Warum wollen Sie Ihre Geschichte erzählen?
Penny Lancaster: Mein Mann brachte sein Buch vor zwölf Jahren heraus. Ein paar Jahre danach wurde ich gefragt, ob ich auch ein Buch schreiben würde. Ich fühlte mich nicht bereit. Das Erreichen meines 50. Lebensjahres hat mich dann innehalten lassen. Ich fiel in die Menopause – mitten im Lockdown.
Krise als Inspiration?
Die Wechseljahre können schon Angst machen. (Lacht.) Man denkt, das sei das Ende, weil es das Ende der Fruchtbarkeitsreise ist. Aber es ist nicht das Ende der Produktivität. Im Gegenteil! Ich habe den Reset-Knopf gedrückt und verstanden, was ich noch beitragen kann.
Sie haben mit 50 eine Ausbildung zur Polizeibeamtin gemacht. Warum?
Ich hatte schon immer eine klare Vorstellung davon, wie wichtig es ist, zurückzugeben und dankbar zu sein für Privilegien. Rod und ich engagieren uns stark für wohltätige Zwecke. Aber ich sah mehr für mich. Viele, die bei der Polizei arbeiten, nennen als ihren Antrieb das Gefühl, etwas bewirken zu können.
Warum genau?
Eine wichtige Fähigkeit, die Polizeibeamte mitbringen müssen: Man muss sein Einfühlungsvermögen einsetzen, verstehen, warum etwas passiert, und versuchen, etwas von dem, womit man es zu tun hat, umzukehren, die Situation zu deeskalieren. Es darum zu verteidigen und nicht anzugreifen.
Sie schreiben in Ihrer Autobiografie über Mobbing, sexuelle Übergriffe in jungen Jahren. Woher nehmen Sie den Mut zu dieser Ehrlichkeit?
Ich bin grundsätzlich ein ehrlicher Mensch. Aus Erfahrung zu sprechen, ist glaubwürdiger und kraftvoller. Die Leute erfahren, wie ich mit bestimmten Situationen umgegangen bin. Wenn ich Bücher signiere, höre ich so viele unterschiedliche Geschichten, die etwas mit dem zu tun haben, was auch ich durchgemacht habe. Das ist herzerwärmend.
Wie oft haben Sie das Manuskript zweifelnd zur Seite gelegt?
Das Schwierigste war, mich meinen verletzlichsten Ängsten zu öffnen, besonders beim Thema, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden. Ich war 17, unter Drogen gesetzt, ich habe mich geschämt.
Aber ich wusste, darüber zu sprechen, kann auch andere heilen.
Sie erzählen auch, wie Sie als Mädchen gemobbt wurden.
Ich sah anders aus, klang anders. Egal was ich anhatte oder wie ich aussah, ich konnte nicht mithalten. Ich erinnere mich, dass ein Lehrer in der Schule sagte: Penelope, setz dich hin, du wirfst einen Schatten auf den Rest der Klasse. Alle haben mich wegen meiner Grösse ausgelacht.
Ebenfalls wurde Ihre Legasthenie damals nicht erkannt.
Nein. Die Meinung lautete: Entweder du bist klug oder dumm. Die Schüler, die die Lehrer für dumm hielten, wurden einfach hinten ins Klassenzimmer gesetzt. Mein Vater besorgte mir einen Nachhilfelehrer, der mir bei den Prüfungen helfen sollte. Er sagte zu meinem Vater, dass er seine Zeit und sein Geld verschwende. Das erfuhr ich erst später. Als ich die Schule verliess und in die Modelbranche einstieg, wurde mir nicht mehr gesagt, ich sei zu dünn. Mir wurde gesagt, ich sei nicht dünn genug.
Und: Wie gingen Sie damit um?
In einer Minute wollte ich zunehmen, um mich einzufügen, dann wieder nahm ich diese Salztabletten, um die Wassereinlagerungen unter meiner Haut zu beseitigen. Ich befand mich in einer Zwickmühle: Aber ich wusste, dass ich nicht dumm war. Ich wusste, ich verfügte über eine andere Fähigkeit: mich in andere einzufühlen.
Die Kamera wurde Ihre Freundin.
Ja. Ich habe das Fotografieren geliebt, genoss es, Teil kreativer Teams zu sein. Es ist in Ordnung, selbstkritische Gedanken zu haben, solange man erkennt, dass jeder etwas zu geben hat. Ich war kein Opfer. Die Erfahrungen meiner Jugend haben in mir eher eine Widerstandsfähigkeit aufgebaut.
Sie sind eine Kämpferin?
Ja, aber nicht nur. Meine Mutter sagte immer: Halte deinen Kopf hoch. Aber versuche auch, dich in die Lage anderer zu versetzen. Ich weiss, dass es verletzend ist, was du dir anhören musst, aber versuche, dir vorzustellen, was in ihrem Leben vor sich geht. Frag dich, warum sie dich herabsetzen wollen. Ihr Rat hat mich früh dazu gebracht, mich in andere hineinzuversetzen.
Mit 27 kamen Sie mit Rod Stewart zusammen – einem 25 Jahre älteren Rockstar.
Das zweite Kapitel meiner Selbstfindung begann, als ich mich in Rod verliebte: Ich wurde von den Medien, der Öffentlichkeit beurteilt, von Rods Familie. Auch hier habe ich mich auf meine Grundüberzeugungen gestützt: Nutze dein Einfühlungsvermögen, deine Kommunikationsfähigkeit, sei geduldig.

Seit 18 Jahren ein Team: Sir Rod Stewart (gebürtiger Schotte) und Penny Lancaster. «Wir gönnen uns gegenseitig Momente im Rampenlicht.»
PA Images via Getty ImagesKlingt ziemlich anstrengend.
Wissen Sie, ich glaube wirklich daran: Liebe, Sanftmut, Freundlichkeit. Letztlich können die Menschen dem nicht widerstehen. Ärger oder Negativität, das ist Feuer – ich bin Wasser. Mein Sternzeichen ist Fische. Ich mag den Fluss. Ich atme durch und das färbt auf andere ab. Jedenfalls meistens.
Wie ist Rod mit den medialen Angriffen auf Sie umgegangen?
Er machte mir klar, wie die Medien sind, wie schwierig es sein konnte, in seine grosse Familie, mit Ex-Frauen und Kindern, aufgenommen zu werden. Er war toll. Aber es gab Situationen, in denen er sagte: Ich weiss nicht, warum du dich bemühst. Ich würde dieses oder jenes einfach aufgeben. Ich habe definitiv mehr Geduld als Rod. (Lacht.)
Was sagt ihr Mann zu Ihrem Buch?
Ein paar Tage vor der Erscheinung flog er weg, ging auf Tournee. Ich schickte ihm ein Exemplar. Und er schickte mir Bilder, auf denen er mein Buch las. Er sagte mir, bei welchem Kapitel er gerade ist, meinte: «Ich bin so stolz auf dich. Dieses Buch ist unglaublich. Es hat mir einen Kloss im Hals beschert. Es hat mich zum Lachen gebracht.» Wunderschön, das von ihm zu hören.
Er hatte vorab keine Einwände?
Nein. Er vertraut mir, er weiss, dass ich nicht darauf aus bin, jemandem eins auszuwischen. Er sagte mir stattdessen beim Schreiben, ich solle nicht vor den hässlichen Dingen zurückschrecken.
Was macht Sie und Rod seit 18 Jahren zu einem so guten Team?
Viel Respekt und Verständnis dafür, uns gegenseitig Momente zu gönnen. Als Superstar, der er ist, könnte man meinen, dass er nicht in der Lage ist, von seinem Podest zu steigen. Aber er weiss, wie er andere glänzen lässt. Er ist ein aussergewöhnlicher Mensch und Musiker: Er kennt seinen Körper, seine Stimme, sein Publikum. Manchmal lehne ich mich einfach zurück und bewundere seine Arbeit.
Wann widersprechen Sie dem Rockstar?
Es gibt Momente, in denen ich einschreite und sage: Ich übernehme jetzt. Denn er hat offensichtlich eine Menge Leute, die für ihn arbeiten, und die meisten Leute sagen nicht Nein zu Rod.
Kürzlich musste er Konzerte absagen – haben Sie ihm dazu geraten?
Ich war mit unseren beiden Jungs zu Hause. Er schickte mir eine Nachricht und sagte, er habe sich noch nie so krank gefühlt. Er hatte diesen furchtbaren Virus und wusste nicht, ob er für das grosse Konzert in Glastonbury wieder vollständig erholt sein würde.
Wie haben Sie reagiert?
Er sagte: Ich sehe schon die Schlagzeile: Rod schafft es nicht. Ich antwortete: Darling, du musst damit aufhören. Die Schlagzeile wird lauten: Rod war grossartig! Ich verlangte, dass er, sobald er wieder gesund genug sei, nach Hause fliegen sollte. Ich sagte: Ich werde das schon wieder in Ordnung bringen. Er kämpfte geistig, weil sein Körper, seine Stimme nicht funktionierten. Ich habe einen Stimmtrainer gefunden, und wir waren bei zwei verschiedenen Ärzten. Er lernte diese ganz neue Art des Aufwärmens mit heissem Dampf, kaltem Dampf, bekam Massagebehandlungen für seinen Nacken. Am Ende lautete die Schlagzeile: Rod war grossartig!
In der Not können Sie also auch «lästig» werden?
Ja, manchmal muss man das. Als er sagte, er fühle sich jetzt besser, sagte ich, Nein, wir müssen weitermachen. Ich sorge dafür, dass er, wenn er zwei Auftritte hintereinander hat, zwei Tage davor und zwei Tage danach ruht. Ich gebe ihm nicht viele Ratschläge, aber wenn, dann bin ich beharrlich.
Sie beide kennen die britische Königsfamilie, sind mit Hollywoodstars befreundet. Wer inspiriert Sie?
Ich habe zwei sehr enge Freundinnen, die in meinem Buch vorkommen und mit denen ich zur Schule gegangen bin. Sie wurden meine Brautjungfern. Die eine lernte ich kennen, als ich fünf war, die andere habe ich getroffen, als ich zwölf war. Wir haben als drei Freundinnen in Schuluniformen das Leben auf die gleiche Weise begonnen. Wir sind komplett unterschiedliche Wege gegangen, aber sind uns dennoch sehr nah.
Inwiefern inspiriert Sie das?
Die eine Freundin ist alleinerziehend. Sie hat sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen. Am Ende war sie zur gleichen Zeit schwanger wie ich. Sie hat drei Jobs, arbeitet unter anderem für die Stadtverwaltung. Meine andere Freundin, Elizabeth, eine Lehrerin, leitet eine Wohltätigkeitsorganisation namens Streets Ahead. Sie hatte bemerkt, dass einige Kinder lange an den Schultoren herumhingen, weil ihre Eltern sie nicht abholen konnten. Sie begann, ihnen Tanzunterricht zu geben, mittlerweile unterrichtet sie Tausende von jungen Menschen. Das ist grossartig!
Worauf sind Sie am meisten stolz?
Eine schwierige Frage. Mein Herz fühlt sich voll an, weil ich so viele Menschen erreichen kann. Und ich bin eine sehr stolze Mama. Mein Ältester ist jetzt 19 und berufstätig. Derzeit arbeitet er beim Film als Script Supervisor. Er hat Filmwissenschaften studiert. Er ist seiner Leidenschaft gefolgt, hat eine enorme Arbeitsmoral. Er ist immer in Action. Und dann beobachte ich, wie mein 14-jähriger Sohn die Schule und die Prüfungen durchläuft. Ich bin stolz darauf, zu sehen, wie sie aufblühen, zu welch grossartigen Menschen sie sich entwickeln. Ich bin übrigens eine ebenso stolze Stiefmutter. Zu sehen, wie die Geschwister zusammenkommen, jeder mit seiner ganz eigenen Art – das macht mich glücklich.

Penny Lancaster: «Die schwierigen Situationen im meiner Jugend machten mich nicht zum Opfer. Sie stärkten meine Widerstandskraft.
Jonas MohrPenny Lancaster «Someone Like Me», Bloomsbury, 368 Seiten, Englisch, ca. CHF 40, ist ab sofort in Schweizer Buchhandlungen erhältlich.

