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SCHWEIZER MODE

Yannik Zamboni bricht mit Normen

Der Basler Yannik Zamboni hat als erster Schweizer in Heidi Klums US-TV-Format «Making the Cut» gewonnen. Der Modemacher über den Bruch mit Normen und die Angst vor dem Sesshaftwerden. Und was er mit der siebenstelligen Siegesprämie alles anstellen will.

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Fabienne Bühler

Der Designer in einer Eigenkreation aus seiner High-End-Linie Maison Blanche, die im Tessin produziert wird.

Fabienne Bühler

«Sorry, ich verspäte mich etwas. Macht es euch bitte in meinem Atelier gemütlich.» Seit Yannik Zamboni von Heidi Klum, 49, bei Prime Video zum Sieger des TV-Modewettbewerbs «Making the Cut» gekürt wurde, ist nichts mehr so, wie es mal war. Über Nacht wird der Designer berühmt und mit Interviewanfragen überhäuft. Auch heute hetzt er von einem Termin zum nächsten.

Ausser Puste kommt der 36-Jährige dann doch in seinem Atelier im Zürcher Kreis 4 an. Statt zu verschnaufen, entschuldigt er sich fürs Chaos: «Ich bin im Sternzeichen Jungfrau und darum eigentlich sehr ordentlich.» Zurzeit fehle ihm fürs Aufräumen die Zeit.

Sein Blick wandert durch sein Studio, vorbei an Paketstapeln, übervollen Kleiderstangen, Stoffrollen und bleibt schliesslich an einer Blumenvase mit verwelkten weissen Rosen hängen. Die Farbe Weiss zieht sich wie ein roter Faden durch sein tägliches Schaffen.

Weiss habe er während seines Fashiondesign-Studiums für sich entdeckt. Viele Kreative lenken mit Mustern oder Farben von ihren Designs ab. «Das möchte ich nicht. Ich will mich voll und ganz darauf konzentrieren.» Neben dekonstruktiven Schnitten setzt er bei seinen Maison-Blanche-Entwürfen auf möglichst nachhaltige Materialien und verwendet unter anderem Stoffe von Jakob Schlaepfer und Textilsiebdrucke von der TDS Textildruckerei Arbon. Er legt grossen Wert auf Schweizer Handwerk.

Fabienne Bühler

Von wegen Malergarderobe! Für seine Kollektion setzt Zamboni auf Stoffe von Jakob Schlaepfer und Textilsiebdrucke von TDS Arbon.

Fabienne Bühler

Für seine Designs, die der Basler liebevoll als «Trash Garbage Couture» – Müll-Couture – bezeichnet, lässt er sich von sozialpolitischen Themen inspirieren. «Alles, was ich in unserer Gesellschaft unfair finde, gibt mir einen Antrieb. Mit Mode drücke ich mich aus.» Darum entwirft er vorwiegend für Menschen, die sich anders fühlen oder nicht in die Gesellschaft passen. Man soll eine Person nicht grundsätzlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit oder ihres Geschlechts ausschliessen. «Ich glaube nicht an ein binäres Geschlechtersystem.» Darum verzichtet er auf eine Geschlechtereinteilung und auf klassische Konfektionsgrössen.

Auch Zamboni schwimmt gegen den Strom. In seiner Kindheit war er ein Aussenseiter, spielte lieber mit den Mädchen und wurde von den Buben gehänselt. Zu Hause wuchsen er und seine knapp eineinhalb Jahre jüngere Schwester wohlbehütet auf. Sie war es auch, die ihn auf dem Schulweg beschützte: «Als Kind ging meine Schwester eher als Tomboy durch und hatte kein Problem damit, sich zu wehren.» Dass sein Verhältnis zu seiner ganzen Familie innig ist, zeigt auch die Tatsache, dass er diesen Herbst mit ihr in die Ferien fliegt. «Alle sind dabei.»

Modeaffin war der Kreative schon immer. Dass er damit allerdings seine Brötchen verdienen will, hat er erst spät erkannt. Mit Anfang 30 schmeisst er seinen sicheren Job als Marketingspezialist hin, studiert Modedesign. Seinen Abschluss hat er zwei Tage vor dem ersten Lockdown in der Tasche. «Meine Klasse und ich mussten uns arbeitslos melden.» Statt den Kopf in den Sand zu stecken, macht er sich mithilfe von Fördergeldern und seinem Ersparten selbstständig und gründet im September 2020 sein Label. Mit Einzelanfertigungen hält er sich zu Beginn über Wasser. Bis ihm langsam das Geld ausgeht. Er bewirbt sich für weitere Fördergelder, blitzt aber ab. Niemand scheint an sein Talent zu glauben – bis auf Heidi Klum.

Fabienne Bühler

Das Nähen bekam er in die Wiege gelegt: Seine Mutter, eine talentierte Näherin, unterstützte ihn bei Unklarheiten in der Handsgi. «Ich nähe mega gern, komme aber gerade kaum dazu», so Zamboni.

Fabienne Bühler

Anfang dieses Jahres die Wende: Via Instagram bekommt er eine Casting-Anfrage. Er löscht sie. Erst als sich die Agentur erneut meldet, wird er hellhörig. Bei «Making the Cut» treten zehn Designerinnen und Designer wöchentlich gegeneinander an. Die Siegesprämie beträgt eine Million US-Dollar. Er wirft sämtliche Zweifel über Bord und bewirbt sich. Der Rest ist Geschichte. Neben dem Preisgeld gewinnt er auch Heidis Herz. Und verliert seines. Wenn der Baselbieter von der Model-Mama spricht, gerät er ins Schwärmen: «Heidi ist mega lieb und immer gut drauf. Sie ist einfach auch nur ein Mensch. Sie schafft es immer wieder, mich zu beruhigen, wenn ich nervös bin.»

«Ich schliesse niemanden aus – meine Mode ist für alle Menschen zugänglich»

Yannik Zamboni

Auf die Frage, was er mit seinem Preisgeld anstellen möchte, antwortet der 36-Jährige, er wolle damit seine künftigen Kollektionen finanzieren. Ausserdem plant er eine geschlechtsneutrale Schuh- und Parfumlinie. Letztere möchte er am liebsten an der nächsten Fashion Week präsentieren. Was das Zuhause angeht, ist er hingegen noch ohne Plan. «Ich wohne zurzeit zwischen Tisch und Bank, habe ein Zimmer im Baselland und eines in Baden. Die letzten zwei Jahre habe ich wie ein Vagabund gelebt.» Sein Atelier sei aktuell sein Daheim. In Zukunft will er sich ein Zuhause schaffen – ob in Zürich oder im Ausland, ist allerdings noch nicht klar. Er tut sich gerade schwer damit, sesshaft zu werden.

Nach zweieinhalb Stunden verabschiedet sich Zamboni. Das nächste Interview bei einem lokalen Radiosender steht an. In einem Uber fährt er davon – wieder leicht verspätet.

Fabienne Bühler

Der tätowierte QR-Code ist die digitale Visitenkarte des Modeschöpfers.

Fabienne Bühler
Von kiv am 1. November 2022 - 12:00 Uhr