Die Tränen sind versiegt, nur ein paar feine rote Ränder um die Augen erinnern noch an sie. In der «Åre Bageri» sitzt Corinne Suter mit ihrer Familie beim Zmittag und lächelt beim Gedanken daran, was sie 24 Stunden vorher hier an der Ski-WM in Schweden erreicht hat: Bronze im Super-G. Endlich ist es aufgegangen. Etwa «drei- bis viermal» mehr Tränen aus Enttäuschung als aus Freude habe die 24-Jährige während ihrer Karriere geweint. Nach dieser Medaille hat sich das Verhältnis wohl etwas ausgeglichen – die Ski-Welt erlebt am Eröffnungstag eine sehr emotionale, sehr glückliche Corinne Suter.
«Auch wir hatten wässrige Augen, als sie zu uns auf die Tribüne hochgewunken hat», sagt Mutter Silvia, von der die Tochter die Sensibilität und die Emotionalität geerbt hat. Stolz ist da und Freude, dass es mit dem ersten Podestplatz von Corinne geklappt hat – ausgerechnet an der WM. «Dass wir dabei sein dürfen, macht es noch einmal schöner.»
Fast die ganze Familie hat Ferien genommen und ist nach Mittelschweden geflogen, so weit wie noch nie für ein Rennen: Mutter Silvia, 56, Vater Bruno, 55, die Brüder Andreas, 27, und Dario, 20. Bloss Bruder Alex, 26, ist in der Schweiz – «jemand muss zu unseren drei Katzen schauen», witzelt die Familie.
Corinne Suter lebt noch bei ihren Eltern in Schwyz, wo sie auch aufgewachsen ist. Die ganze Familie ist sportlich: Leichtathletik, Schwimmen, Fitness stehen auf dem Programm, und natürlich fahren die sechs früher an freien Nachmittagen und am Wochenende auf dem Hausberg Ibergeregg gemeinsam Ski.
Das einzige Mädchen unter drei Brüdern zu sein, weckt Suters Ehrgeiz früh. «Ich wollte unbedingt schneller sein als sie.» Sich gegen die Jungs durchzusetzen, fällt ihr nicht schwer. «Sie ist sehr stark und gibt nie auf, wenn sie etwas will», sagt Andreas. Dennoch fährt sie lange nur zum Spass Ski, bis sie die Lust am Wettkampf so richtig entdeckt. Denn die gelernte Kauffrau hat noch eine weitere Leidenschaft: Pferde. Wenn sie im Sommer zwischen Trainingslagern Zeit findet, verbringt sie diese auch heute noch in einem Stall in Brunnen SZ, wo sie Nikito, das Pferd einer Freundin, reiten und pflegen darf.
Ich musste versuchen, mich mehr auf mich zu konzentrieren.
Es ist nicht nur die Liebe zu Tieren, die Corinne Suter auszeichnet. Sie ist ein Mensch, der sich vieles zu Herzen nimmt, überall und allen zu helfen versucht. Wer sie um etwas bittet, bekommt es. «Sie gibt alles», sagt Mutter Silvia. Was im Leben eine wunderbare Charaktereigenschaft ist, steht Profisportlern oft im Weg. «Man muss halt schon etwas egoistisch sein im Skisport», sagt Suter fast entschuldigend. Wer nicht alles dem Erfolg unterordnet, seine Bedürfnisse fürs Training, die Erholung und das optimale Umfeld ins Zentrum stellt, hat keine Chance gegen die Konkurrenz, die ebendies tut. Für Suter war es schwierig, das zu lernen. «Ich musste versuchen, mich mehr auf mich zu konzentrieren.» Ging es ihr früher allzu nah, wenn es jemand anderem nicht lief, beschäftigt sie das zwar auch heute noch. Sie kann sich mittlerweile aber besser abgrenzen.
Abhaken, nach vorne schauen!
Dazu gehört auch, Negatives im Sport schneller wegstecken zu können. Abhaken, nach vorne schauen, sich auf die nächste Chance konzentrieren: Das klingt einfacher, als es in der Realität ist. Im vergangenen Sommer hatte sie einen grossen Brocken wegzustecken: Im Juni erlitt sie eine Blutvergiftung, hing im Spital zwei Tage am Tropf und musste sogar kurz um ihren Unterschenkel bangen. Zwei Monate war sie von den Medikamenten so müde, dass sie nur schwer trainieren konnte.
In solchen Zeiten sind die Familie und die Betreuer so wichtig, und genau deswegen gab es am Tag ihres Medaillengewinns so viele Tränen. «Viele Leute sehen gar nicht, wer und was alles hinter einer Leistung steckt. Wenn es mal nicht so läuft, brauchst du Menschen, die dir gut zureden, damit du wirklich nie aufgibst.»
Diese Menschen werden auch am Sonntag bei der WM-Abfahrt bei ihr sein. Wenn das Gleichgewicht zwischen Tränen der Freude und Enttäuschung vielleicht noch ein bisschen mehr hergestellt wird.