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Mittelklasse

Von Männern und blauen Menschen

Unsere Kolumnistin hat immer wieder Diskussionen mit Männern, in denen sie diesen versucht zu erklären, dass das Patriarchat und Männer als Individuen zwei verschiedene Paar Schuhe sind, und dass Leute, welche ersteres kritisieren, letzteres nicht hassen. Sie versucht es deshalb hier mal mit einem kleinen Gedankenexperiment.

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Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker

Ja, unsere Kolumnistin trägt gerne Blau. Und erfindet auch gern mal blaue Menschen.

Lucia Hunziker

Liebe Männer. Ich dachte mir, dass es vielleicht hilft, wenn ich euch mal erzähle, wie es denn als Frau so ist im Patriarchat zu leben.Stellt euch vor, es wäre umgekehrt, und Frauen hätten all die Privilegien, die ihr habt, ...

Blöder Anfang, weil total unvorstellbar. Stellt euch also was anderes vor. Stellt euch vor, es gibt keine Frauen. Es gibt Männer und, sagen wir mal, blaue Menschen, und ihr braucht einander für die Fortpflanzung und so. In den Machtpositionen sind viel mehr blaue Menschen vertreten als Männer, obwohl es von denen nicht mehr gibt als von euch.

Es gibt viele blaue Menschen, die ihr total gern habt. Sie sind eure Eltern, Partner, Geschwister, Kinder, Freunde, Arbeitskollegen. Aber wenn ihr ein bisschen rauszoomt und nicht mehr die einzelnen blauen Menschen seht, sondern die blaue Masse, beschleicht euch ein ungutes Gefühl. Es ist nämlich so: Ganz viele von diesen blauen Menschen nehmen euch nicht so richtig ernst. Egal, was ihr sagt oder tut, die Chance, dass euer Aussehen kommentiert oder kritisiert wird, ist sehr viel grösser, als dass eure Leistungen honoriert werden. Wenn ihr abfuckt, ist es in den Augen der Gesellschaft ziemlich sicher deshalb, weil ihr ein Mann seid, weil Männer sind halt einfach nicht so geeignet für viele Dinge. Biologisch bedingt, weisch.

Mehr oder weniger jeder Mann, den ihr kennt, und ihr selbst auch, hat schon mal negative Erfahrungen mit blauen Menschen gemacht. Aber die blauen Menschen können grundsätzlich nicht so richtig was dafür, sagt man. Sie müssen bei einer Unterhaltung auf euren Penis starren, ihr hättet ja auch etwas Lockereres anziehen können. Wenn euch beim Joggen einer «geiler Arsch» hinterherschreit, freut euch. Das ist total ein Kompliment. Warum ihr euch erniedrigt vorkommt dabei? Euer Problem. Und wenn euch in einer Bar einer angräbt, sagt «Ich habe schon einen blauen Menschen, sorry», denn «Nein» verstehen ziemlich viele Blaue nicht so richtig.

A propos Bar: Überlegt euch, was ihr anzieht, wo ihr hinschaut, ob und wie ihr lacht und sprecht, es könnte alles missverstanden werden. Und lasst niemals euren Drink allein, die Chance ist gross, dass jemand was reinschüttet. A propos Drink: Sollte euch jemand unangebracht anfassen, wenn ihr betrunken seid, ists doof, weil eure Schuld. Sollte der Blaue betrunken sein, ists auch doof für euch, weil er konnte leider nicht anders.

Das alles ist Peanuts, denn die gefährlichsten blauen Menschen für euch sind die, die ihr kennt. Tausende Männer werden jedes Jahr vergewaltigt. Und alle zehn Tage bringt ein blauer Mensch einen Mann um. Nun müsste man denken, dass angesichts dieser Tatsachen jeder blaue Mensch alles dafür tun würde, dass seine Geschlechtsgenossen aufhören mit all dem Scheiss. Aber was tun sie stattdessen? Sie schreien ganz laut «Aber nicht alle Blauen», wenn man es wagt, die blaue Masse zu kritisieren. Stellt euch das mal vor, liebe Männer!

Von SC vor 14 Minuten