Katharina Samoylova, was unterscheidet Menschen, die aus einer toxischen Beziehung kommen, von anderen, die unter einer Trennung leiden?
Nach einer üblichen Trennung finden die meisten Menschen nach einiger Zeit emotional wieder in ihr Gleichgewicht zurück. Während einer toxischen Beziehung mit einer Achterbahn aus Nähe, Zurückweisung und intensiven Versöhnungsphasen entwickeln aber viele psychosomatische Symptome: innere Unruhe, Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Verspannungen oder sogar Übelkeit und Erbrechen bei Streit oder emotionaler Überforderung. Stück für Stück verlieren sie den Zugang zu ihren eigenen Bedürfnissen und Emotionen. Nach der Trennung fühlen sie sich häufig leer und innerlich zerrissen. Obwohl sie rational wissen, dass die Trennung richtig war, reagiert der Körper oft mit starker Anspannung, Angst, Zittern und emotionalen Zusammenbrüchen. Ohne gezielte Unterstützung bleiben viele lange in diesem Ausnahmezustand gefangen – manchmal Monate oder sogar Jahre.
Braucht jeder und jede Betroffene nach einer toxischen Beziehung eine Therapie?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Jeder Mensch ist unterschiedlich belastbar, und jede toxische Beziehung verläuft anders. Wer nur kurz in einer belastenden Beziehung war, kann sich manchmal auch allein gut stabilisieren. Wer jedoch viele Jahre in einer toxischen Dynamik gefangen war oder starke Folgen wie Angstzustände, emotionale Abhängigkeit oder Selbstwertprobleme entwickelt hat und traumatisiert ist, sollte sich professionelle Unterstützung holen. Eine professionelle psychologische Begleitung kann den Heilungsprozess deutlich erleichtern und beschleunigen.
Betroffene sagen, sie seien in einer klassischen Redetherapie irgendwann nicht mehr weitergekommen.
Eine solche Therapie ist grundsätzlich sehr wirksam und kann Betroffenen helfen, ihre Erfahrungen besser zu verstehen und einzuordnen. Allerdings beobachte ich in meiner Arbeit, dass sie bei Menschen, die aus toxischen Beziehungen kommen, früher oder später an ihre Grenzen stösst. Erlebnisse aus solchen Beziehungen sind nicht nur im Kopf gespeichert, sondern setzen sich auch im Körper fest – in Form von Anspannung, innerer Unruhe, Schlafstörungen oder einem permanent erhöhten Stresslevel. Gesprächstherapien arbeiten primär über das Bewusstsein, sie erreichen oft nicht die tieferen Ebenen, auf denen der Körper die Erlebnisse weiterhin festhält. Deshalb können körperorientierte Ansätze, wie etwa EFT, eine wertvolle Unterstützung sein. Sie helfen dabei, die im Körper gespeicherten Spannungen sanft zu lösen und tiefere emotionale Heilung zu ermöglichen.
Kann ein Trauma nach narzisstischem Missbrauch geheilt werden?
Es kann in vielen Fällen gut behandelt werden. Hundertprozentige Symptomfreiheit kann niemand garantieren, doch viele Betroffene schaffen es, das Erlebte so zu verarbeiten, dass sie sich wieder emotional frei fühlen – und sogar gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgehen. Wie lange dieser Weg dauert, ist sehr individuell.
Je nachdem ist der Kontaktabbruch mit dem Narzissten oder der Narzisstin nicht möglich, zum Beispiel bei gemeinsamen Kindern. Wie können Betroffene damit umgehen?
Eine solche Situation ist sehr belastend. Es ist wichtig, die eigenen Emotionen gut kontrollieren zu lernen und möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Das bedeutet konkret: Die Kommunikation sollte sich auf das Wesentliche beschränken – kurze, sachliche Antworten wie «Ja», «Nein» oder «Ich werde darüber nachdenken». Diskussionen oder emotionale Gespräche sollten unbedingt vermieden werden. Hilfreich ist, eine separate Handynummer oder E-Mail-Adresse einzurichten, um den Kontakt klar abzugrenzen und ausschliesslich auf die Kinder zu fokussieren.
Was ist Ihr wichtigster Rat an jemanden, der/die aus einer toxischen Beziehung kommt?
Man soll sich nicht scheuen, Unterstützung zu suchen – sei es im privaten Umfeld oder durch professionelle Begleitung. Viele Betroffene wurden in der toxischen Beziehung isoliert und entfremdet, sodass es manchmal schwerfällt, überhaupt Hilfe anzunehmen. Und: Nicht versuchen, den Schmerz dauerhaft zu verdrängen. Arbeit, Sport, Partys oder im schlimmsten Fall Alkohol und andere Ablenkungen mögen kurzfristig helfen – langfristig führen sie jedoch oft dazu, dass die unterdrückten Gefühle wie eine Lawine über einen hereinbrechen.