Gross, dünn, schön: Eine Schaufensterpuppe ist der Inbegriff von Makellosigkeit und eine Vorlage für den idealen Körper. Normalerweise. Was aber, wenn die Figur für einmal total aus dem Rahmen fällt? Wenn sie verkürzte Gliedmassen hat oder eine krumme Wirbelsäule? Jasmin Rechsteiner, 32, macht die Probe aufs Exempel und nimmt beim Experiment der Pro Infirmis zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung teil. Der Körper der Ex-Miss-Handicap wurde massstabgetreu als Puppe nachgebaut und steht am Dienstag, 3. Dezember, im Schaufenster des Modehauses Modissa an der Zürcher Bahnhofstrasse. Vier weitere prominente Aushängeschilder sind ebenfalls in Schaufenstern der Einkaufsmeile zu betrachten. Ziel der Aktion: die Passanten irritieren und sensibilisieren.
«Für mich ist das eine ideale Gelegenheit, um mich für die Inklusion einzusetzen. Dafür, dass jeder Mensch das Recht hat, ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein», erklärt die einstige Schönheitskönigin im Interview mit SI online. «Ich weiss, wie die Leute auf meinen Körper reagieren. Jetzt bekommen sie ihn noch im Schaufenster vorgeführt. Und wer rechnet beim Bummeln schon mit einer solchen Konfrontation?»
Jasmin ist mit einer Kyphoskoliose, einer unheilbaren Mehrfachverkrümmung der Wirbelsäule zur Welt gekommen. Die Thurgauerin ist nur 131 Zentimeter gross und auf dem rechten Ohr taub - die Folge einer Hirnhautentzündung, die sie während einen ihrer zahlreichen Spitalaufenthalte bekam. Mit 16 verbrachte sie gar ein ganzes Jahr im Krankenhaus, ohne Operationen hätten ihr die Ärzte damals höchstens fünf Jahre zu leben gegeben. Jasmin hätte ersticken können. Heute verfügt sie wegen ihrer Behinderung nur über ein Drittel des normalen Lungenvolumens und kommt dank Medikamenten mit ihren Schmerzen klar. «Ich habe bessere und schlechtere Tage», sagt sie. Das Mühsame sei, dass die Schmerzen jeweils unvorhergesehen und plötzlich auftauchen. «Ich lasse mir nicht gerne von ihnen meinen Alltag bestimmen.»
Jasmin versucht, ihr Leben so normal wie möglich zu meistern. Inzwischen lebt sie alleine in einer Zweieinhalbzimmerwohnung in Bern und arbeitet 50 Prozent als Sozialversicherungsfachfrau, besitzt ausserdem ein Visagisten-Diplom. Und trotzdem ist sie anders als der Rest. Das wurde ihr einmal mehr vor Augen geführt, als sie erstmals auf ihre eigene Schaufensterpuppe traf. «Eine total spezielle Situation, wenn man sein dreidimensionales Abbild sieht.» Viel mehr als die Behinderung irritierte sie aber noch etwas anderes: «Die Puppe war voll nackt», berichtet sie lachend.
Inzwischen wurde sie eingekleidet. Puppe Jasmin trägt jetzt ein schwarzes Paillettenkleid und steht im Modissa-Schaufenster. Wie lange sie dort auf die Passanten schauen wird, ist laut Pro Infirmis noch unklar. Nach vollendeter Aktion würde die Ex-Miss-Handicap ihre Doppelgängerin jedenfalls gerne mit nach Hause nehmen. «Das wäre cool», sagt sie. Schliesslich sei ihr Körper ja die grösste Herausforderung für den Puppenhersteller gewesen, wie sie stolz berichtet.