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  4. Postpartale Depression bei Vätern: Expertin klärt auf

Wusstet ihr das?

«Postpartale Depression gibt es auch bei Vätern»

Dass Mütter nach der Geburt ihres Kindes an postpartaler Depression leiden können, ist bekannt. Doch habt ihr schon mal davon gehört, dass auch Väter betroffen sind? Wir haben mit einer Expertin über dieses Tabuthema gesprochen.

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mann depression

Postpartale Depressionen werden bei Vätern selten entdeckt. Dies muss sich ändern.

Getty Images

Yvonne Widmer, leiden auch Väter nach der Geburt ihres Kindes an postpartaler Depression (PPD)?
Ja. Leider ist es noch ein Tabuthema, deshalb wissen viele Menschen, auch Betroffene, nichts darüber.

Was ist denn eine PPD genau?
Eine PPD darf nicht mit dem physiologischen Babyblues verwechselt werden. 50 bis 80 Prozent der frisch gebackenen Mütter erleiden in den ersten Tagen bis zwei Wochen einen Babyblues. Sie sind dann sehr emotional, reizbar und den Tränen nahe. Ursachen dafür können zum Beispiel die Hormonumstellung nach der Geburt, der Schlafmangel oder der Rollenwechsel von der Frau zur Mutter sein. Bei 10 bis 15 Prozent der Mütter tritt jedoch im ersten Jahr nach der Geburt eine PPD auf. Diese kann sich unter anderem durch Traurigkeit, Unsicherheit und Angespanntheit äussern, aber auch dadurch, dass Frauen sich die Schuld für ihre Probleme geben, viel weinen, tief erschöpft sind oder schlecht schlafen können. Wer bereits vor der Mutterschaft unter Depression litt oder Fälle in der direkten Familie hat, ist anfälliger dafür. Weitere Risikofaktoren können unter anderem auch soziale Probleme, wenig Raum für sich selbst, Schuldgefühle oder ein «Schreibaby» sein.

Können auch Väter den Babyblues bekommen?
Natürlich brauchen auch Männer in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt des Babys Zeit, um sich an die neue Rolle und die vielen Veränderungen im Leben zu gewöhnen. Aber in der medizinischen Literatur spricht man bei Vätern nicht vom Babyblues. Von postpartaler Depression hingegen schon.

«Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann eine PPD bekommt, ist dann besonders hoch, wenn seine Frau selbst daran leidet oder litt.»

Yvonne WIdmer, Hebammenexpertin

Äussert sich die postpartale Depression bei Männern gleich wie bei Frauen? 
Nein. Bei Männern kann es zu übermässigem Konsum von Alkohol und anderen Drogen, aggressivem und impulsivem Verhalten, Reizbarkeit oder tiefer Frustrationstoleranz kommen. Es gibt Männer, die sich auch zunehmend zurückziehen, sich isolieren, in die Arbeit, den Sport oder in Hobbys stürzen. Weitere Anzeichen können nächtliches Zähneknirschen, Verspannunge oder psychosomatische Beschwerden ohne medizinische Diagnose sein. Etwa Magenbeschwerden, Durchfall oder Herzrhythmusstörungen. Auffallend ist auch, dass viele Männer ihr Befinden leugnen oder sich davon distanzieren.

Warum ist dies so ein Tabuthema?
Auf Eltern lastet der gesellschaftliche Druck, dass man mit Kind glücklich zu sein hat. Als Mann muss man zudem stark sein, die Familie unterstützen. In den letzten Jahrzehnten hat sich zum Glück einiges getan, was die Rollenbilder betrifft: Frauen studieren und arbeiten, Männer übernehmen zu Hause einen Teil der Aufgaben, sowohl im Haushalt als auch mit den Kindern. 

Welche Männer sind besonders gefährdet, an PPD zu erkranken?
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann eine PPD bekommt, ist dann besonders hoch, wenn seine Frau selbst daran leidet oder litt. Rund 10 bis 15 Prozent der Mütter sind betroffen und in etwa 50 Prozent dieser Fälle trifft es dann auch den Kindsvater.

Kann ein Mann unabhängig von seiner Partnerin an dieser Form der Depression leiden? 
Ja, das ist möglich. Etwa 13 Prozent der betroffenen Männer haben zu Hause eine Partnerin ohne Anzeichen auf eine Depression. 

Auch Hormone spielen eine Rolle

Nicht nur die Hormone der Frau verändern sich, auch beim Mann geschieht vor und nach der Geburt eines Kindes viel. So schüttet sein Körper vermehrt das Bindungshormon Oxytocin aus. Dies bewirkt, dass der Testosteronspiegel absinkt, was in der Folge zu Depressionen führen kann, wie der Verein Postpartale Depression Schweiz in einer Präsentation schreibt.

Ist die postpartale Depression beim Mann eher ein modernes Phänomen oder gab es das schon früher? 
Dazu gibt es leider keine Zahlen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es heute für Väter schwieriger ist, als in der Vergangenheit. Sie sind in Familie, Beruf und Freizeit eher Mehrfachbelastungen ausgesetzt, hinzu kommt, dass die Selbstverwirklichung stärker im Vordergrund steht als früher. Auch die sozialen Medien und das Vergleichen des eigenen Lebens mit jenem anderer Menschen können einen negativen Einfluss haben.

Wie wichtig ist die psychische Gesundheit der Väter für ihre Kinder?
Sie ist sehr wichtig. Die Annahme, dass Väter in den ersten Monaten im Leben des Babys keine grosse Rolle spielen, ist falsch. Es ist wichtig, dass die Männer von Anfang an eine aktive Rolle im Leben ihres Kindes übernehmen, sie gehören ebenso ins System wie die Mütter. Es würde helfen, wenn sie schon während der Schwangerschaft mehr eingebunden würden und besser Bescheid wüssten, was sie im Leben mit Kind erwartet. Eine Idee wären Männer-Geburtsvorbereitungskurse. Es gibt auch spezielle Schwangerschafts-Apps für Männer. So können sie besser teilnehmen an den Veränderungen, die ihre Frauen durchleben. Mit dem Vaterschaftsurlaub, welcher vom Volk angenommen wurde, gehen wir einen Schritt in die richtige Richtung. Die Familie hat dadurch mehr Zeit, sich gemeinsam auf die neue Lebenssituation einzustellen. Der Vater kann ab Geburt stärker eingebunden werden.

Was kann man sonst noch tun, um auf das Thema aufmerksam zu machen?
Es braucht meiner Meinung nach eine allgemeine Sensibilisierungskampagne, die sich an Mütter, Väter, aber auch an den Rest der Familie und Freunde richtet. Die Sensibilisierung durch Fachpersonen sollte ein zentraler Punkt in der Aufklärungsarbeit sein. Dazu gehören Hebammen, Mütter-Väter-Beratungen, Kinderärzte, Gynäkologen, Hausärzte und die Medien. Es ist wichtig, dass Fachleute, die in ihrem Beruf eng mit Müttern und Vätern zusammenarbeiten, im Studium und in Weiterbildungen mit diesem Thema in Berührung kommen. Eine Studie aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass Männer ungenügend gescreent, diagnostiziert und behandelt werden, das muss sich ändern. Und man sollte Frauen und ihre Männer getrennt voneinander befragen, sodass die Väter in einem sicheren Rahmen ehrlich sprechen können.

Zur Person

yvonne widmer hebamme
ZVG

Yvonne Widmer ist Hebammenexpertin am Universitätsspital Zürich und freie Dozentin am Zentrum für Gesundheitsberufe (fhg) in Tirol, Österreich.

Mütter und Väter mit kleinen Kindern empfiehlt sie einen Selbsttest zum Thema Postpartale Depression. Diesen findet ihr hier.

Von Edita Dizdar am 20. Oktober 2020 - 06:34 Uhr