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Mister Handicap 2012

«Ich sollte nicht mehr hier sein»

Seit einer Hirnblutung ist Michael Fässler linksseitig gelähmt. Er musste sein Leben wieder bei Null anfangen. Heute spielt der Mister Handicap 2012 im Rollstuhl Profi-Tischtennis.

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Jeden Tag hat Michael Fässler, 24, viele Hürden zu bewältigen. Dinge wie Reissverschluss schliessen, Gemüse rüsten oder Treppen steigen bereiten ihm Mühe und benötigen Zeit. 14 Stufen führen in seiner Maisonette-Wohnung in Sissach BL von der Stube ins Schlafzimmer. Die Treppe wollte er – als tägliche Herausforderung.

Eine Hirnblutung 2005 machte den Mister Handicap 2012 zum Hemiplegiker – seine linke Körperseite ist gelähmt. Während eines Eishockeyspiels bei den Elitejunioren des SCB bricht er ohne Fremdeinwirkung zusammen. Was er nicht wusste: Seine Hirngefässe waren schon immer zu eng, die Hirnblutung eine Frage der Zeit. Nach einer Notoperation und einem Monat im Koma wacht Michael auf. «Ich sollte gar nicht mehr hier sein und hatte grosses Glück.» Sein Traum vom Eishockey-Profispieler? Abrupt beendet.

In der Rehabilitation in Basel befällt ihn ein neuer Sportvirus: Tischtennis. Seit 2007 spielt er im Nationalkader für Tischtennis im Rollstuhl, belegt in der Weltrangliste Platz 58. Den Rollstuhl benötigt Michael nur im Sport oder bei langen Anlässen, da durch die Hirnverletzung seine Konzentration nachgelassen hat und er schneller erschöpft ist. Zu Hause steht der Rollstuhl neben der Treppe. «Er ist mein Trainingsgerät.» Für unsportliche Anlässe besitzt er einen zweiten – «einen für schön». Dank seiner IV-Rente und Sponsoren, die er auf eigene Faust gesucht hat, kann Michael vom Profisport leben. Die Roger Federer Foundation übernahm eine Patenschaft. «Roger ist mein Vorbild. Neben den Paralympics ist es mein grösster Traum, einmal gegen ihn Tischtennis zu spielen.»

Ein anderer Wunsch ging für Michael bereits in Erfüllung. Im Tischtennislager lernt er vor einem halben Jahr Daniela, 21, kennen. Eine ohne «Samariter-Effekt», wie Michael die Frauen mit Helfersyndrom nennt. Von denen gibt es seiner Meinung nach genug. Bereits kurz nach dem Unfall hatte er ein erstes Date und sah sich mit der Frage konfrontiert: Was, wenn ich aufs WC muss und den Reissverschluss nicht selber schliessen kann? Wenig trinken und ein erweiterter Hosenschlitz, damit es einfacher geht, halfen.

In der Beziehung mit Daniela spielt seine Behinderung keine grosse Rolle. «Ausser dass es spannend ist, meine Sexualität wieder neu zu entdecken.» Michael lächelt, seine rechte Gesichtshälfte etwas mehr als die linke wegen der Lähmung. Als eitler Mensch will er sein Lächeln verbessern. Denn was wäre ein Leben ohne tägliche Herausforderungen?

Von Aurelia Robles am 3. November 2012 - 02:03 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 23:16 Uhr