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Sauertöpfische Wesen

Warum lachen Models eigentlich so selten?

In kaum einem anderen Beruf sehen die Leute so traurig aus wie die Damen und Herren auf dem Laufsteg. Haben die einfach immer schlechte Laune?

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Da wird man kurz belächelt und fast mitfühlend (oder bemitleidend, die Grenze ist hier recht unscharf) angeschaut, wenn man wissen möchte, warum Models immer so sauertöpfisch gucken. «Ist ja logisch», «das war schon immer so», ist klar, voll gut begründet. Dabei (ha!) haben die früher gelächelt und nein, es ist nicht einfach logisch. Dann und wann werden als Erklärungsversuch ein paar ganz besondere Weisheiten ausgepackt: «Die essen halt nie etwas» oder «Kleiderständer lachen ja auch nicht».

Das ist übrigens das Faszinierende an klischee-basierten Aussagen. Irgendwann hatten sie vielleicht mal einen wahren Kern, doch nach ein paar Jahren sind sie kaum mehr als Flachwitze. Denn die Antwort auf eine so einfach scheinende Frage ist, wie so oft, nicht ganz so einfach.

Hier sind 5 Gründe, weshalb Models nicht lachen (ein bisschen History zum Bluffen gibts in der Bildergalerie):

1. Sie sind tatsächlich Kleiderständer

Es geht um die Kleider. Oder, wie es Anthropologin Leyla Neri formuliert: «Models sind Kleiderständer. Es geht darum, ihre Persönlichkeit auszulöschen. Die Kleider stehen im Zentrum.» Deshalb würden Designer nach möglichst neutralen Körpern suchen. «Die Öffentlichkeit hat nur noch nicht verstanden, dass Models deshalb kein Ideal für Schönheit sind.»

2. Resting Bitch Face steht für Charakterstärke

Im Alltag ist diese Argumentationslinie schwierig. Im Alltag tragen wir aber auch selten crazy Haute-Couture-Designs oder Megaheels mit schwindelerregend hohen Absätzen. Wenn das Kleid zwickt oder die Schuhe schmerzen, dann ist es besser, das Lächeln zu lassen. Es könnte schmerzverzerrt wirken. Ein neutraler Gesichtsausdruck (mit Tendenz ins säuerliche) ist da die einfachere Lösung. Er wirkt ruhig und unaufgeregt.

3. Ein Lächeln macht ein kontroverses Outfit zum Witz

Moderne Designer schicken ja allerhand über den Laufsteg. Und manchmal ist es, nun, ein bisschen crazy. Wenn das Model auch noch lächelt (und das nicht sowieso zum Gesamtkunstwerk gehört – Mode ist auch Kunst), dann wirkt ein kontroverses oder wild designtes Outfit schnell wie ein Witz. Und das Model macht sich unbeabsichtigt über die Kreationen lustig.

4. Nicht-lächeln wirkt aristokratisch

Die Aristokratie lässt sich seit Jahrhunderten schon portraitieren. Gelacht hat dabei kaum jemand. Wer mag schon tagelang lächelnd vor einem Maler sitzen, irgendwann tut das einfach weh. Deshalb sehen Adlige auf fast jedem Gemälde tendenziell sauertöpfisch aus. Einfachere Leute (und/oder das aufstrebende Bürgertum im 18./19. Jahrhundert) haben sich diesen Trick abgeschaut – und sich durchs Nicht-Lächeln pseudoaristokratisches Flair verpasst. Das gilt noch heute: Der Gesichtsausdruck steht für Nonchalance und eine durchaus moderne «I don’t care»-Attitüde.

5. Mürrisch und teilnahmslos wirkt selbstbewusst

Noch bis in die frühen 1960er lächelten die Models üblicherweise, wurden gar als «Living Dolls» beschrieben. Der Auftrag an Frauen damals (unter anderem): gefallen. Dem Ehemann, den Freundinnen, der Gesellschaft im Allgemeinen. Und wie machte frau das? Sie lächelte und hatte zumindest vordergründig kaum Ecken und Kanten. Im Zuge der Frauenrechtsbewegung definierten viele «Hausfrauen» ihren Aufgabenkatalog neu. Sie mussten nicht mehr zwingend gefallen. Deshalb steht das Nicht-Lächeln auch für Selbstbewusstsein, Selbstakzeptanz und Emanzipation.

 
Von Bettina Bendiner am 6. Juni 2019 - 09:15 Uhr