1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Heidi Maria Glössner wird 75: «Ich bin ein Stehaufweibchen»

Die Grande Dame wird 75

Heidi Maria Glössner: «Ich bin ein Stehaufweibchen»

Ganz oben, aber noch lange nicht am Ende: Schauspielerin Heidi Maria Glössner wird 75! Und schaut gleichzeitig auf 50 Jahre Bühnenkarriere mit legendären Rollen zurück. Auch ihre eigene Biografie ist filmreif.

Artikel teilen

Ein tiefes Lachen, wache blaue Augen, eine Figur wie eine junge Frau. Flugs klettert Heidi Maria Glössner im Stadttheater Bern unter einem Piano durch, um den Rand der frisch gestrichenen Bühne ohne Farbflecken zu erreichen. Unbestritten: Trotz Grande-Dame-Status gehört die Schauspielerin noch lange nicht zum alten Eisen.

«50 Jahre soll ich erzählen? Da sitzen wir ja morgen noch hier! Nein, es sind sogar 75 !», merkt sie selbst belustigt an. Denn am 20. Oktober darf sie gleich zweimal feiern: Ihren 75. Geburtstag und ihr 50-Jahr-Bühnenjubiläum. Vor den leeren Rängen erinnert sie sich an ihr Debüt 1968 als Dienerin Sophie in Schillers «Kabale und Liebe». «Ich war so aufgeregt. In der Generalprobe stand ich der Lady Milford auf der Schleppe. Sie lief los, und das Kleid riss komplett. Wie peinlich!»

Heidi Maria Glössner

Die Anfänge: Im Stadttheater Bern startet Heidi Maria Glössner 1968 ihre Schauspielkarriere. 50 Jahre Bühne feiert sie mit Matinee und Lesungen.

Geri Born

«Ich bin nicht nachtragend»

In der Garderobe des Theaters angekommen, holt sie aus ihrer Tasche ein kleines Album mit Schwarz-Weiss-Fotos ihrer ersten Rollen hervor. «Alles sauber eingeklebt und beschriftet. Das machte ich danach nie wieder», muss sie lachen. Überbordende Märchenkostüme, fast zu gross für die junge Heidi. Doch bald werden die Rollen tragender, selbstbewusst überzeugt die Glössner im spacigen Sixties-Look.

Am Theater liebt sie die Proben mehr als die Momente im Rampenlicht, wird Schauspielerin, um in die Haut eines anderen zu schlüpfen und Geschichten zu erzählen. Bis heute zweifelt sie keine Sekunde an ihrem Traumberuf, auch wenn ihr durch Intrigen anderer zweimal eine Wunschrolle entging. «Aber ich bin nicht nachtragend.»

Heidi Maria Glössner

Aktiv: Seit über 25 Jahren ist Glössner in Bern unterwegs. Zum 75. Geburtstag bekommt sie die Ehrenmedaille der Burgergemeinde.

Geri Born

Damals und heute. Betrachtet Heidi Maria Glössner Porträts von sich auf dem gemütlichen Sofa ihrer Berner Wohnung, langweilt es sie fast, dass sie immer die Gleiche geblieben ist. Ein paar Falten mehr, die Haare sind grau geworden. Aber sonst? Sie zuckt mit den Schultern. «75? Das ist nun mein Alter, offenbar. Aber ich fühle mich topfit. Abgesehen davon.» Sie deutet auf den Mittelfinger, der ein bisschen dicker ist als die anderen. Arthrose. «So fangen die kleinen Dinge an, die mich irgendwann einschränken werden. Aber da es mir gerade so gut geht, ist die 75 nur eine Zahl.»

Das Trauma verfolgt Glössner lang

Sie liebt das Leben. Während andere in ihrem Alter stricken, spielt sie lieber Alkoholikerin oder böse Clanchefin, reist in die USA und geht gerne ins Kasino. Ist das Leben denn ein Spiel? «Das ist es. Leider oft ein sehr ernstes. Ich kämpfte in meinem Leben auch mit Abschieden, schlimmen Enttäuschungen und Schicksalsschlägen», sagt sie nachdenklich.

Gar nicht spielerisch beginnt ihr Leben 1943 in Deutschland. Um ihr Baby vor den Fliegerbomben in Karlsruhe zu schützen, bringt Mutter Maria sie nach Niederuzwil SG zur besten Freundin. Ihre Mutter war hier bei einem Onkel aufgewachsen. Der Plan, mit Heidis zwölf Jahre älterem Bruder Walter nachzukommen, geht nicht auf. Die Grenze ist zu.

Dean Martin servierte mir Black-Russian-Cocktails

In ihren frühsten Kindheitserinnerungen sieht sich Heidi Maria Glössner Schoggistängeli durch die Maschen des Grenzzauns in Konstanz stecken. Ihre Mutter steht auf der anderen Seite. «Und wir konnten nicht zueinander.» Dieses Grenztrauma verfolgt Glössner lang. Aber sie entgeht in ihrer neuen Heimat dem Hunger im zerstörten Nachkriegsdeutschland. «Meine Kindheit war glücklich. Ich wuchs bei einfachen, aber wunderbaren Menschen auf.» Ihre Pflegemama, eine Schneiderin, blieb unverheiratet und kinder los. «Ich war ihr grosses Glück», sagt Glössner heute und erinnert sich an erste Verkleidungsspiele aus der Stofftruhe.

Heidi Maria Glössner

Kater Chili: Die Maine-Coon-Katze wiegt über zehn Kilo. «Er sieht aus wie ein Löwe», findet Glössner.

Geri Born

«Ich bin ein Kind dieser Liebe»

Nach der Kantonsschule lebt Glössner mit ihrer leiblichen Mutter und ihrem Bruder ein Jahr in Kalifornien. Nachts feiert sie Partys mit Filmstars und Musikgrössen. Schnell findet die schöne Heidi einen guten Freund: «Michael war damals uralt, nämlich 33. Er liess mir von Dean Martin in dessen Bar am Sunset Strip Black-Russian-Cocktails servieren!» Nur bei einem Kasinobesuch mit ihrer Mutter und Walter in Las Vegas wird die damals 20-Jährige rausgeworfen. Mindestalter: 21! «Obwohl ich wahnsinnig geschminkt war und zur Tarnung eine Sonnenbrille trug», lacht sie heute. Spiel verloren.

Mancher Stein kommt erst spät ins Rollen. Mit 33 Jahren erfährt Heidi Maria Glössner erstmals von dem Gerücht, dass sie nicht die Tochter ihres Vaters Wilhelm Glössner sei, der Ende des Krieges in einem Gefängnis starb. Die Ungewissheit belastet die Schauspielerin aber kaum. «Ich fands spannend.» Dennoch traut sie sich erst kurz vor dem Tod ihrer Mutter, nachzufragen. Und die berichtet von einer echten Liebesgeschichte in den Wirren des Krieges.

Heidi Maria Glössner

Freundschaft: In Adrian hat die Schauspielerin einen «guten Freund» gefunden.

Olivia Pulver

Immer wieder werden bei der vehementen Nazi-Gegnerin Gestapo-Offiziere und andere Soldaten einquartiert. So auch ein bulgarischer Ingenieuragronom, der mit den Nazis gegen die Kommunisten kämpft und an der Technischen Universität Karlsruhe doktoriert. Der 30-Jährige verliebt sich in Maria Glössner, die damals schon über 40 ist. Heidi Maria Glössner sagt heute: «Ich bin ein Kind dieser Liebe.» Noch während des Krieges kommt der Bulgare ums Leben. Seinen Namen hat die Mutter mit über 90, wie sie sagt, vergessen. Glössner will nun nicht auf Spurensuche gehen.

«Ich wäre am liebsten von einer Brücke gesprungen»

Sie verbringt lieber Zeit mit der nächsten Generation. Ihre Enkelinnen sind drei und eins. «Man muss jede Sekunde auf sie aufpassen. Selbst die Kleine läuft schon. Da ist nichts mehr sicher. Aber ich liebe die beiden Schätze. Da darf es auch mal ein Kekschen extra sein

Heidi Maria Glössner

Familie: Die Schauspielerin mit ihrem Sohn Volker und Schwiegertochter Ana Maria. Heute ist sie Grossmutter von zwei Mädchen.

David Biedert

Schaut sie auf ihr bisheriges Leben zurück, ist sie fest überzeugt: «Alles hat seine Richtigkeit. Wenn wir leiden, sehen wir den Sinn nicht. Aber der Schmerz gehört zum Leben.» Ihr einziger Liebeskummer habe sie mit 46 Jahren in die grösste persönliche Krise gestürzt. «Mein Partner verliebte sich in eine andere und verliess mich. Das ist legitim, aber mich hat es fast umgebracht. Ich war so traurig, dass ich am liebsten von einer Brücke gesprungen wäre.» Im Nachhinein findet sie es richtig, dass sie diese Gefühle durchleben musste, ihren anderen Männern sei schliesslich sie «davongelaufen». Nach sechs Monaten ist der Schmerz plötzlich vorbei: «Ich fühlte mich gleich zehn Zentimeter grösser. Ich hätte in die Welt hinausfliegen können.»

Heidi Maria Glössner

Facettenreich: «Oh, das war in ‹Annie Get Your Gun›», erinnert sich Heidi Maria Glössner an eine ihrer vielen Musicalrollen.

Geri Born

Das Schicksal spielt ihr wieder in die Hände, und sie findet im Italiener Giovanni die ganz grosse Liebe. Eine Fernbeziehung zwischen Bern und Süditalien. «Ich war 23 Jahre mit ihm zusammen, bis zu seinem Tod.» Heute wünscht sie sich keine feste Partnerschaft mehr. Die Zeit für eine grosse Liebe sei vorbei. «Aber ich habe eine sehr innige Freundschaft mit Adrian, einem lieben und spannenden Berner Architekten», erzählt die Schauspielerin. Jeder hat sein Leben und seine Familie. Beide lassen sich gegenseitig viel Raum. Das passt bestens zur aufgestellten Grande Dame, die alles so spielerisch meistert. «Ich bin ein Stehaufweibchen.»

Von Michèle Graf am 20. Oktober 2018 - 06:00 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 11:57 Uhr