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Kariem Hussein ohne Freundin Serap im Trainingscamp

«Ich muss jeden Tag Guthaben kaufen, um zu skypen»

Im Winter weilte Hürdenstar Kariem Hussein für drei Wochen in Südafrika - im Trainingslager. Seine Freundin Serap Yavuz blieb in der Schweiz zurück. Wie es für das frisch verliebte Paar war, drei Wochen getrennt zu sein, wie sie die Distanz überwunden haben und ob er sich Kinder wünscht, verrät der Spitzensportler der «Schweizer Illustrierten».

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Die Füsse baumeln im Wasser, Kariem Hussein hat es sich am Rand des Pools gemütlich gemacht und versucht geduldig, lange Luftballons zu Figuren zu formen. Neben ihm bläst Moreno, 4, die Ballone mit einer kleinen Pumpe auf. Manchmal platzen sie, bevor Hussein seine Fingerfertigkeit unter Beweis stellen kann. Dackel Baillie schläft nebenan. Nachmittagsidylle im Baillie’s Manor Guest House, knapp zwei Autostunden ausserhalb von Johannesburg.

Viele Schweizer Kader-Leichtathleten und ambitionierte Läufer reisen im Winter in den südafrikanischen Sommer. «Hier kann ich mich völlig auf Training und Erholung konzentrieren», hält Hussein, 27, fest. Die Wärme, die für Sprintermuskeln besonders wichtig ist, die optimale Infrastruktur der Sportanlagen, nur eine Stunde Zeitverschiebung und der Direktflug ab Zürich machen Potchefstroom zum perfekten Trainingsort.

Ich mag Kinder sehr. Bei mir sind sie aber noch kein Thema

Hier ist der Europameister über 400 Meter Hürden neben dem Sportler vor allem eines: Held von Moreno, dem Sohn seines Trainers Flavio Zberg. Der Knirps lässt Kariem keine Minute aus den Augen, schlägt mit ihm im Garten Golfbälle, spielt mit der von Hussein gebastelten Steinschleuder oder sitzt ihm beim Znacht auf dem Schoss. Während die Athleten trainieren, sändelet Moreno mit seiner Schwester Roberta, 1, und Mami Stephanie im Weitsprungkasten. «Es ist schön, wenn Flavio die Familie dabei hat», sagt Hussein. «Ich mag Kinder. Aber auch, wenn man sie wieder abgeben kann. Bei mir sind sie noch kein Thema.»

5.30 Uhr, es ist längst hell. Hussein schaut putzmunter aus dem Autofenster und witzelt: «Wir hätten doch schon eine Stunde früher gehen können.» Das Fotoshooting für die Olympiaausgabe der «SI SPORT» findet auf einem Hügel statt. Es regnet stark, mit dem Wind ergibt das richtig unangenehme und kühle Bedingungen. Trotzdem posiert Hussein barfuss und im Anzug für die Bilder, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Haltung, Körpergefühl, Gesichtsausdruck - die Rolle des smarten, coolen Typen muss er nicht mimen. Die Gesundheit geht schliesslich aber doch vor, im starken Regen wird abgebrochen.

7 Uhr. Bei der Rückkehr ins Hotel fährt noch ein anderes Auto vor: Antidoping Schweiz ist für einen Tag nach Südafrika geflogen, um Blut und Urin des besten Schweizer Leichtathleten zu kontrollieren. Dürfen wir die Blutabnahme fotografieren? «Unbedingt», sagt Hussein. «Die Leute sollen sehen, dass ich getestet werde.» Im Schnitt kommen die Kontrolleure alle zwei Wochen bei ihm vorbei. Während die Teamkolleginnen, die für die Dopingtests aus den Betten geholt wurden, im Halbschlaf an den Tisch schlurfen, sitzt Hussein hellwach vor der Vielzahl Tüten und Fläschchen. Und bereitet mit der Routine des angehenden Arztes und viel getesteten Athleten alles vor. Blut darf er sich allerdings nicht selbst abnehmen.

16 Uhr. Ein Regenbogen spannt sich über das Trainingsgelände, die Regentropfen stören in der Hitze nicht. Hussein ist während der Übungen völlig auf sich und seinen Körper konzentriert. Zweimal täglich fahren die Gruppen zu den zwei vorhandenen 400-Meter-Bahnen oder in den riesigen Kraftraum, in dem auch Rugbyspieler mit unvorstellbaren Oberschenkel- und Brustumfängen stöhnend ihre Gewichte stemmen. Am liebsten mag es Hussein, wenns im Frühling richtig disziplinenspezifisch wird; im Winter werden die Elemente noch nicht zusammengesetzt, und er läuft in einem Training zum Beispiel 15-mal 200 Meter ganz ohne Hürden.

18 Uhr. Die Schuhe sind ordentlich aufgereiht, das Zimmer aufgeräumt, ein Dutzend Döschen mit Mikronährstoffen steht in der Küchennische. Hussein sitzt auf dem Hotelbett, den Laptop auf dem Schoss - seine Verbindung zur Schweiz. Seit vergangenem Spätsommer ist er mit der Moderatorin Serap Yavuz zusammen. «Ich muss jeden Tag neues Internetguthaben kaufen, um zu skypen.» Es ist nicht ganz einfach, so frisch verliebt für zweimal drei Wochen wegzugehen. «Natürlich wäre es schön, wenn sie hier wäre. Aber es ist mein Beruf, das gehört dazu. Und danach freuen wir uns aufeinander.» Nur dem Plausch dienen seine Zimmeraufenthalte aber nicht. Ein paar Bücher hat der Medizinstudent dabei, lernt ab und zu oder setzt sich mit eventuellen Themen seiner kommenden Doktorarbeit auseinander. Favorit: Nierenzysten.

19.30 Uhr. Die grosse Holztafel ist das Herzstück jedes Abends. Hier sitzen alle an einem Tisch, während grosse Teller mit viel Fleisch aufgetischt werden: Antilopen wie Kudu oder Springbock, dazu stets Gemüse. Die Gastgeber Susan und JJ, die ihr Guesthouse zu einer familiären Oase der Ruhe gemacht haben, erfüllen den Sportlern fast jeden Wunsch. Hussein etwa isst Dinkel statt Weizen, bekommt eigenes Brot. Beim Glas Wein, bei dem die Athletinnen und Athleten mal dabei sind, mal nicht, wird über Leichtathletik gesprochen, aber auch über bevorstehende Wahlen. Hussein ist interessiert, braucht zu Tisch «aber nicht immer die grossen Diskussionen».

Ich darf auch mal Schwäche zeigen

Dabei will er durchaus reden, wenn ihn etwas beschäftigt. Auch zu Hause, wo er das Gespräch mit den Eltern oder mit Trainer Flavio sucht. Letztes Jahr hat er dies zu wenig gemacht, wie er im Nachhinein festgestellt hat. Letztes Jahr, als er erstmals eine Saison als Europameister bestritt, als alle Augen auf ihn gerichtet waren und neben dem Sport und den Praktika fürs Medizinstudium plötzlich noch etliche weitere Termine auf ihn zukamen. Da kam er sich manchmal mehr als gefordert vor, doch er schwieg. «Ich bin schon ein ruhiger Typ, deshalb wirke ich wohl oft auch ausgeglichen. Und dann will ich vielleicht auch bei den Eltern so rüberkommen», sagt er. «Aber das muss ich gar nicht. Man muss nicht immer der Starke sein und soll auch Schwächen zeigen können.»

Ein Reifeprozess des Menschen und Sportlers Hussein, der diese Saison an EM und Olympia brillieren will. Diesen Monat absolviert er ein Praktikum in der Sportmedizin. Und dann regiert bis Herbst nur noch der Sport.

Von Eva Breitenstein am 30. März 2016 - 05:30 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:18 Uhr