1. Home
  2. Body & Health
  3. Mind
  4. US-Wahlen und Mode in der Politik

Politische Mode und Mode in der Politik

«Sie sind sauer, weil ich in den Kleidern gut aussehe»

Das Zitat ist ein Tweet der amerikanischen Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez (AOC). «Sie» sind die Republikaner. Und wir? Wir denken darüber nach, dass Mode und Politik untrennbar miteinander verbunden sind und fragen uns: Wie modisch darf Politik sein?

Artikel teilen

Wahlen USA ohne Trump mit Mode und Politik

Wenn wir wählen könnten, wir würden sie wählen: Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez

Bloomberg via Getty Images

Es gibt in Amerika einen neuen Trend. Dieses Mal ist es ein – nun … wir wollen nicht gleich sagen: ein guter … aber sagen wir, es ist zumindest kein ganz furchtbarer. Auf jeden Fall: Die mächtigsten Frauen in der Politik sind zu modischen Trendsetterinnen geworden. Und zwar sind sie im Moment tonangebender als herkömmliche Influencer*innen und sonstige Promis.

Beispiel: Als Kamala Harris (die hoffentlich, vielleicht zukünftige Vize-Präsidentin) Timberland-Boots trug, schnellten die Suchanfragen dazu um 376 Prozent in die Höhe (gemäss der Mode-Plattform Lyst). Später lief sie an einem öffentlichen Auftritt ganz casual in Chucks herum. Das trieb das allgemeine Interesse an den Turnschuhen hoch.

DULUTH, GEORGIA - NOVEMBER 01: Democratic Vice Presidential Nominee Sen. Kamala Harris (D-CA) speaks during a drive-in campaign event at the Infinite Energy Center on November 01, 2020 in Duluth, Georgia. With two days to go until election day, Kamala Harris is campaigning in Georgia.

Hier Kamala Harris beim Redehalten.

Getty Images
DULUTH, GEORGIA - NOVEMBER 01: Democratic Vice Presidential Nominee Sen. Kamala Harris (D-CA) speaks during a drive-in campaign event at the Infinite Energy Center on November 01, 2020 in Duluth, Georgia. With two days to go until election day, Kamala Harris is campaigning in Georgia.

Hier die Chucks, die Kamala Harris beim Redehalten trägt.

Getty Images

Und dann wäre da noch Alexandria Ocasio-Cortez. Die Kongressabgeordnete hat sich zur absoluten Omnipräsenz hochdebattiert: in den Politikressorts, in der Vogue, auf Netflix. Denn AOC macht einfach. Sie erklärt ihre Themen wie den Green New Deal beim Umtopfen ihrer Pflanzen und zwar live auf Instagram. Die Demokratin redet über Make-up genauso wie über die Energiewende. «Das könntest du sein», ist die Message der Politikerin. Ganz nah bei den Leuten. Und damit wurde sie (wieder gemäss Lyst) zu einer der wichtigsten Influencerinnen des Jahres.

Mode ist politisch – ja ja, schon tausendmal gehört. Aber: Sollen Politiker*innen modisch sein?

Das alles ist wenig überraschend. Mode und Politik. Hand in Hand – schon immer. Es ist schon fast ein Klischee: Mode ist politisch. Die Rocklänge ist ein Politikum. BHs wurden in den 70er-Jahren verbrannt. Aus politischen Gründen. Grundsätzlich gilt: Jeder Auftritt hat eine Botschaft, ob man nun subtil reduziert in Chanel, mit sackigem Polyesterhosenanzug in Pink, oder verschlufften Spätneunzigerjahre-Turnschuhen erscheint. Aber nun stehen wir vor einer anderen Frage: Dürfen Politiker*innen modisch sein? Dürfen sie zur Mode-Influencerin oder zum Mode-Influencer mutieren?

Frauen in der Politik waren bisher (zumindest bis Ende des 20. Jahrhunderts) weit von der Trendsetterin entfernt. Was sie trugen, war nie auffällig. Es war weiblich ja, aber selten subversiv. Und nun haben wir AOC, wir haben Harris, die Grenzen überschreiten und ein System zu ändern wagen, das ihnen lange Zeit nicht einmal Eintritt gewähren wollte (Frauen und Politik? Frauen und wählen? Frauen und arbeiten … Frauen und, und, und). Sie überschreiten Grenzen. Und sei es in puncto Mode nur schon deshalb, weil sie dabei klobige Boots und Chucks tragen (keine High-Heels).

Wir sollten uns schämen

Und schon haben wir es wieder getan. Wir haben uns dort auf die Kleidung von Politikerinnen konzentriert, wo wir eigentlich auf deren Aussagen und Werte fokussieren sollten. Darum eben wieder die Frage: Dürfen Politiker*innen modisch sein? Das lenkt uns ab. Wir können uns gar nicht mehr konzentrieren – wir? Wir sind in diesem Fall ignorant.

Man sollte meinen, wir hätten uns mittlerweile dran gewöhnt, dass eine Frau hübsch zurecht gemacht sein kann – und trotzdem clever. Dass wir nicht mehr denken, dass die Rocklänge über Seriosität bestimmt. Sollte man. Tatsächlich wird aber eine AOC immer noch von ihren Gegner*innen angefeindet, weil sie trägt, was sie trägt. Als sie zum Beispiel für ein Shooting für die Vanity Fair in teurer Kleidung abgelichtet wurde, beschwerte man sich lauthals (Exkurs: Kleidung, die man bei Shootings trägt, gibt man in der Regel nach dem Shooting wieder zurück).

Wie Eingangs bereits gesagt: Der Trend (Politiker*innen werden zu Mode-Influencer*innen) ist nicht schlecht. Denn: Revolutionsgelüste sind nichts Schlechtes. Und wer es ernst mit ihnen meint (go Harris!), lässt diese nicht durch das Tragen von ein paar Timberlands befriedigen. Zum Glück. Aber offensichtlich müssen wir daran arbeiten. Denn solange die Kleidung von Politikerinnen noch so viel Aufsehen erregt, dass vom eigentlichen Zweck abgelenkt werden kann, müssen sie weiterhin modische Schlagzeilen machen. Bis es eben keine mehr sind.

Erstens: Bleibt ihr heute Nacht (US-Wahlen) wach? Zweitens: Tragt ihr auch gerne Chucks?
Drittens: Text gelesen? Dann versteht ihr, warum das zusammenhängt. 

Von Rahel Zingg am 3. November 2020 - 15:58 Uhr