Es kommt der Tag, an dem schliessen (viele) Frauen mit der Pille ab und streichen das hormonelle Kontrazeptivum aus ihrem Alltag. Anja Suter, Historikerin und Expertin in Sachen Pillengeschichte, erklärt, wieso das so ist.
Style: Frau Suter, Frauen sind mehr und mehr pillenmüde. Ist das neu?
Anja Suter: Nein. Die Erfindung der Pille brachte von Anfang an Skepsis mit sich, vor allem von Ärztinnen und Ärzten. Sie fragten sich unter anderem, wie sehr die Pille Krebs begünstigt. In den späteren 1960er-Jahren wurden dann die ersten Fälle von Thrombose registriert. Es gab Frauen, die daran gestorben sind. Das ging um die Welt. Solche Fälle wurden in den 70ern immer wieder thematisiert, vor allem auch von der wieder erstarkenden Frauenbewegung.
Worum ging es da?
Diese Frauenbewegung war anfangs stark mit der 68er-Bewegung verbunden. In Europa und den USA ging es vor allem um den Kampf für die Legalisierung der Abtreibung. Auf dem afrikanischen Kontinent, in Lateinamerika und Südasien wehrten sich Frauen gegen die vom Staat, respektive von privaten, auch westlichen Organisationen angeordnete Geburtenkontrollpolitik. In Extremfällen wurden Frauen zwangssterilisiert oder ihnen wurde eine Hormonspirale eingesetzt – ohne jegliche Informationen, was diese mit dem Körper anstellt und welche potenziellen Nebenwirkungen sie mitbringt.
Wie sah es in der Schweiz aus?
Das war auch hier der Fall. Bis in die 1970er-Jahre wurden Frauen, die als abnormal oder psychisch krank erklärt wurden, ohne ihre Einwilligung sterilisiert. Dazu zählten auch Frauen, die sich nicht der damaligen bürgerlichen Lebensnorm, zum Beispiel der Ehe, unterwerfen wollten. Oder jene, die als Zigeuner bezeichnet und als solche systematisch diskriminiert wurden. All dies wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren auch von der Frauenbewegung aufgegriffen und kritisiert. Es entstand ein Bewusstsein dafür, dass Geburtenkontrolle nicht nur Befreiung, sondern je nach Kontext auch Zwang heissen kann. Bei den Themen wie Sexualität, Gesundheit und Gewalt gegen Frauen spielte deshalb die Aufklärung über Verhütung und auch über die Pille eine wichtige Rolle.
Was ist aus den Protesten entstanden?
In der ganzen Schweiz entstanden mehrere autonome Gesundheitszentren, in denen sich Frauen von Pflegefachfrauen, Hebammen oder Gynäkologen Rat und Informationen zum weiblichen Körper, zur Empfängnisverhütung oder zum Thema Abtreibung holen konnten. Die Nachfrage war riesig. Frauen konnten sich hier auch über Risiken und Nebenwirkungen der Pille informieren, um nicht komplett der Pharmaindustrie oder einer als hierarchisch wahrgenommenen, meist männlichen Ärzteschaft ausgesetzt sein.
Die erste Packungsbeilage kam auch erst 1970 – zehn Jahre nach der Einführung.
Richtig. Mediziner und Medizinerinnen kämpften, dass Frauen besser informiert sind. Nicht wenige waren der Meinung, die Pille sei viel zu gefährlich, um sie auf den Markt zu bringen.
Und trotzdem ist die Pille auch heute noch sehr beliebt.
Die Pille war eigentlich nie wirklich unbeliebt. Der Unterschied zu früher ist, dass es jetzt mehr Gynäkologinnen gibt und wir besser Bescheid wissen. Aber wir wissen auch heute noch nicht alles über die Wirkung der Antibabypille. Dennoch denke ich, dass in der heutigen Generation von jungen Frauen ein grosses Bewusstsein bezüglich Verhütungsmitteln besteht. Viele junge Frauen wollen nicht täglich Hormone schlucken und Risiken ausgesetzt sein.
Was meinen Sie, geht die Pille bald in Rente?
Das bezweifle ich. Die Pille gilt nach wie vor als ein zuverlässiges Verhütungsmittel, bei dem die Frau weitgehend die Kontrolle darüber hat, ob sie schwanger werden will oder nicht. Und bis die Männerpille kommt, wird es wohl noch ein paar Jahre gehen.