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HC-Davos-Trainer Arno del Curto

«Eishockeybesessen muss man in meinem Job sein»

Sechsmal Meister, fünfmal Spengler-Cup-Sieger und länger im Traineramt als jeder andere. Der St. Moritzer Arno Del Curto ist ein Monument des Schweizer Sports. Und er gehört zum HC Davos wie Capuns in ein Bündner Kochbuch oder der Steinbock ins Kantonswappen. Im grossen Interview erklärt er, wie es zum ewigen Bund kam, weshalb er rote Teppiche meidet und warum er nicht immer ein guter Vater war.

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Arno Del Curto

Arno Del Curto ist ein Mann der Extreme – und seit 21 Jahren Trainer des Eishockey-Klubs HC Davos.

Sandro Bäbler

SI: Sie stehen in Ihrer 22. Saison als Trainer des HC Davos …
Arno Del Curto: Das kann sein.

Im europäischen Mannschaftsport weist nur Arsène Wenger vom englischen Fussballklub Arsenal eine ebenso grosse Beständigkeit aus.
Nicht ganz. Wenger trat seinen Job in London sechs Monate nach mir an. Aber er ist auch acht Jahre älter.

Was halten sie vom Franzosen?
Sehr viel. Wenger war es, der den Fussball modernisierte – vor allen anderen. Er hat das gemacht und das gezeigt, was heute alle kopieren wollen.

Ist Klubtreue in diesem aufgeheizten Geschäft nicht mehr gefragt?
Vermutlich. Aber mein langes Engagement in Davos ist nicht in erster Linie emotional zu erklären, sondern vor allem auf die Situation und die Klubstrukturen zurückzuführen. Ich habe hier die Mannschaft zusammengestellt, wie es Wenger in London gemacht hat. Das verstärkt die Bindung zum Verein. Unser Modell ist gleich wie das vieler englischer Fussballklubs. Auch Alex Ferguson hat bei Manchester United alles gemacht – während 27 Jahren. Ich mache beim HC Davos ebenfalls beides – wenn auch in einem überschaubareren Umfeld.

Das heisst, Sie können Davos gar nicht verlassen?
Die Verantwortung den Spielern gegenüber ist viel grösser – vor allem bei den Jungen. Du kannst doch nicht im Frühling Talente nach Davos locken und ein paar Monate später sagen: Tschau zäme! Wenn man junge Spieler holt, repräsentiert man den Klub und verkauft eine Idee. Und weil meine Loyalität und meine Werteskala in einem konservativen Bereich liegen, kann ich nicht einfach davonlaufen. Deshalb bin ich 2010 nicht nach St. Petersburg gegangen. Ich hatte den Russen eigentlich zugesagt. Aber ich stand in Davos in der Verantwortung – nicht vertraglich, aber menschlich.

Sie leisteten einen Treueschwur für die Ewigkeit?
Nein, es waren die Umstände. Aber man muss aufpassen. Irgendwann hat man den richtigen Moment verpasst, zurückzutreten. Ich hatte in den vergangenen Jahren oft das Gefühl: Jetzt hast du eine Saison zu viel gemacht.

Was bedeutet für Sie Erfolg?
Erfolg ist, wenn man mit zwei jungen Torhütern nicht taucht. Normalerweise holt man in unserer Situation der vergangenen Saison irgendwann einen ausländischen Goalie. Normalerweise stürzt man ins Playout. Normalerweise spielt man gegen denAbstieg. Wir aber verloren das Gleichgewicht nicht. Erfolg ist für mich, wenn man sich trotz erschwerten Bedingungen positiv entwickelt.

Gibt es nach 21 Jahren im gleichen Job keine Abnützungserscheinungen?
Bei mir nicht. Für das Umfeld kann ich nicht sprechen. Es ist sicher nicht einfach, wenn du 21 Jahre das gleiche Gesicht siehst und die gleiche Stimme hörst – auch wenn sich Inhalt und Tonalität ändern. In 21 Jahren bekommt man graue Haare, einen Bauch und ein Doppelkinn.

Arno Del Curto

Del Curto (hinten l.) im vierten Drittel am Jasstisch mit seinen langjährigen Schlüsselspielern Michel Riesen, Sandro Rizzi und Reto von Arx (v. l.)

Toto Marti/Blicksport

Das ist bei Ihnen nicht passiert.
(lacht) Bei den Haaren kann man nachhelfen. Aber es ist trotzdem nicht so einfach. Man muss sich immer wieder verändern. Aber auch da gibt es eine Grenze. Man kann sich nicht tausendfach neu erfinden – weder persönlich noch sportlich.

Sie haben den Erfolg nach Davos zurückgebracht – den ersten Meistertitel nach 17 Jahren, den ersten Spengler-Cup-Sieg nach 42 Jahren.
Das war nicht ich allein. Wir brachten den Erfolg zurück. Wir! Aber man muss vorsichtig sein. Wir bewegen uns hier oben auf schmalem Grat. Wir sind nicht in der Agglomeration einer grossen Stadt – wir haben weder wirtschaftlich noch zuschauermässig ein erstklassiges Einzugsgebiet. Wir sind an der Peripherie und können uns nur über die Ausbildung junger Spieler positionieren. Wir müssen dem Nachwuchs etwas bieten, das seinesgleichen sucht – dass jeder Junge sagt: Wow! Ich muss unbedingt zum HC Davos.

Mit anderen Worten: Ich muss unbedingt zu Del Curto.
Nein, auf keinen Fall. Hier geht es um die 16-Jährigen – und im Nachwuchs spiele ich keine Rolle. Die Junioren müssen wir durch die bestmöglichen Bedingungen nach Davos holen. Es geht um den HCD – und der wird weiter funktionieren, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Mit mir gewann der HC Davos sechs Meistertitel – ohne mich waren es 25.

Arno Del Curto sei ein Eishockey-Besessener, heisst es. Denken Sie 24 Stunden am Tag an Eishockey?
Eishockeybesessen muss man in meinem Job sein. Und es gibt Phasen – wie jetzt –, in denen die Ausbildung im Vordergrund steht, in denen intensiv an Automatismen und taktischen Feinheiten gearbeitet werden muss, dann denke ich wirklich 24 Stunden am Tag ans Eishockey. Es gibt selbst in negativen Momenten immer einen Weg zum Fortschritt. Deshalb habe ich in einem Flieger auch diese Papiertüte mitgenommen. (Del Curto zeigt auf einen Sack mit der Zeile «Auch schlechte Zeiten gehen vorbei.») Aber grundsätzlich kann ich locker abschalten, um ein Buch zu lesen oder Musik zu hören. Wobei: Gute Musik kann sich zum Weiterentwickeln von Eishockey eignen. Du kannst ja nicht verhindern, dass dir Gedanken an deinen Job kommen. Aber nein: Wenn ich eine Runde Golf spiele oder mit Kollegen zusammen bin, kann ich mich ablenken – viel besser als noch vor einigen Jahren.

Welches Ideal verfolgen Sie?
Ich suche nach einer Perfektionierung im Zusammenspiel meiner Mannschaft und im blinden Verständnis der Spieler untereinander – im schnellen Auslösen, im kontrollierten Auslösen, im Umschalten in der Mittelzone, im Druckausüben in der Defensivzone. Doch in der Schweiz steht den Spielern oft die Mentalität im Weg – es fehlt am unbedingten Willen, noch besser zu werden.

Sie sprechen den Schweizer Eishockeyspielern die Siegermentalität ab?
Die Schweizer Mentalität ist in Ordnung. Aber ich suche nach der Perfektion. Ich spreche von der hohen Schule. Ich muss immer das Beispiel aus dem Fussball bringen: Was Wenger mit Arsenal machte, was Guardiola mit Barcelona und mit Bayern machte, was Klopp mit Dortmund machte und jetzt mit Liverpool macht; selbst wie es Simeone mit Atletico Madrid macht – ohne die ganz grossen Spieler – das ist der Massstab. Das verstehe ich unter hoher Schule.

Themawechsel. Was denken Sie, wenn Sie am Abend die Nachrichten am Fernsehen schauen?
Ich habe drei Monate nach der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten aufgehört, Nachrichtensendungen zu schauen. Ich konnte es nicht ertragen, wie Trump mit einem einzigen Tweet die ganze Welt in den Ausnahmezustand versetzt. 24 Stunden drehte sich alles um die paar Zeichen – auf SRF, CNN, BBC, ARD, RAI – überall.

Sie waren über Trumps Botschaft bestürzt?
Nein. Ich weiss schon gar nicht mehr, um was es ging. Aber die Hysterie, die das auslöste, war mir zu viel. Wie alle dieKurzmeldung auseinandernahmen, sezierten und analysierten. Das wurde mir eine Nummer zu blöd. Seither habe ich keine Newssendung mehr geschaut.

Sie sind ein Mann der kompromisslosen Entscheide.
Das kann man sagen. Und vielleicht ists ja auch im Eishockey so. Wenn ich 22 Jahre beim gleichen Klub bin, könnte es sein, dass plötzlich die Einsicht kommt: Jetzt geht es nicht mehr. Jetzt ist fertig.

Ich hätte kein Problem zurückzutreten, wenn der Erfolg nicht mehr da wäre

Das wäre tatsächlich möglich?
Ja, wenn ich sehe, wie es mit meinem Medienkonsum passiert ist, schliesse ich es nicht aus. Mein Entscheid ist nicht langsam gereift – ich suchte ihn nicht. Es war eine spontane Handlung, weil mir die Situation auf den Wecker ging.

Findet man Sie auf Facebook oder auf Twitter?
Nein. Es war bereits ein grosser Schritt, dass ich mir vor einem halben Jahr eine E-Mail-Adresse eingerichtet habe. Es stellte sich als schrecklich heraus. Ich habe die Adresse vielleicht 10, 15 Personen gegeben – und einer schreibt mir permanent. Das ist nicht zum Zuschauen. Aus dem Ausland. Jesses, Jesses! Er schreibt mir ein Mail nach dem anderen. Wenn ich alles lesen würde, wäre ich permanent beschäftigt. Allen anderen habe ich gesagt: Es ist gut möglich, dass ich die Mails gar nie anschaue. Ich habe die Adresse nur eröffnet, weil ich im Internet eine App laden wollte.

Sie haben Ihr Flair für die Musik erwähnt. Spielen Sie noch immer Klavier?
Nein. Aber wenn irgendwo ein Piano steht, setze ich mich hin und probiere es. Aber es geht nicht mehr gut. Ich bin aus der Übung.

An Rockkonzerte gehen Sie noch?
Ja – ich schaue gern «Rage Against the Machine», und ich schaue gern «Rammstein». Wenn die im Land sind, gehe ich hin. Auch die englische Band «Muse» gefällt mir.

Gehen Sie mit Spielern an die Konzerte?
Nein, nicht mehr. Aber einige Spieler haben auch Tickets – und dann sieht man sich plötzlich.

Ist das nicht ein wenig komisch?
Nein – wieso soll das komisch sein?

Immerhin liegen ein oder zwei Generationen zwischen Ihnen und den Spielern.
Aber was diese Musik betrifft, bin ich viel tiefer verankert als meine Spieler. Sie hören diese Musik – ich habe die Musik intensiv gehört und mich eingehend damit befasst. Obwohl ich ein alter Sack bin, müssten die Spieler dankbar sein, wenn sie mir an einem Konzert grüezi sagen dürfen. (lacht)

Arno Del Curto

Der HCD-Trainer hat ein ganz eigenes Verhältnis zu den Medien. Sich selbst möchte er nicht im Fokus sehen. Das schafft mitunter Unverständnis.

Toto Marti/Blicksport

Sie pflegen alle Dinge mit einer gewissen Intensität zu machen?
Ja – was mich interessiert, definitiv. Über «Rage Against the Machine» und «Rammstein» habe ich Bücher gelesen. Ich kenne die Bandmitglieder und habe schon mit ihnen gesprochen.

Lassen sich Musiker mit Eishockeyspielern vergleichen?
Nein. Aber gewisse Musiker kann man als Freiheitskämpfer bezeichnen – beispielsweise den früheren «Rage»-Leadsänger, Zack de la Rocha. Er hat sich für ein besseres Mexiko eingesetzt: für gerechtere Arbeitsbedingungen und gegen die Grosskonzerne und die soziale Ungerechtigkeit. Der Mann hat seine Popularität für soziale Anliegen genutzt. Das beeindruckt mich.

Würden Sie sich als Fan bezeichnen?
Nein. Aber ich höre diese Musik gern, und ich sehe die Shows gern. Letztes Jahr war ich an einem Openair-Konzert von «Rammstein» in Luzern. Ein perfekter Abend, geil.

Sie sprechen nicht wie ein 61-Jähriger.
Das vielleicht Schönste an meinem Beruf ist, dass ich den ganzen Tag mit jungen Menschen zusammen bin – mit 18-Jährigen, 19-Jährigen, 20-Jährigen. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb Arsène Wenger so lange dabei ist. Ein schöneres Geschenk kann man sich im Leben nicht vorstellen.

So bleibt man jung?
Vermutlich. Und man lernt viel.

Was lernen Sie von Ihren Spielern?
Man sieht alle Trends, alle. Und man lernt die Technik der modernen Kommunikation. Man sieht die neuen Modestile. In derMusik erlebt man die Vielseitigkeit: House, Deep-House, Gothic, Pop, Dance und, und, und. Das ist fantastisch. Man hört die Musik und erkennt, dass einem vieles gefällt. Ich verschliesse mich vor nichts. Wenn ich an meine Eltern denke, war das früher anders. Sie sind fast durchgedreht, wenn sie meine Musik hörten. Sie verstanden nie, dass ich beispielsweise «Led Zeppelin» gut finde.

Sie machen sich in den Medien rar, zieren sich bei Fototerminen, schlugen bisher jede Einladung ins «Sportpanorama» desSchweizer Fernsehens aus. Weshalb?
Ich will nicht mehr viele Bilder von mir sehen – schliesslich weiss ich nicht, wie lange ich noch im Business bin. Ich habe nicht gern, wenn man mir den roten Teppich ausrollt. Ich will ganz normal leben – will auch nicht um ein Image kämpfen. Es ist mir angenehmer, mich aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. In den Medien werden gelegentlich Menschen auf ein Podium gehoben, die völlig unbedeutend sind. Diese Rolle will ich nicht spielen. Es liegt nicht an mir, die Menschen zu belehren. Aber ins «Sportpanorama» gehe ich – allerdings erst nach meinem letzten Match als Trainer.

Drei Monate nach Trumps Trumps Wahl habe ich aufghört Nachrichten zu schauen.

Um Himmels willen! Nein. Das ist leicht übertrieben. Aber wenn ich in der Politik wäre, würde ich machen, was ich sage.

Weshalb gingen Sie nicht in die Politik?
Das war nie ein Thema. Ich kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen.

Wenn Sie schon nicht nationales Kultur- gut sein wollen – dann zumindest noch mal Nationaltrainer. Irgendwie wäre die Schweizer Eishockey-Geschichte sonst nicht fertiggeschrieben.
Jetzt haben wir Patrick Fischer als Nationaltrainer. Und das ist gut so.

Ist diese Tür für Sie zu?
Wenn sich Fischer entschliesst, 20 Jahre Nationaltrainer zu bleiben, ist die Tür zu. Wenn Fischer in zwei oder drei Jahren aber wieder in einen Klub will, ist die Tür offen. Dann lautet die Frage: Will ich das, oder will ich das nicht? Da ich das erst dann entscheiden müsste, weiss ich nicht, was ich sagen würde.

Also ist die Chance vorhanden?
Eigentlich ist es nicht wichtig, dass ich noch Nationaltrainer werde. Ich bin kein Trophäensammler. Ich muss nicht zwingend Alex Ferguson überholen, um zufrieden zu sein. Und es ist mir egal, wenn Arsène Wenger länger im Amt bleibt als ich. Nationaltrainer zu werden, nur damit ich es auch noch war, ist kein Beweggrund.

Ihr Sohn ist ebenfalls Eishockeytrainer. Geben Sie ihm Tipps?
Er ist Trainer in einem Drittligaklub (den Eisbären St. Gallen/die Red.). Das ist bloss Plausch und Hobby. Wenn er zu Hause ist, sprechen wir manchmal über taktische Dinge. Aber er hat eine berufliche Karriere im Finanzbereich eingeschlagen – und da wird es mit dem Eishockey auf hohem Niveau praktisch unmöglich. Du kannst nicht beides machen.

Würden Sie Ihrem Sohn zu einer Trainerkarriere raten?
Nein, nein, nein, auf keinen Fall. Es sieht momentan auch nicht danach aus. Falls es doch dazu kommen sollte, würde ich ihm helfen. Er ist mein Sohn – obwohl ich in der Erziehung wohl einiges falsch gemacht habe und ihm zu viel durchgehen liess. Yannick ist mein Sohn, und ich liebe ihn. Und wenn es ihm schlecht läuft, leide ich mit. Wir haben ein Super-Verhältnis, wir verbringen viel Zeit zusammen. Das ist schön.

Mit dem Namen Del Curto ist er vorbelastet. Kann dies im Eishockey eine Hypothek sein?
Ja – und das merkt man in gewissen Momenten. Das ist nicht gut. Auch er muss vorsichtig sein, was er in der Öffentlichkeit sagt und wie er sich verhält. Wir sprechen manchmal darüber. Yannick lebt in gewissem Sinn in einem Dilemma: Gelegentlich benutzt er meine Bekanntheit, gelegentlich macht er sich darüber lustig – um seine Eigenständigkeit zu demonstrieren. Das ist vermutlich bei vielen Söhnen berühmter Väter so. Deshalb muss man als Vater auch verzeihen können.

Von Thomas Renggli am 3. November 2017 - 18:08 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 13:04 Uhr