Drei Dinge hat Doris Leuthard, 55, auf ihren Reisen als Bundesrätin dabei. Nummer eins ist ein lila Koffer, Marke Rimowa, an einer Ecke bereits etwas lädiert. Kleider für vier Tage, zwei Länder und 24 offizielle Termine finden darin Platz. Die Bundesrätin bereist Vietnam und Thailand nur mit Handgepäck. «Mittlerweile weiss ich, was ich brauche und was nicht», sagt sie. Nach zwölf Jahren im Amt weiss sie auch, dass es noch zwei weitere wichtige Dinge gibt auf solchen Reisen. Doch dazu später.
Wir haben Verantwortung gegenüber dem Planeten und der Gesellschaft
Hanoi. Doris Leuthard will die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Vietnam stärken. Hier steht Lenin noch auf dem Sockel, Hammer und Sichel hängen in trauter Eintracht an einer Brücke. Vietnam wird von einer kommunistischen Einheitspartei regiert. Pressefreiheit gibts nicht, dafür Korruption und Todesstrafe. Gleichzeitig ist Vietnams Wirtschaft auf der Überholspur: Fast 7 Prozent Wachstum pro Jahr – in der Schweiz sind es 1 bis 2 Prozent. Das lockt Investoren an und sorgt für Goldgräberstimmung.
Doris Leuthard hat bei ihrer Reise neun Vertreter von Schweizer Firmen dabei. Zum Beispiel vom Energiekonzern ABB oder von Brugg Cables, einem Stromkabelhersteller aus dem Aargau. Ihnen will die Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Kontakte verschaffen und Türen öffnen. Aber nicht um jeden Preis: «Es geht nicht nur ums Business», sagt Leuthard. «Geld zu machen, ist einfach, aber wir haben auch eine Verantwortung gegenüber dem Planeten und der Gesellschaft.»
Diese Botschaft versucht sie auch den vietnamesischen Politikern nahezubringen, die sie bei ihrem Besuch trifft. «Wir wollen nicht, dass Vietnam die gleichen Fehler macht wie die Industrieländer in der Vergangenheit», sagt Leuthard bei einem Forum zu grünem Wirtschaftswachstum. «Ich verstehe, dass sich die Menschen hier ein besseres Leben wünschen. Aber das geht auch auf nachhaltige Weise. Die Schweiz ist der Beweis dafür.»
Leuthard ist es egal, wer ihr gegenübersitzt
Zwischenmahlzeit in einem der vielen Strassenrestaurants in Hanoi: Gewusel, Gehupe, Gerüche. «Diese Suppe ist unglaublich gut!» Leider hat Doris Leuthard während des kurzen Fotoshootings zwischen zwei offiziellen Terminen nur Zeit für ein paar Bissen. «Sie müssen probieren!» – und sie ist erst zufrieden, als ihre Begleiterin ebenfalls kostet.
Doris Leuthard sucht die Nähe. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihr ein Cafébesitzer gegenübersitzt oder der Premierminister. Sie hört zu, lächelt, sucht Blickkontakt und macht ab und zu einen Witz. «Ich bin eine ältere Dame!», scherzt sie, als sie dem Energieminister erzählt, dass sie bereits zweimal Schweizer Bundespräsidentin war.
Diese Schlagfertigkeit kann selten in Patzigkeit umschlagen. Aber meist macht ihr Charme die steifen Treffen lockerer, überbrückt Verlegenheit und Sprachbarrieren. Leuthards Englisch ist dabei so breit und deutlich wie ihr Hochdeutsch. Das mag nicht gerade kosmopolitisch klingen, passt aber zu ihrem klaren Auftreten.
Bei manchen Ratschlägen in Richtung ihrer Gastgeber hebt Doris Leuthard mahnend den Zeigfinger, um einen Punkt zu betonen. Arrogant wirkt sie trotzdem nicht. Grund dafür ist das zweite Mitbringsel auf dieser Reise: ihr Charme!
Kommunismus und Kronleuchter
In Vietnam unterhält sich die Bundesrätin unter anderem mit Premierminister Nguyen Xuan Phuc. Er spricht leise und empfängt in einem prunkvollen Palast. Kommunismus und Kronleuchter schliessen einander nicht aus. Man habe über das Luftverkehrsabkommen gesprochen, sagt Leuthard danach.
Mit dessen Unterzeichnung ist ab Herbst der Weg frei für zwei wöchentliche Verbindungen der Edelweiss von Zürich direkt nach Ho Chi Minh City. Wann die Schweiz mit Vietnam ein Freihandelsabkommen abschliesst, bleibt aber ungewiss. «Dafür braucht es den Willen beider Länder», sagt Leuthard.
Szenenwechsel: Leuthard und ihre Delegation machen einen Abstecher nach Bangkok, Thailand. Hier war seit sieben Jahren kein Bundesrat mehr auf offiziellem Besuch. «Wir wollten warten, bis Thailand wieder eine Verfassung hat», sagt Leuthard. Die Situation im Land bleibt verworren. Seit dem Militärputsch 2014 warten die Thailänder darauf, ein neues Parlament wählen zu dürfen.
Auch hier betont Doris Leuthard die Wichtigkeit von Transparenz und Umweltschutz. Immerhin: Der stellvertretende Premierminister bietet der Schweiz eine «strategische Partnerschaft» an. «Was das genau heisst, wissen wir noch nicht», sagt Leuthard. «Aber es ist ein gutes Zeichen.»
Neben ihrem lila Koffer und einer Portion Charme hat Doris Leuthard bei dieser Reise noch etwas Drittes dabei: Ausdauer. Nach mehreren Terminen und einem Abendessen beim Schweizer Botschafter in Bangkok schlägt sie vor, einen Blumenmarkt zu besuchen. Der Botschafter bietet seine Dienste als rassiger Fahrer an, Leuthards persönliche Mitarbeiterin, ihr Pressesprecher, zwei Delegationsmitglieder und die Journalistin quetschen sich ins Auto. Der Fotograf muss leider im Hotel bleiben. Auf dem Blumenmarkt sind fast nur Einheimische unterwegs, für ein Bündel Orchideen zahlt man wenige Franken. Doris Leuthard kauft sich welche in Violett, Gelb und Grün.
Mittlerweile ist es nach Mitternacht, die Luft ist so feucht wie warm. Am nächsten Tag steht wieder ein sehr dichtes Programm an. Aber es wäre doch schade, so wenig von Bangkok gesehen zu haben! Also noch auf einen Drink in die Rooftop-Bar. Auf dem Weg zur Hochhaus-Terrasse erinnert sich Doris Leuthard an ein Mitbringsel aus Bangkok, das sie ihrem Mann einst heimgebracht hat. «Ein T-Shirt mit der Aufschrift ‹I don’t need Google, my wife knows everything›.» Schallendes Gelächter.
Einfach rumsitzen kann ich definitiv nicht
In der Bar dann der umwerfende Blick auf die Skyline von Bangkok. Ein Moment der Freizeit für die Bundesrätin und ihr Team. «Auf diesen Reisen ist es wichtig, auch mal über Dinge zu reden, die nichts mit Politik zu tun haben», sagt Leuthard. «An mir ist eine Reiseführerin verloren gegangen», bilanziert sie lachend, bevor es um zwei Uhr morgens zurück ins Hotel geht.
Nach ihrem Rücktritt aus dem Bundesrat könnte sie doch ein Reisebüro aufmachen? Leuthard winkt schmunzelnd ab. «Ich freue mich darauf, dass ich dann etwas weniger arbeiten werde», sagt sie. «Mehr Zeit für Freunde und Familie – und mehr Freiheit!» Gut möglich, dass sie sich für ein gemeinnütziges Projekt engagiert. «Ich habe noch keine konkreten Pläne, aber einfach rumsitzen kann ich definitiv nicht.»
Den Zeitpunkt ihres Rücktritts habe sie noch nicht festgelegt, spätestens im Herbst 2019 sei es so weit. «Es kommt, wie es kommt», sagt sie mit einem schelmischen, aber wissenden Lächeln. Bis dann vertritt sie die Schweiz weiterhin in der ganzen Welt. Mit Ausdauer, Charme – und ihrem lila Koffer.