Welches sind die wichtigen Modemacher und -designerinnen von heute? Wer steuert ein neues Schiff, aber auch: Wer könnte als Nachfolger oder Nachfolgerin bei den grossen Modehäusern ohne kreativen Head gelten? Wir haben nachgeforscht.
Daniel Lee
WARUM? Kein Gesprächsthema ist so britisch wie das Wetter. Regen und Regenschutz waren sehr präsent in der dritten Kollektion von Daniel Lee, 38, für Burberry: Die Show war der am meisten erwartete Moment der Fashion Week London. Wie sein Vorgänger Christopher Bailey ist Lee ein Yorkshire-Junge, geboren im Umkreis der Burberry-Fabrik.
UND WEITER? Lees Idee für Burberry ist eine Outdoor- und Allwettermarke. Der Druck ist gross: Burberry gab Anfang Jahr zwei Gewinnwarnungen heraus. Lees Erfolg hängt von einer visuellen Sprache ab, die das britische Etwas auf eine aktuelle und glamouröse Art repräsentiert.
STATIONEN Maison Margiela, Balenciaga, Donna Karan, Céline, Bottega Veneta.
Glenn Martens
WARUM? Glenn Martens, 41, feierte diese Saison einen Erfolg als Kreativdirektor mit dem modischen Comeback von Diesel. Das Genie brilliert in vielen Bereichen: Seine Kollektion für Jean Paul Gaultier bewies seine Couture-Kenntnisse, während das Label Y/Project an der Spitze der Mode-Avantgarde steht. Bei Letzterem kündigte er vor einer Woche seinen Posten als Kreativdirektor.
UND WEITER? Der bescheidene Belgier spricht nicht nur von der Demokratie bei Diesel, er lebt sie auch. Die Show erinnerte an die Nullerjahre, aber mit einer frischen Ästhetik. Nun muss er das Comeback der Marke auf einem kommerziell hohen Niveau halten.
STATIONEN Jean Paul Gaultier, G2, Yohan Serfaty, Weekday, Honest By Bruno Pieters, Y/ Project.
Adrian Appiolaza
WARUM? Adrian Appiolaza, 51, hatte eine treffende Premiere als Kreativdirektor bei Moschino. Seine Erstkollektion «0» bot wahrscheinlich die fröhlichste Show der Wintersaison. So lebensbejahend, wie es bei den ironisch-satirischen Shows des Gründers Franco Moschino nicht immer der Fall war.
UND WEITER? Das Debüt ist für den Designer ebenso wichtig wie für die Marke, die eine lange Übergangsphase hinter sich hat. Weil der Argentinier für die Kollektionsgestaltung nur sechs Wochen Zeit hatte – da der Gucci-Veteran Davide Renne, ursprünglich für die Nachfolge von Jeremy Scott vorgesehen, plötzlich verstorben ist – sollte man Appiolaza nun Zeit geben, seine eigene Stimme einzubringen.
STATIONEN Alexander McQueen, Miguel Adrover, Chloé, Miu Miu, Louis Vuitton, Loewe.
Seán McGirr
WARUM? Seán McGirr, 36, ist der erste Designer im Haus Alexander McQueen, ohne mit dessen Vergangenheit verbunden zu sein. Weder hat er unter Lee McQueen selbst, noch unter dessen Nachfolgerin Sarah Burton gearbeitet, die McQueen zu einem Synonym für exquisites Handwerk und Romantik gemacht hat.
UND WEITER? Lee McQueen war einer besten Designer der letzten 30 Jahre. McGirr ist in der schwierigen Position, das übertreffen zu müssen. Er steht nicht auf das exquisite Storytelling des Hauses, sondern auf die raue, spöttische, bilderstürmerische Seite von McQueen. Der Ire hatte bloss zwei Monate Zeit für die Kollektionserstellung und bekam keine guten Kritiken. Nun muss er die Modewelt von seiner Vision überzeugen.
STATIONEN JW Anderson, Dries Van Noten, Uniqlo, Burberry, Vogue Hommes Japan.
Peter Do
WARUM? Während die Version von Peter Do, 32, mit der zweiten Kollektion für Helmut Lang erblüht, vermittelte seine Präsentation für sein eigenes gleichnamiges Label eine poetische Stimmung. Die Looks waren vom vietnamesischen Nationalkleidungsstück Áo Dài inspiriert. Der vietnamesisch-amerikanische Modedesigner hält sich zurück, um die Kleidung für sich selbst sprechen zu lassen.
UND WEITER? Seit der ersten Kollektion sind die Pfeiler von Peter Do in Stein gemeisselt, sie werden mit jeder Saison weiter ausgebaut. Seine Marke ist noch frisch und nicht perfekt, aber mit Sicherheit eine der besten und klügsten neuen Marken der letzten Jahre.
STATIONEN Céline, Derek Lam, Helmut Lang, Peter Do.
Simon Porte Jacquemus
WARUM? Das nach dem Mädchennamen seiner verstorbenen Mutter benannte Label Jacquemus von Simon Porte Jacquemus, 34, das er 19-jährig lanciert hat, ist durch virale Produkte wie die Mini-Chiquito und Bambino-Tasche omnipräsent geworden.
UND WEITER? Jacquemus verfolgt eine Ästhetik, die er als «Pop-Luxus» bezeichnet. Im letzten Jahr erwirtschaftete seine Firma Schätzungen zufolge rund 280 Millionen Euro. Unternehmer und Designer zugleich zu sein, ist das, was dem Franzosen am besten gefällt.
STATIONEN Um sein Label zu finanzieren, heuerte Simon Jacquemus in der Boutique von Comme des Garçons in Paris an.
Phoebe Philo
WARUM? Neben finanziellem Erfolg bei Céline, das für seine schnörkellose Ästhetik bekannt ist, hat sich Phoebe Philo, 50, eine treue Anhängerschaft von «Philophilen» aufgebaut. Lange erwarteten diese ein eigenes Label der Britin – mit kantigem, luxuriösem Minimalismus. Im Oktober 2023 ging dieses an den Start.
UND WEITER? Die Anziehungskraft der Marke liegt in ihrer Exklusivität, gekennzeichnet durch limitierte Kollektionen. Die entscheidende Herausforderung der Britin besteht darin, zu skalieren, ohne an Exklusivität und Luxus einzubüssen.
STATIONEN Chloé, Gucci, Céline.
Matthieu Blazy
WARUM? Matthieu Blazy, 40, seit November 2021 Nachfolger von Daniel Lee als Kreativdirektor bei Bottega Veneta, möchte das Gewöhnliche aussergewöhnlich machen. Zum Beispiel ein simples weisses Top zur Bluejeans, aber beides aus feinstem Leder gefertigt. Es geht ihm um das Handwerk und die Frage, wie man Innovation in das einbringt, wofür die Marke seit Langem bekannt ist.
UND WEITER? Bei Bottega dreht sich alles ums Metier, aber viele sehen dies als etwas Verstaubtes an. Der französisch-belgische Matthieu Blazy möchte «etwas mega Handwerkliches machen, das auch extrem real ist».
STATIONEN Raf Simons, Maison Martin Margiela, Balenciaga, Céline, Calvin Klein.
Chemena Kamali
WARUM? Chemena Kamali, 43, hat eine echte Verbindung zur Marke Chloé und deren Geschichte, da sie schon zweimal dort gearbeitet hat: unter Phoebe Philo wie auch unter Clare Waight Keller. Für ihr Debüt wählte sie eine Modestrecke von Karl Lagerfeld von 1977 für Chloé als Grundlage der Kollektion.
UND WEITER? Man sieht die schweizerisch-deutsche Kamali als Verkörperung von Chloé und als lebensfrohe Botschafterin. Als Nachfolgerin von Gabriela Hearst baut sie auf der Vision auf, die Gaby Aghion und Karl Lagerfeld zu Beginn der Maison definiert hatten. Ihre Herausforderung wird sein, wie sie den Bestseller, die Handtaschen, entwickelt.
STATIONEN Chloé, Saint Laurent.
Rick Owens
WARUM? Richard Saturnino Owens, 62, hat seine düster-glamouröse Interpretation des Gothic Grunge in ein Modeunternehmen verwandelt, das sich vor allem auf charakteristische Lederjacken stützt. Ihm gelang der Durchbruch, als die französische «Vogue» zu Beginn der Nullerjahre ein Bild von Kate Moss in einer seiner Rick Owens Lederjacken veröffentlichte.
UND WEITER? Der kultivierte Kalifornier nannte die Winterkollektion nach seiner Geburtsstadt Porterville, in der er Intoleranz und Mobbing erfuhr. Sie hat ihn geprägt und ihm eine Lebensaufgabe gestellt: für eine bestimmte Ästhetik zu kämpfen, damit sich alle Menschen akzeptiert und einbezogen fühlen.
STATIONEN Aus Arbeitsmangel nahm er eine Stelle als Schnittmusterschneider für illegale Kopien von Designerkleidung an, bevor er 1994 sein Label gründete.