Über Coco Chanel gibt es unzählige Filme, Dokumentationen, Bücher, Ausstellungen, jeder und jede rund um den Globus kennt den Namen und das Signet der gespiegelten Cs. Beim Namen Elsa Schiaparelli klingelt es nur bei den wenigsten – so klangvoll der Name auch ist. Die beiden waren Zeitgenossinnen und Rivalinnen, bekämpften sich zeitlebens mit Inbrunst. Dass Schiap (ausgesprochen Skiap, so nannte sie sich selber, sie mochte ihren deutschen Vornamen nicht und fand ihren Nachnamen unaussprechlich) so wenig im kollektiven Gedächtnis verankert ist, ist eigentlich rätselhaft.
Über die gebürtige Römerin, die in Paris, London und New York lebte und wirkte, gibt es gerade mal die Autobiografie «Shocking Life» (Verlag Parthas), 2014 erschienen und heute vergriffen. (Wir haben das Buch damals auf dem STYLE-Blog hymnisch besprochen.) Dabei müsste Schiaparelli in einem Atemzug genannt werden mit ihrer Konkurrentin Chanel, wenn es um die Verdienste in der Modebranche geht. Schiaparelli leistete Pionierarbeit in vielerlei Hinsicht. Sie war die Erste, die ein Parfum unter eigenem Namen kreierte: «Shocking Pink», nach ihrer Lieblingsfarbe. Dem pinken Flakon lieh 1937 die Hollywood-Diva Mae West ihre Kurven. Schiaparelli brachte als erste Designerin auch Schuhe, Handschuhe, Uhren, Schmuck und Badekleider mit ihrem Namen auf den Markt. Und 1936 führte sie den sichtbaren Reissverschluss in der Haute Couture ein.
Lange vor ihrem grossen Bewunderer Yves Saint Laurent steckte Schiap ihre prominenten Kundinnen wie Katharine Hepburn oder Marlene Dietrich in Hosenanzüge und Damensmokings. Wie hilfreich VIPs fürs Geschäft sind, hatte sie als Erste früh erkannt. Wallis Simpson posierte 1937, kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Herzog von Windsor, dem abgedankten König von England, in einem Abendkleid, bei dem ein Hummer über ihre Hüfte kroch. Das sorgte für einen weiteren Skandal, so wie es Schiap und Wallis liebten.
Nicht skandalös, aber neu waren ihre Wickelröcke und -kleider. Die gabs bei Elsa schon Dekaden, bevor Diane von Fürstenberg dafür berühmt wurde. Die breiten Schultern, die Armani und Versace in den 1980er-Jahren so liebten und die jetzt wieder ein Revival feiern, hatte Schiap ein halbes Jahrhundert vorher schon geschneidert. Beziehungsweise schneidern lassen – das Handwerk hatte sie nie gelernt. Auch der Military- und Camouflage-Look, den John Galliano und Marc Jacobs später aufwärmten, gabs schon bei Schiap. Der legendäre Skelett-Pulli mit eingestrickten Rippen dürfte die Begeisterung für Totenköpfe bei Alexander McQueen befeuert haben. Sogar die Provokation von Lady Gaga, die 2010 im Fleischkleid zur MTV-Awards-Show erschien, scheint von Schiaparelli inspiriert: Bei ihr gabs in der Vorkriegszeit Hüte und Roben aus Lammkotelett-Imitaten. Dass Lady Gaga, eine der aufregendsten und vielseitigsten Künstlerinnen der Gegenwart, von der Exzentrikerin aus der Dada-Ära schwärmt, liegt nah. Beide beherrschen die Kunst der Provokation und haben den Mut, weiterzugehen, als der jeweilige Zeitgeist vorgibt. Ihrem Idol huldigte Lady Gaga aufs Allerschönste, als sie 2021 bei der Amtseinführung von Präsident Joe Biden eine Schiaparelli-Kreation trug – die war sogar kugelsicher. Auf der Schulter des Kleides prangte eine Friedenstaube. Mit solchen hatte Elsa Schiaparelli bei Kriegsausbruch im September 1939 ihren Salon in Paris geschmückt, bevor sie sich nach Amerika absetzte.
Sie war schon als junge Frau nach Amerika gegangen, mit ihrem Ehemann, dem Grafen Wilhelm de Wendt de Kerlor, den sie in London traf und spontan heiratete. Sie wollte nix wie weg von ihrem konservativen Elternhaus, dem Professorenvater und der aristokratischen Mutter. Die Eltern hatten die frühreife Tochter in ein Schweizer Internat gesteckt. Hier sprang sie aus dem Fenster, inspiriert von Mary Poppins. Ein Regenschirm bremste den Sturz kaum, Elsa verletzte sich schwer, entkam aber dem Internat. In London hielt sie sich als Kindermädchen – wie Mary Poppins – über Wasser. Da kam eben ein Graf wie gerufen. In New York, wo das junge Paar in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte, lernte Elsa die Surrealisten Man Ray, Francis Picabia und Marcel Duchamp kennen. Deren Ideen sollten Schiaparelli zeitlebens begleiten und inspirieren. Nachdem der Graf wegen einer Affäre Frau und Kind sitzen gelassen hatte, ging Elsa mit Tochter Gogo nach Paris. Auf Flohmärkten suchte sie Antiquitäten zusammen, die sie weiterverkaufte. Und sie verdingte sich als Gesellschafterin reicher Damen. Das öffnete ihr die Türen zur High Society. Etwa zum Chefredaktor der französischen «Vogue». Zu einer Dinnerparty in dessen Haus, wo sich die Mode- und Meinungsmacher versammelt hatten, erschien Elsa nicht nur verspätet – vielleicht weil sie keinen Babysitter fand, wer weiss? –, sondern auch in einem schockierend simplen Outfit: einem handgestrickten schwarzen Pullover mit einer weissen Trompe-l'Œil-Schlaufe am Hals. Die Anwesenden hielten den Atem an ob dieser Provokation – und bestellten umgehend auch so ein bequemes Teil bei der kleinen Italienerin. Elsa war grade einsfünfzig gross. Der Pullover markierte den Beginn einer der grössten Karrieren im Modebusiness.
Elsa Schiaparelli um 1920. Sie lebte mit ihrem Mann, Graf Wilhelm de Wendt de Kerlor, in New York und verkehrte in Surrealisten-Kreisen.
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