In einem ihrer letzten Interviews, geführt von der britischen Tageszeitung «The Guardian» im April 2023, fragte man Tina Turner (1939-2023), als was sie gerne nach ihrem Tod in Erinnerung bleiben würde. Ihre Antwort fiel kurz und eindeutig aus: «Als die Königin des Rock‹n›Roll. Als eine Frau, die anderen Frauen gezeigt hat, dass es in Ordnung ist, zu ihren eigenen Bedingungen nach Erfolg zu streben.»
Die am 24. Mai verstorbene Sängerin war sich ihrer herausragenden Rolle als Vorbild und Ermutigerin nachfolgender Generationen absolut bewusst.
«Die Leute sagen, ich hätte ihnen Hoffnung gegeben.»
Als ihr Management vor einigen Jahren mit der Idee an sie herantrat, ein Musical über ihr bewegtes Leben zu produzieren, war sie zunächst strikt dagegen. Warum sie dem Projekt schliesslich doch ihre Zustimmung gab, begründete sie in einem Teaser zu dem seit 2018 laufenden Musical «Tina – The Tina Turner Musical» folgendermassen: «Ich brauche kein Musical. Ich brauche keine weitere Show. Aber ich bekomme Karten und Briefe, man kann gar nicht glauben, was die Leute über mich auf der Bühne und das Vermächtnis, das ich hinterlassen habe, denken. Die Leute sagten, ich hätte ihnen Hoffnung gegeben.»
Filmreife Geschichte weiblicher Selbstermächtigung
Wohl nur wenige Musikerbiografien hätten einen derartig starken Plot für ein Musical oder einen Film hergegeben. Denn Tina Turners Karriere erzählt die einzigartige Geschichte einer Frau, die sich von ganz unten an die Spitze des Weltruhms kämpfte – und der es dabei gelang, sich immer wieder aus eigener Kraft aus fremdbestimmten Verhältnissen zu befreien.
Ein unverschämter Karriere-Start
Diese selbstbewusste Erfolgsgeschichte begann im Jahr 1956, als sich die 1939 unter dem Namen Anna Mae Bullock geborene Sängerin in einem Musikclub in St. Louis an den Bandleader der damals angesagten Kings Of Rhythm heranschmiss, um ihn davon zu überzeugen, sie im Backgroundchor der Band mitsingen zu lassen. Nachdem dieser, Ike Turner (1931-2007) sein Name, sie mehrmals abblitzen liess, schnappte sie sich in einer Bandpause einfach ein Mikrofon und begann zu singen. Mit diesem unverschämten Stunt überzeugte das aus ärmlichen Verhältnissen stammende Mädchen nicht nur den skeptischen Bandleader, sondern feuerte selbstbewusst den Startschuss für eine Musikkarriere ab, wie sie die Welt bisher noch nicht gesehen hatte.
«Lieber jemand anderes Putzfrau als Ike Turners Ehefrau!»
Dass sich die darauf folgende Beziehung und spätere Ehe mit Bandleader Ike Turner für sie recht bald zu einem Albtraum aus Manipulation und häuslicher Gewalt entwickelte, ist mittlerweile genauso Teil der Pop-Geschichte, wie ihr konsequenter Weg, sich wieder daraus zu befreien. In dem langwierigen Scheidungsprozess im Jahr 1978 verzichtete sie auf Unterhalt und alle Rechte an der gemeinsamen Musik, nur um schneller von ihrem dominanten Mann loszukommen. Was zur Folge hatte, dass sie finanziell und musikalisch wieder ganz von vorne anfangen musste. Zeitweise ging sie sogar putzen, um ihre vier Söhne durchzubringen. Dennoch galt für sie: «Lieber jemand anderes Reinigungskraft als Ike Turners Ehefrau!»
Mega-Comeback in den Achtzigerjahren
Fortan achtete die Sängerin genau darauf, sich nicht mehr in Abhängigkeiten zu begeben und machte bis zu ihrem Lebensende konsequent ihr eigenes Ding. Nur wenige Jahre später hatte sie sich aus eigener Kraft wieder ganz nach oben gearbeitet. Mit ihrem Album «Private Dancer» gelang ihr ein triumphales Comeback, das allein in den USA fünffach mit Platin ausgezeichnet wurde. Die gesamten Achtzigerjahre über folgte dann mit Songs wie «What‹s Love Got to Do with It», «We Don›t Need Another Hero» oder «Typical Male» ein Welthit auf den nächsten. In den Neunzigern liess sie es ein wenig ruhiger angehen, trat aber immer wieder mit Highlights wie dem Titellied zu dem James-Bond-Film «GoldenEye» (1995) und regelmässigen Tourneen in Erscheinung.
Konsequenter Bühnenabschied
Im Jahr 2009 verabschiedete sie sich im Alter von 69 Jahren genauso konsequent wieder aus dem Musikgeschäft, wie sie am Anfang ihrer Karriere eingestiegen war und widmete sich mit voller Hingabe ihrem Privatleben an der Seite ihres deutschen Ehemanns Erwin Bach (67).
Stilikone Tina Turner
Vorbild für mehrere Generationen wurde Tina Turner jedoch nicht nur aufgrund der selbstbewussten Konsequenz, mit der sie sich immer wieder aus fremdbestimmten Verhältnissen befreite, sondern auch durch ihre einzigartige energiegeladene Bühnenpräsenz und ihre markanten Bühnenoutfits.
Vor allem mit dem Beginn ihrer Solokarriere entwickelte sie sich zu einer vielbeachteten Stilikone, die eine zuvor nie gesehene selbstbewusste Weiblichkeit verkörperte und mit ihren Bühnenperformances neue Massstäbe setzte, von denen sich auch heute noch Musikerinnen wie Beyoncé, Rihanna oder Lady Gaga inspirieren lassen.
Ihre Looks aus den wohl knappsten Leder-Miniröcken der Pop-Geschichte, High Heels, Netzstrümpfen über makellosen Beinen und einer (oft durch Perücken verstärkten) Löwenmähne passten perfekt zu ihrer treibenden Reibeisenstimme und sorgten nebenbei dafür, dass ihre mit 1,63 Metern relativ geringe Körpergrösse niemandem ins Auge fiel.