Wo Milo Moiré, 32, auftaucht, sorgt sie für Irritation. Manche schauen verschämt weg, wenn die Konzeptkünstlerin aus der Innerschweiz die Hüllen fallen lässt. Andere wagen den visuellen Frontalangriff, können sich an ihrem makellosen Körper kaum sattsehen. Kinder reagieren am spontansten: «Mami, warum ist die Frau nackt? Hat sie nichts zum Anziehen?» «Kids haben keinen ‹dirty mind›, keine schmutzigen Gedanken», sagt Moiré, die während ihrer Aktionen hoch konzentriert agiert. Ihre stylische Wohnung in einem noblen Düsseldorfer Stadtkreis teilt sie mit Freund Peter Palm.
Vor zehn Jahren lernen sie sich bei einem Modeshooting kennen - sie: Ex-Model mit Psychologie-Abschluss an der Uni Bern, er: Promi-Fotograf. Seit sechs Jahren teilen sie nun Tisch und Bett. 2014 lässt Milo Moiré an der Art Cologne erstmals Eier voll Farbe aus ihrer Vagina auf die Leinwand fallen. Die Aktion «PlopEgg» sorgt von Tokio bis New York für Wirbel. Ein Resultat der Eier-Performance hängt bei ihr im Wohnzimmer. Das farbige Riesenbild, mit dem sie den Akt der Empfängnis und die Geburt thematisiert. Auf «PlopEgg#2 Art Basel - The liquid born» kleben noch die leeren Eierschalen auf der Leinwand.
Schweizer Illustrierte: Milo Moiré, wer sind Sie?
Milo Moiré: Meine wahre Identität gebe ich nicht preis, um meine Familie und meine Privatsphäre zu schützen.
Sie sprechen perfekt Schweizerdeutsch. Ihrem Dialekt nach kommen Sie aus der Innerschweiz. Was sagen Ihre Eltern zu Ihrer Karriere?
Wir haben einen guten Kontakt und telefonieren häufig. Sie reagieren ziemlich entspannt, akzeptieren, was ich mache. An einer Performance haben sie aber noch nie teilgenommen.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Auftritt planen?
Ich bin Konzeptkünstlerin, entwickle im Vorfeld eine Idee und beginne dann mit der Umsetzung. Auch wenn sich Performance-Kunst immer durch Spontanität auszeichnet, ist alles akribisch geplant. Das Wichtigste ist, dass ich dabei ein gutes Gefühl habe. Peter ist immer an meiner Seite. Seit ich noch bekannter geworden bin, haben wir Bodyguards engagiert. Es macht wenig Sinn, wenn mich Betrunkene anpöbeln oder Randalierer eine Performance stören.
Kam es schon mal zu einem Eklat?
Ist das Restrisiko zu gross, führen wir die Aktion gar nicht erst durch. Wenn ich mich wie letztes Jahr nackt während der Art Basel zeige, ist der Ausgang ebenso offen wie in Münster, als ich mit dem Neugeborenen einer Freundin die Ausstellung «Das nackte Leben» besuchte. Die Verantwortlichen waren so irritiert, dass ich erst nach einer gewissen Zeit aufgefordert wurde, das Museum zu verlassen.
Kritiker werfen Ihnen vor, Pornografie statt Kunst zu machen.
Nacktheit ist so natürlich wie das Atmen und trotzdem eines der grössten Tabus in unserer Gesellschaft. Der Körper ist für mich weder gut noch böse, sondern ein Werkzeug für meine Botschaft. In meinen Performances verändere ich die Wahrnehmung. Ich durchbreche automatisierte Handlungsabläufe, rüttle die Menschen aus ihrer Alltagsblindheit auf. Die meisten nehmen ihre Umwelt kaum wahr. Sie handeln jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit nach denselben stereotypen Abläufen - bis sie im Tram einer Nackten begegnen, die so tut, als trage sie Kleider.
Es ist nicht meine Aufgabe, Kunst zu machen, die allen gefällt
Überraschen Sie die zum Teil heftigen Reaktionen?
Ich bin selber schockiert, wenn die Leute schockiert sind. Meine Weiblichkeit und Körperlichkeit, die sich durch eine starke physische Präsenz offenbart, macht offenbar Angst. Das ist seltsam. Niemand stört sich an den Parallelwelten, in denen hemmungslos Pornografie konsumiert, nach aussen aber die Moralkeule geschwungen wird. Meine Botschaft ist simpel: Der Mensch existiert ohne sexuelle Inhalte nicht.
Viele Frauen haben mit Sexismus zu kämpfen. Tun Sie ihnen einen Gefallen?
Ich appelliere an die Eigenverantwortung, sich nicht instrumentalisieren zu lassen - auch nicht im feministischen Sinne, denn ich mag diese Kategorisierungen nicht. Was ich mache, ist ein starkes Motiv für Männer und für Frauen - sich ihrer Stärke, Würde und Ursprünglichkeit bewusst zu sein. Mein höchstes Gut ist die Freiheit, dafür stehe ich mit meiner Kunst ein, dafür suche ich den Dialog.
Reagieren Männer anders als Frauen?
Ich arbeite hoch konzentriert, kriege die Reaktionen vor Ort nicht mit. Kinder sind am unbefangensten. Ich habe mir deren kindliche Neugierde und das Interesse am Experimentellen zu eigen gemacht. Männer reagieren stark auf sexuelle Reize, während Frauen mehr hinterfragen.
Sind Frauen die strengeren Kritiker?
Das weibliche Auge ist trainiert, sich ständig mit Geschlechtsgenossinnen zu vergleichen. Schon kleinen Mädchen wird das eingeimpft. Das entfacht Neid. Ich selber finde es ganz normal, eine schöne Frau anzuschauen. Ist sie auch noch intelligent, ist das für manche wohl zu viel.
Bio-Eier haben eine harte Schale und zerbrechen nicht in der Vagina
Verdanken Sie Ihren makellosen Körper guten Genen, oder steckt harte Arbeit dahinter?
Ich mache zweimal in der Woche Yoga und spielte als Kind Tennis im Kader der Nationalliga. Sport ist für mich eine Selbstverständlichkeit, zu der ich mich nicht zwingen muss. Ich gehe nie zur Kosmetikerin, liebe es aber, mit Farben und Make-up zu experimentieren.
Haben Sie chirurgisch nachgeholfen?
Ich liess mir einzig die Brüste machen, weil es mir gefiel - dazu stehe ich.
Sie sind jetzt 32. Haben Sie Angst vor dem Alter, dem körperlichen Verfall?
Nein, Themen wie Vergänglichkeit und Hässlichkeit haben in der Kunst ihren Platz. In zehn Jahren werde ich noch besser sein als heute.
Sind Kinder ein Thema?
Ich habe so viele Geburten realisiert, dass ich mir darüber keine Gedanken mache. Die Kunst ist mein Kind.
Schlüpfen Sie bei einer Performance in eine Rolle?
Ich bin immer ich selber, agiere aus dem Moment heraus. Die Besucher werden ebenfalls zu Akteuren, je nachdem tragen auch sie Verantwortung für ihr Verhalten. Gemeinsam erschaffen wir eine Spannung, die jede Performance einmalig macht.
Mit Ihren «PlopEggs» gehen Sie noch einen Schritt weiter. Wann wird es zu intim?
Es ist nicht meine Absicht, Kunst zu machen, die allen gefällt. Ich will Grenzen überschreiten. Das Ei steht für die Urform der Entstehung des Lebens. Die Einführung des Eis in die Vagina symbolisiert die Empfängnis - danach folgt der Geburtsakt. Was als Gesamtkunstwerk auf die Leinwand gebracht wird und in einem anderen Kontext eine neue Bedeutung erhält, polarisiert - nicht der Akt selbst.
Wie läuft Ihr «Akt der Empfängnis» genau ab?
Ich habe für die perfekte Umsetzung lange wie eine Wissenschaftlerin herumgetüftelt. Die meisten Eier sind Hybride, stammen aus Mischzuchten und haben eine dünne Schale. Am besten sind Eier von Rasse-Hühnern. Deren Schale ist dicker, zerbricht nicht in der Vagina. Ich blase die Eier aus. Koche sie, um die Keime abzutöten. Dann fülle ich sie je nach Konzept mit Farbe. Für das Bild «PlopEgg#2 Art Basel» mischte ich Glitzerpartikel bei und klebte Hunderternoten auf die Leinwand. Auf Mauritius, wo meine letzte Performance auf einem Felsen stattfand, erinnern die Farben ans Meer und den Himmel. An der Art Cologne fand der Akt der Empfängnis hinter einem Tuch statt.
Wo hatten Sie Ihren ersten Nackt-Auftritt?
In Barcelona auf der Strasse. Es gefiel mir, war aber auch verstörend. Ich versetzte mich in die Perspektive der Betrachter, was mich noch nervöser machte.
Warum haben Sie Psychologie und nicht Kunstgeschichte studiert?
Ich malte und werkelte schon als Kind. Für meine Lehrer war klar, dass ich ein kreatives Potenzial besitze. Ich habe mich für die Psychologie entschieden, weil sie in jedem Lebensbereich anwendbar ist. Nach meinem Lic. phil. I hätte ich den Doktortitel machen können, was meine Eltern gefreut hätte. Mit der Zeit merkte ich, dass mein Herz mehr für die Kunst schlägt und ich immer da hinwollte, wo ich heute bin.
Hat Sie Marina Abramovic, die Grande Dame der Performence-Kunst, beeinflusst?
2006 hörte ich im Urlaub auf Teneriffa ein Interview mit ihr. Mich überkam ein Schaudern, die Tiefe ihrer Worte berührte mich. Dass man den Körper als Medium für die Kunst nutzen kann, war mir fremd. Diese Intensität hatte ich in der bildenden Kunst so nie erlebt.
Verdienen Sie Geld mit Ihren Projekten?
Für Performance-Kunst gibt es noch keinen Markt. Aber meine Bilder finden ihre Käufer. Ich möchte meine Werke und Objekte in Museen und in renommierten Galerien präsentieren. Ich finde, dass an den bedeutenden Kunstmessen die Zahlen dominieren. Sie sind zu Events geworden, bei denen die Käufer nicht durch Experimentierfreudigkeit bei Laune gehalten werden. Eine Prise Lockerheit würde da nicht schaden.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Im MoMa in New York.