Bin ich noch jung? Ich bin 28, also zumindest erwachsen. Alle unter 20 halten mich wahrscheinlich eher für alt. Aber nun denn. Die Leser*innenschaft wird wohl selbst entscheiden können, ob ich diese Kategorie noch erfülle. Um jedoch etwas zum Vornherein klarzustellen: Ich kann nicht für andere Frauen sprechen. Weder für alte noch für junge noch für zeitlose. Genauso wenig, wie das ein Mann könnte. Oder sonst irgendwer.
Da beginnt es also schon: Eine allgemeingültige Antwort darauf, wie es sich anfühlt, in der Schweiz eine (vermeintlich junge) Frau zu sein, kann ich nicht geben. Aber ich kann versuchen zu beschreiben, wie es sich für mich persönlich anfühlt.
Wenn ich Sport mache, hüpfen meine Brüste.
Nicht das, was Sie wissen wollten? Okay. Dann vielleicht so: Ich lebe im Patriarchat, und der eben gelesene Satz wird sexualisiert, obwohl er nichts mit Sex zu tun hat. Das ist jetzt zu krass? Na gut, vielleicht bin ich ein wenig steil eingestiegen. Fangen wir noch mal von vorne an. Hallo. Mein Name ist Lisa, ich mache Spoken Word und Kabarett und schreibe Kolumnen. Meine Hobbys sind Schreiben, Lesen, mich mit Freund*innen treffen und Feminismus.
Es gab mal einen Artikel in der Migros-Zeitung über mich mit dem Titel «Die wütende Prinzessin», aus dem die meisten Leute vor allem mitgenommen haben, dass ich meinen Besitztümern Namen gebe, was an sich nicht komplett falsch ist – für mein Leben, meine Werte und das, was ich zu sagen habe, jedoch komplett irrelevant. Ich wage zu bezweifeln, dass ein Artikel über einen Mann mit gleichem Inhalt den Titel «Der wütende Prinz» getragen hätte und dass daraus diejenigen Informationen gefiltert worden wären, die am wenigsten über ihn und seinen Beruf aussagen.
Man merkt: Ich mag es nicht, aufgrund meines Geschlechts anders behandelt zu werden, und bin nicht die bequemste Person, wenn es um gesellschaftliche Standards geht. Obwohl ich Bequemlichkeit wirklich sehr geniesse und morgens gerne lange liegen bleibe. Ein Paradox? Mitnichten. Es ist nämlich sehr anstrengend, die immer gleichen Dinge den immer gleichen Leuten mit den immer gleichen Gegenargumenten darzulegen. Dinge zu erörtern, die schon in der ersten und zweiten Feminismus-Welle aufgekommen sind und längst zum Status quo gehören sollten.
Gerade in einem Land, in dem die Möglichkeiten zur Umsetzung so vielfältig wären und es an Geld auch wirklich nicht mangelt. Dass Frauen auch ohne Nachwuchs oder Partner*in vollwertige Wesen sind, dass Frauen keine Dinge sind, die man besitzen kann, dass sie ein uneingeschränktes Recht über ihren eigenen Körper haben sollten, dass Frauenkörper kein Allgemeingut sind, dass weibliche Lust existent und wichtig ist, dass Transfrauen auch Frauen sind, dass nonbinäre Menschen Menschen sind, dass weinende Männer normal sein sollten, dass stereotype Rollenmodelle allen Menschen schaden, dass eine Frauenquote durchaus sinnvoll sein kann, dass struktureller Sexismus nichts mit Sex zu tun hat und dass er in uns allen nistet, weil wir alle in einem System aufgewachsen sind, das uns gewisse Verhaltensweisen angelernt hat.
Es gibt auch die guten Momente
Dass es auch für mich schwierig ist, das Richtige zu tun, und es mir nicht immer gelingt, aber es dennoch wichtig und unerlässlich ist, sich selbst und die eigene Rolle ebenso wie die der Menschen um einen herum immer wieder zu hinterfragen und zu überprüfen. Das alles immer und immer wieder in allen Einzelheiten wiederzugeben und zu erklären, obwohl ich weder dafür bezahlt, geschweige denn gelobt werde oder mir gedankt wird, ist aufreibend und zermürbend.
Aber es gibt auch die guten Momente. Die, die mich für all die anstrengenden Gespräche entlohnen. Weil mein Gegenüber wirklich zuhört und versucht zu verstehen. In denen ich merke, dass ich etwas in Gang gesetzt habe. Vielleicht nur einen kleinen Zweifel gesät habe, aber einen, der Wurzeln schlägt und irgendwann Blüten treiben wird. Blüten von Zukunftsvisionen, von Utopien fernab unterdrückender, benachteiligender Gesellschaftsstrukturen, weit weg vom Patriarchat.
Vielleicht könnte man sagen: Als junge Frau in der Schweiz zu leben, heisst leider immer noch, ständig damit konfrontiert zu werden, dass man eben kein Mann ist. Ob man will oder nicht. Dabei wäre es so einfach, endlich durchzusetzen, was schon lange versprochen wurde: die Gleichstellung aller Geschlechter.