Das Symbol gesellschaftlichen Ausbruchs
Dieses Auto war vom Himmel gefallen. So formulierte es der französische Philosoph Roland Barthes: Glatt und fugenlos, ein futuristisches Raumschiff ohne jede Entsprechung in der Vergangenheit und erst recht nicht in der Gegenwart. Denn die war im Frankreich des Jahres 1955 noch vom Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Autos galten eher als funktionale Notwendigkeit denn als Statement einer verheissungsvollen Zukunft. Auch wenn der notdürftig mit Blech verkleidete Citroën 2CV damals schon eine ganz eigene Art von Ästhetik verkörperte: Seinen visionären Charakter erhielt das Design von Automobilen erst mit der Enthüllung der DS, von «la Déesse», der Göttin, am 5. Oktober jenes Jahres in Paris.
Die langgestreckte Limousine von Citroën weckte das Land aus dem Dornröschenschlaf, ihre Präsentation galt nach einer zeitgenössischen Umfrage den Franzosen gar als zweitwichtigstes Ereignis des Jahrzehnts – hinter dem Tod des russischen Diktators Josef Stalin. Und sie inspirierte Barthes zu einem Kapitel seiner Betrachtungen der «Mythen des Alltags». Die DS galt dem Denker als ein Symbol gesellschaftlichen Aufbruchs, als «genaue Entsprechung der grossen gotischen Kathedralen». Barthes beschreibt das Gefährt als etwas beinahe Organisches mit eigenem spirituellem Gehalt, den der Mensch mit dem Griff ans Lenkrad sich ganz einfach zu eigen machen könne. Ein Mythos des Alltags.
Erfolgsmodell
Über zwanzig Jahre hinweg, bis zum letzten gebauten Exemplar von 1975, blieb die DS herausragend. Und begründete so den besonderen Stellenwert des Automobildesigns, das in der Göttin einen eigenen Wert jenseits der blossen Verpackung von Rädern, Motor und Sitzen erhielt. So avancierte sie zum logischen Anknüpfungspunkt, als die heutige Stellantis-Tochter Citroën im Jahr 2010 nach einem Label suchte, um mehr Extravaganz und Noblesse ins Modellprogramm zu bringen. Zunächst nur als Ausstattungslinie gedacht, wurden unter dem DS-Logo schnell eigenständige Fahrzeuge entwickelt, die Citroën ganz neue Kundenkreise erschlossen.
Seit 2015 firmiert DS Automobiles nun als eigenständige Marke im Konzern. Bis heute gilt das Design als Schlüssel zum Markenerlebnis. Chefdesigner Thierry Metroz, kleidet die vom Mutterkonzern beigesteuerte Technologie eigenständig ein und öffnet DS so ein ganz eigenes Marktsegment. Metroz liebt klassische Proportionen und unterlegt seinen Entwürfen Leonardo da Vincis Lehre vom Goldenen Schnitt – eine historische Verankerung der Marke in einer Autowelt der Digitalisierung und Virtualisierung. Und eine solide Basis für ein gewisses Mass an avantgardistischer Gestaltung.
Das Auto der Zukunft
Eine besondere Leidenschaft hegt Metroz für die Verarbeitung klassischer Chronometer. So finden sich in den Oberflächen von Zierelementen immer wieder die «Clous de Paris» – winzige Pyramiden, die dicht an dicht in metallische Oberflächen geprägt werden. Schon im 16. Jahrhundert entwickelten französische Uhrmacher das Verfahren. Bei Metroz schlägt die Leidenschaft für das Kunsthandwerk auch eine Brücke zu seinem Studium an der Kunsthochschule Ensaama in Paris, die seit 101 Jahren französische Künstler aller Disziplinen ausbildet.
Bei aller Liebe zur Historie schaut Metroz technologisch in die Zukunft. Mit dem Design-Manifest M.i. 21 präsentierte er im Sommer 2023 ein Visualisierungswerkzeug für die Entwicklung der Autointerieurs der Zukunft. Keine blosse Designstudie, sondern die Verdeutlichung der Leitlinien der Innenraumkonzeption. Licht, Raumgefühl, Klangbild, künstlerische Gestaltung und das Zusammenwirken von Mensch und Maschine im Bedienkonzept spielen dabei gleichberechtigte Rollen. Gleichzeitig drückt die Virtual Reality die Entwicklungszeit unter sechs Monate.
Statt die Passagiere mit riesigen Displays zu überfordern, setzt Metroz auf die Projektion der jeweils wichtigen Informationen. Nur was von Bedeutung ist, wird angezeigt; ansonsten blendet sich das System aus. Lautsprecher in den Türen werden zum Kunstobjekt, direkte und indirekte Beleuchtung schaffen Leichtigkeit und erweitern optisch den Raum.
Und wie schon bei der DS von 1955 sollen grosse Glasflächen Freiheit und Weite vermitteln, statt Passagiere zwischen einem hoch aufragenden Cockpit und voluminösen Mittelkonsolen einzuzwängen. Dabei soll das Konzept M.i. 21 nicht bloss ein virtuelles Luftschloss bleiben: «Die Teams lassen der Kreativität freien Lauf, berücksichtigen aber, dass die meisten Komponenten auch fertigungstauglich sein müssen», sagt Metroz. Bis zum Sommer lenkte Béatrice Foucher die Geschicke von DS und baute die Palette aus den Crossover-Modellen DS 3, DS 4 und DS 7 sowie dem Limousinen-Flaggschiff DS 9 auf. Seit Juli leitet nun der ehemalige Fiat-Chef Olivier Francois die Nobelmarke. Eine französisch inspirierte Kunst des Reisens soll sie künftig vermitteln. Die dazu passenden Innenräume existieren bereits in der virtuellen Realität. Und in der Vorstellung von Chefdesigner Thierry Metroz.