menschen verfolgen damals den Auftritt vor dem Bildschirm und sind begeistert. Der Olympiasong wird zum Welthit.
Ihr Album verkauft sich mehr als 12 Millionen Mal und klettert in 17 Ländern auf Platz 1, darunter auch in der Schweiz. Ganze 20 Wochen hält sich der Ohrwurm in der Hitparade. «Ein Traum wurde für uns wahr und hat unser Leben für immer verändert», erinnert sich Jerry.
Bereits als kleine Knirpse waren Tom und Jerry Lee erfolgreiche Kinderstars in Korea. Ihre Steptanz- und Gesangskünste waren so perfekt, dass die Brüder als «The Little Puppies» sogar für TV-Auftritte nach Japan, China und Vietnam eingeflogen wurden. Später gründeten sie mit ihrer kleinen Schwester Cathy eine Band und tourten erfolgreich durch Asien. «Doch wir mussten unserer Mutter am Sterbebett versprechen, dass wir unser Glück in Europa versuchen», erklärt Tom.
1975 haben sie dann ihren ersten Gig in der Schweiz: im Dancing Happy Landing in Aarau, wo sie ihren Manager Frank Furrer, 67, kennenlernen. «Pepe Lienhard war zu dieser Zeit mit seinem Sextett und vor allem mit seiner Show der grosse Star», erzählt Furrer. Genau da sieht er die Chance für die sechs Asiaten – damals noch als Arirang Singers unterwegs – und nimmt diese unter seine Fittiche: «Jedes Mitglied spielte mehrere Instrumente und Jerry während der Show sogar Schlagzeug, Bass und Querflöte gleichzeitig. Das war absolut einmalig!» Innert weniger Monate gehört die Gruppe zu den erfolgreichsten Showbands Europas. Sie treten in Dancings, Nightclubs, Discos, aber auch im Fernsehen auf.
«Die Schweiz war unser zweites Zuhause», schwärmt Tom Lee. Besonders die Berge und der Hockeysport begeistern die Südkoreaner. «Wir sind grosse HC-Davos-Fans», so Jerry. Auf Anfrage des Clubs komponieren sie 1981 sogar den Fansong «Go, Go, HCD». Auch Victor Pelli, Executive Producer von der damals weltweit grössten Plattenfirma PolyGram Records, wird auf die Band aufmerksam und nimmt sie sofort unter Vertrag. «Unsere Zusammenarbeit wurde das grösste Abenteuer meines Lebens.» Ihre ersten Alben «Dark Eyes» und «Burning Fantasy» lösen in Asien einen regelrechten Disco-Hype aus, doch in Europa bleibt der gewünschte Durchbruch aus.
Dies ändert sich schlagartig, als die Olympischen Sommerspiele 1988 an Südkorea vergeben werden. Für das Olympische Komitee ist sofort klar, dass nur die «ABBA von Asien» für den Olympiasong infrage kommen. Als Produzent fungiert kein geringerer als Giorgio Moroder, 77, der bereits für die Filmmusik von «Flashdance» und «Top Gun» drei Oscars in seinem Studio in Los Angeles stehen hat. «Eigentlich wollte er kein neues Projekt annehmen, aber als PolyGram ihm sagte, dass es um den Olympiasong geht, fand er plötzlich Zeit», erinnert sich ihr Manager.
Das Sextett wird auf ein Quartett reduziert. Die Geschwister Cathy, Tom und Jerry sowie ihre Schwägerin Mary bilden die neue «Koreana». «Man wollte weg vom Image einer grossen Showband und neu als Gesangsgruppe auftreten», erzählt Cathy und blättert im Fotoalbum. «Schau dir mal unsere Outfits von damals an», sagt Mary lachend. Die schwarz-weissen Kleider wurden vom berühmten Modedesigner Georgio Armani extra für ihren grossen Auftritt entworfen. «Er wollte nichts Farbiges, damit wir uns von den farbenfrohen Darbietungen an der Eröffnungsfeier abheben.»
«Hand in Hand» hat die Band für eine kurze Zeit auf der ganzen Welt zu Superstars gemacht, in Korea hingegen sind sie bis heute lebende Legenden geblieben. Nach dem grossen Erfolg werden ihre Auftritte rarer, und sie kehren in ihre Heimat Korea zurück. «Wir waren müde von der jahrzehntelangen Reiserei und dem Leben aus dem Koffer», erzählt Mary.
Dankbar, durch die Olympischen Spiele ihr grosses Ziel erreicht und das Versprechen gegenüber ihrer Mutter eingelöst zu haben, geben sie in den 90er-Jahren nur noch Benefizkonzerte. «Manchmal haben wir auch unsere Regierung bei Staatsbesuchen in andere Länder begleitet, um dort mit unserem Lied für Frieden und Zusammenarbeit zu werben.»
Doch kurz nach der Jahrtausendwende verabschieden sie sich mit einem gigantischen Wohltätigkeitskonzert von der grossen Bühne. «Fünfzig Jahre sind genug», sagt Tom. Sie geniessen es, Zeit für ihre Familien, für ihre Runden auf dem Golfplatz oder wie heute für einen entspannten Fernsehabend zu haben, um die Schweizer Athleten in Pyeongchang anzufeuern. Ein Auftritt an den diesjährigen Olympischen Spielen kommt für sie nicht infrage: «Heute geht es nicht mehr um den Sport, sondern viel mehr um Politik», sagt Jerry etwas enttäuscht.