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Der ganz normale Wahnsinn

Wer bin ich – und wenn ja wieviele?

Die Kinder unserer Familienbloggerin werden erwachsen, was bedeutet, dass sie ihren Fokus immer mehr weg von ihnen und hin zu sich selbst legen muss. Aber wer bin ich denn überhaupt abseites der Rollen, die ich während der letzten Jahre ausgefüllt habe?, fragt sie sich.

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Sandra Casalini Blog der ganz normale Wahnsinn
«Berufstätige Mutter» – das hätte unsere Familienbloggerin noch vor kurzem spontan auf die Frage, wer sie sei, geantwortet. Natürlich ist sie das immer noch. Aber diese Rolle definiert sie je länger desto weniger. Lucia Hunziker

Kind 1 feiert nächste Woche seinen 19. Geburtstag. Kind 2 den 17. (Ja, sie haben in der gleichen Woche Geburtstag. Die teuerste des Jahres. Während früher jeweils ein Festli mit Kuchen aus einer Backmischung genügte, wollen sie heute «fein» essen gehen. Und das ist nicht Pizza ...). Abgesehen vom Finanziellen ist diese Woche immer auch eine, die mich zum Nachdenken anregt. Je älter sie werden, desto mehr.

Während diese Gedanken sich noch bis vor kurzem ausschliesslich um meine Kinder drehten, geht es jetzt immer öfter um jemanden, die mir fast ein bisschen fremd geworden ist: mich selbst. Seit ihrer Geburt war mein Fokus auf meinen Kindern. Jetzt rückt er immer mehr von ihnen ab – zum Glück, alles andere wäre weder für sie noch für mich gut. Für mich bedeutet das, dass ich mich immer öfter mit der Frage auseinandersetzen muss, wer ich eigentlich bin, ohne all die Rollen, die ich als berufstätige Familienfrau bisher ausgefüllt habe. Oder, wie Philosoph Richard David Precht in seinem berühmtesten Werk fragt: Wer bin ich – und wenn ja wieviele?

«Den Fokus auf mich selbst zu richten, macht mich nicht nicht zu einer schlechten Mutter»

Dieses «und wenn ja» hat mich bereits vor einiger Zeit ziemlich hart getroffen. Bin ich überhaupt noch jemand, wenn ich nicht «Mami von», «Partnerin von» oder «Journalistin bei» bin? Die Antwort, die ich mir selbst darauf geben musste, war ernüchternd: nein. Ich hatte mich komplett verloren in all denen, die ich sein sollte, sein wollte, von denen ich dachte, dass ich sie sein müsste.

«Ich bin ich bin ich bin ich»

So stehe ich jetzt mehr oder weniger am gleichen Punkt wie meine pubertierenden Kinder. Nicht nur körperlich und hormonell (ich könnte jede Woche über diese verfluchten Wechseljahre schreiben, aber irgendwann hat man das dann ja auch gesehen, gell), sondern auch, was die Orientierungslosigkeit und die Suche nach sich selbst betrifft. Ich bin immer noch viele. Ich bin immer noch Mutter, Partnerin, Freundin, Arbeitskollegin. Und ich möchte diese Rollen weiterhin so gut ausfüllen, wie ich kann. Aber ich möchte mich nicht mehr ausschliesslich über sie definieren. Aber eben – wenn ich nicht «Mami von», «Partnerin von», «Freundin von» oder «Arbeitskollegin von» bin – wer bin ich dann? Was ich inzwischen herausgefunden habe: Ja, ich bin. Ich bin auch unabhängig von meinen Rollen ich. Wer genau das ist, dessen bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber während mich die Suche nach mir selbst vor einiger Zeit noch in Panik versetzte, macht sie mir immer mehr auch Freude (auch wenn ich bei Weitem nicht nur schmeichelhafte Seiten an mir (wieder) entdecke ...). Was ich mittlerweile auch weiss: Den Fokus an diesem Punkt meines Lebens auf mich selbst zu richten, macht mich nicht zu einer schlechten Mutter, Partnerin oder Freundin. Es bringt mir den Menschen näher, mit dem ich ganz sicher den Rest meines Lebens verbringe.

Meine Mutter erzählt gern, dass ich mit zwei Jahren vor dem Spiegel stand und minutenlang: «Ich bin ich bin ich bin ich» vor mich hinbrabbelte. Ich hab das kürzlich wieder mal ausprobiert. Bis Kind 1 im Türrahmen auftauchte und meinte: «Na Gott sei Dank bist du du. Denn wärst du ich hätt ich jetzt echt ein Problem mit mir.»

Von SC am 26. August 2023 - 18:00 Uhr