Nach 11 Uhr flattert etwas Zürich in die 2-Zimmer-Wohnung in Kandersteg BE. Jürg Randegger, 83, schnappt sich den Lokalteil des Zürcher «Tages-Anzeigers». «Wegen dem Sport», so der Fussball-Fan. Gattin Susanne, 80, beginnt mit dem Hauptbund. Seit Oktober 2017 ist die Zeitung ins Bergdorf umgeleitet. «Wir sind aber nicht weg vom Fenster!», sagt der Zürcher Kabarettist.
Jedoch weg von Zürich, wo das Ehepaar 43 Jahre in derselben Wohnung nahe dem Römerhof gelebt hat. Wegen Totalsanierung mussten sie ausziehen, vier Zimmer, Winde, Keller und Garage räumen, ihr Hab und Gut sortieren und viel wegwerfen. «Ich hatte Angst vor dem Zügeln», gesteht sie. «Und es war zehnmal so schlimm, wie wir es uns vorgestellt hatten. Aber jetzt ist es irgendwie befreiend.» – «Dich hat es noch mehr mitgenommen als mich», sagt er.
«Wir wollen möglichst lange für uns schauen»
«Chum, Meitli» – die Cabaret-Rotstift- und «Samschtig-Jass»-Legende giesst den Kaffee in zwei mit ihren Namen angeschriebene Tassen. Ein «Bhaltis» von Freunden. «In meinem Alter ist man froh, wenn etwas an den eigenen Namen erinnert», witzelt er. Viel haben sie nicht ins Berner Oberland mitgenommen, denn hier ist alles vorhanden. Seit 20 Jahren mieten sie die Ferienwohnung. In Kandersteg verbrachten sie mit ihren Kindern Eva, 52, und Hans, 49, regelmässig die Familienskiferien. So war schnell klar, dass sie temporär hierher umsiedeln würden. «Für den kleinen Rest, den wir noch haben, wollten wir nicht nach einer neuen Wohnung suchen.»
Angemeldet sind sie weiterhin in Zürich, beim Sohn, und bei der Tochter haben sie ein Zimmer zur Verfügung. «Alterswohnungen waren auch ein Thema, aber schöne, wie im Tertianum, können wir uns nicht leisten», sagt der pensionierte Primarschullehrer. «Es ist auch Lebensqualität, wenn man sich noch selbst versorgen und bewegen kann. Deshalb wollen wir möglichst lange für uns schauen.» Bei der Sterbehilfe ist das Paar angemeldet, Testament und Verfügungen sind geregelt.
Gemeinsames Lachen als Geheimnis einer guten Beziehung
«Kandersteg ist ein schönes Dörfli, hat kein hässliches Haus», sinniert Randegger. «Es ist natürlich etwas enger hier, und wir ‹hocked ufenand obe›. Aber weil wir uns noch gut mögen, ist das kein Problem.» In Zürich hatte er ein Zimmer, in dem er die Fussballspiele mit einem Glas gutem Whisky und einer Zigarre geniessen konnte. In Kandersteg ist es kleiner – und rauchfrei. «Dafür muss Susanne nun mit mir Fussballspiele schauen.»
Das Paar, das seit 54 Jahren verheiratet ist, wandert und liest gern. «Alles liegt direkt vor der Türe.» In der Gemeindebibliothek haben sie Geschichten aus der Gegend als Lesestoff für sich entdeckt. «Früher hat mir mein lieber Mann im Bett noch vorgelesen. Das könnten wir wieder aufleben lassen…» – «…Du willst nur besser einschlafen können!» Gemeinsames Lachen, das sei das Geheimnis einer guten Beziehung, sagen beide.
Randeggers letzter Auftritt
Momentan lernt Jürg Randegger zudem für das Stück «Trittligass – Cabaretistische Züri-Ballade». Im April steht er nochmals an mehreren Abenden im Miller’s Studio in Zürich auf der Bühne. «Ich habe noch selten so glückliche Zuschauer wie bei diesem Stück gesehen», sagt er. «Ich freue mich wahnsinnig – danach ist aber fertig!» Im Frühjahr 2019 ist auch das Haus, wo sie früher wohnten, wieder bezugsbereit. Ob sie dann zurück nach Zürich siedeln? «Vermutlich», sagt er. «Je nachdem, ob der neue Besitzer uns die Wohnung vermietet.»
«Chum jetzt, Vater», mahnt sie. Hier in Kandersteg erledigt sich der Abwasch nicht von allein. «Auch darin sind wir ein unschlagbares Team», sagt er und greift zum Geschirrtuch.