In Japan ist vieles süss. Ein Baby ist genauso «kawaii» (herzig) wie ein Welpe oder die Comic-Figur Hello Kitty. Soziologen sehen im japantypischen Hang zu kitschig-süssen Dingen und Kleidern die Antithese zum strikten und harschen Arbeitsumfeld. Viel Freiraum fürs Individuum gibt es da nicht. Über Ängste und Probleme spricht man nicht gerne, psychische Erkrankungen gelten als grosses Tabu. In kaum einem anderen Land begehen so viele Menschen Selbstmord wie im Land des Lächelns.
Die Anhängerinnen und Anhänger des «Yami Kawaiis» wollen diese düstere und traurige Seite nicht mehr länger ausklammern. Mit ihren Outfits schreien sie ihre Verzweiflung leise in die Welt hinaus. Sie kämpfen mit ihren Looks dafür, dass psychische Erkrankungen als ernsthaft wahrgenommen werden und sich an Depressionen Erkrankte nicht länger wie Aussätzige fühlen.
Aufgemalte Ritzspuren kontrastieren die pinke Zuckerwattenoptik
Ihr Stil: Sie brechen die klassischen Kawaii-Outfits (zuckerpinke Röckchen, Schühchen in Kombination mit Bildern von Animé-Charakteren in Kindchenschema-Optik) mit Spritzen, malen sich Ritzspuren auf die Handgelenke und kontrastieren das fast schon zu herzige Pink mit Schwarz. Ihr Gesicht verstecken sie gerne hinter Operationsmasken. Ihr Make-up wählen sie so, dass sie besonders kränklich oder traurig aussehen.
Sie drucken Sätze über Selbstmord oder den Tod auf ihre T-Shirts. Künstlerin und Influencerin Kuua gilt als DIE Ikone dieses Stils. Ein Animé-Gesicht bekam «Yami Kawaii» von Künstler Bisuko Ezaki. Wie er in einem Video von Refinery29 sagt, habe er angefangen, Comics zu zeichnen, weil es ihm psychisch schlecht ging. Jetzt druckt er T-Shirts mit morbiden Zeichnungen und sieht sich als Ambassador der Bewegung. Der Slogan «I love you and I kill you» ist eines seiner Markenzeichen.
Keine Modeerscheinung, sondern eine Bewegung für eine bessere Zukunft
Ähnlich wie die Emo-Bewegung in den USA oder Europa steht «Yami Kawaii» für junge Menschen, die mit ihrer Mode einen Gemütszustand nach Aussen tragen. Die Emos sind nach einigen Jahren fast von der Bildfläche verschwunden. Die «Yami Kawaiis» verfolgen ein langfristiges Ziel: Sie bringen mit ihrer Mode den Tabubruch auf die Strasse und in den Alltag. Und hoffen, damit die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.
Depressiv? Hier gibt es Hilfe:
Sind Sie selbst depressiv oder hegen Selbstmordgedanken? Wenden Sie sich umgehend auch anonym an die Dargebotene Hand. Ein Gespräch hilft oft weiter. Unter der Nummer 143 ist immer jemand erreichbar – auch anonym. www.143.ch