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Trauerbegleiterin zum Tod von Eliana Burki

«Kinder trauern so, wie sie leben: im Jetzt»

Vergangene Woche löste der Tod von Alphornistin Eliana Burki grosse Betroffenheit aus. Die zweifache Mutter ist im Alter von 39 Jahren an den Folgen eines Hirntumors gestorben, einen Tag vor dem ersten Geburtstag ihres Babysohnes. Wie wir trauernde Familien unterstützen können, erklärt Erika Schärer-Santschi, Präsidentin des Vereins Krisen- und Trauerbegleitung Schweiz.

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Mädchen sitzt mit Teddy unter einem Baum

Kuscheln tröstet: Ein Mädchen sitzt mit ihrem Teddy unter einem Baum. (Symbolbild)

Getty Images

Frau Schärer-Santschi, Eliana Burki hinterlässt zwei Kinder im Alter von 1 und 4 Jahren. Wie erklärt man so kleinen Kindern, dass Mami tot ist und nie mehr zurückkommen kann?  
Kinder in diesem Alter können sich noch nichts darunter vorstellen. Wie wir Erwachsenen ja auch nicht wirklich, aber wir können das besser konstruieren, da wir einen Bezug zur Zeit haben, darüber verfügen Kinder im Vorschulalter meistens noch nicht. Sie brauchen vor allem das Gefühl, gut aufgehoben zu sein, Geborgenheit, Wärme und ein Umfeld, das darauf eingeht, was sie gerade brauchen. «Nie mehr» verstehen sie nicht. Trotzdem ist es wichtig, ehrlich zu sein und zu sagen, dass Mami nicht da ist und nie mehr zurückkommt.

Wie gibt man den Kindern zu verstehen, dass Mami auch gerne hier bei ihnen wäre und nicht gehen wollte? 
Es ist absolut wichtig, die Kinder ernst zu nehmen und sie zu entlasten, ihnen zu sagen: «Wir vermissen Mami auch, und sie wäre auch gerne bei uns», nicht dass sie das Gefühl haben, die Mutter sei wegen ihnen gegangen. Kinder haben bei Todesfällen oft Schuldgefühle, sie glauben, nicht lieb genug gewesen zu sein, etwas falsch gemacht zu haben. Darum ist es wichtig, sie emotional zu entlasten und ihnen zu sagen: Es passieren Dinge  im Leben, die wir nicht beeinflussen und nicht verstehen können.

Wie findet man die richtigen Worte? 
Wichtig ist es, nicht einfach «darauf los zu erklären», sondern den Moment zu nutzen, wenn das Kind von sich aus Fragen stellt oder Emotionen zeigt. Was man sagt, hängt natürlich auch vom eigenen Glauben oder von eigenen Überzeugungen ab. Zum Beispiel, dass das Mami jetzt im Himmel ist. Oder was ich einmal von einem fünfjährigen Mädchen gehört habe: «Mami ist ein Stern im Himmel und behütet mich Tag und Nacht. Nachts kann ich es sogar  sehen. Es ist immer bei mir!» Solche Aussagen sollten dem Kind nicht ausgeredet werden. Sie helfen ihm, mit dem Verlust umzugehen und einen Ort für Mami zu haben. Die Symbolsprache ist dabei wichtig. Die verstehen Kinder.

Können sie ein Beispiel machen?
Man kann den Tod anhand einer Blume erklären, die verwelkt. Oder mit einem Baum, der sein Kleid in den vier Jahreszeiten wandelt.

Was kann Kindern sonst noch helfen, mit ihrer Trauer umzugehen? 
Es gibt tolle Kinderbücher zum Thema Tod und Trauer, zum Beispiel «Sarahs Mama. Wenn die Mutter stirbt – ein Kinderbuch» von Uwe Saegner. Manche Kinder spielen Sterben und Tod. Dann erschrecken die Bezugspersonen oft, doch es ist wichtig, das zuzulassen und darauf einzusteigen. Auch Zeichnen tut manchen Kindern gut, oder ein Lied singen, einfach irgend etwas, das ihnen ermöglicht, ihre Emotionen auszudrücken. Aber wie gesagt: Es sollte immer vom Kind aus kommen, wir dürfen ihnen nichts aufzwingen. Nicht selten haben engagierte Erwachsene das Gefühl, sie müssten den Verlust unbedingt gleich mit dem Kind verarbeiten, und forcieren den Prozess.

Kind malt Regenbogen und Mädchen mit Schmetterling

Manchen trauernden Kindern hilft es, ihren Emotionen beim Malen freien Lauf zu lassen.

Getty Images

Was ist falsch daran? 
Wir sollten einem trauernden Kind Zeit und Raum geben, das zu machen, was es spürt und will, darauf eingehen, was es ausdrückt, und seine Emotionen legitimieren. Einfach mit dem Kind sein und mit ihm den Schmerz teilen. Weinen zum Beispiel tut gut, dann soll man Verständnis zeigen, nicht sagen «alles ist gut», denn in diesem Moment ist nicht alles gut. Sie vermissen in diesem Moment das Mami und es schmerzt. Nach kurzer Zeit kann dies wieder vorbei sein und das Kind zeigt an etwas Freude. Auch hier ist wichtig, die Freude mit ihm zu teilen. So kleine Kinder sind auch beim Trauern sehr abhängig von ihrem Umfeld. Sie lernen durch Nachahmen, wie man mit Trauer umgeht, und trauern so unterschiedlich wie wir Erwachsenen. Ein aktiver Trauerprozess braucht gewisse Fähigkeiten, zum Beispiel, ein Ereignis zeitlich einordnen zu können. Das kann ein Kind  im Vorschulalter wie gesagt noch nicht wirklich, es lebt in der Gegenwart. Es lernt mit der Zeit, dass der Verlust zu ihm und in sein Leben gehört. 

Das macht es für Erwachsene schwieriger zu verstehen, wie sich der Verlust einer nahen Bezugsperson für das Kind anfühlt.
Das Kind merkt, dass dieser nahe Mensch nicht mehr da ist, darum ist es so wichtig, dass andere Bezugspersonen den Verlust mittragen, da und mit ihm sind. Es soll unbedingt spüren, dass es okay ist, so wie es ist.

Wie können Aussenstehende einer trauernden Familie helfen?
In meiner Praxis höre ich immer wieder von Trauernden, dass sie zu viel oder zu wenig Anteilnahme erfahren. Man soll sich nicht aufdrängen, aber auch nicht auf Abstand gehen. Wichtig ist eine Beileidsbekundung, ein Zeichen der Anteilnahme zu setzen. Zu kommunizieren: «Wir sind da und mit euch.» In welcher Art und Weise, auf welchem Weg, hängt davon ab, wie nahe man der Familie ist.

Was könnte man konkret anbieten?
Für den zurückgebliebenen Elternteil ist Alltagsentlastung hilfreich, sei es in der Betreuung der Kinder, beim Wäsche machen, Hausaufgaben helfen, einfach bei allen Aufgaben, welche früher die verstorbene Person gemacht hat. Wichtig dabei: Keine Erwartungen an die Hinterbliebenen haben oder meinen zu wissen, was ihnen gut tut. Die trauernden Menschen dürfen direkt danach gefragt werden. Wenn sie (noch) nicht sagen können, was ihnen helfen würde, einfach mal Angebote machen, kleine Zeichen setzen, einen Kuchen vorbei bringen oder einen Zmittag anbieten. Und sich nicht gleich zurück ziehen, wenn die Familie nicht auf die Angebote eingeht. Die Unterstützung durch das soziale Netz ist jetzt entscheidend, und die Bedürfnisse der trauernden Menschen ändern sich mit der Zeit. In zehn Tagen freuen sie sich vielleicht darüber, von jemandem bekocht zu werden.

Was ist sonst noch wichtig im Umgang mit trauernden Familien?
Nicht darüber zu werten, in welcher Form die Hinterbliebenen um die verstorbene Person trauern. Da kann eine ganze Palette an Emotionen und Verhaltensweisen hervorkommen, und das ist okay. Früher gab es das Trauerjahr, um der Gesellschaft zu erleichtern, auf Trauernde einzugehen. Heute soll das Trauern ins Leben integriert werden. Vielleicht hat der hinterbliebene Elternteil zwischen seiner absoluten Trauer auch Momente, während denen er nichts mit Trauer zu tun haben möchte und ganz andere Dinge tut. Auch wenn er an ein Fest gehen will ist das völlig okay, das sollte nicht missverstanden und verurteilt werden. Es gibt Zeiten zum Trauern, und es gibt auch Zeiten zum sich Freuen und Lachen. Man nennt das den dualen Trauerprozess.

Und wie kann man den verstorbenen Elternteil als Teil der Familie würdigen und im Alltag einbringen?
Eliana Burkis einjähriges Kind wird keine kognitive Erinnerung haben ans Mami, aber eine emotionale schon. Auch beim vierjährigen werden nur Bruchstücke an Erinnerungen bleiben. Es ist wichtig, dass man das verstorbene Mami auf ihren weiteren Lebensweg mitnimmt. Ihr Bild von ihrer Mutter ergibt sich durch die Erzählungen der Mitmenschen und wandelt sich im Laufe ihres Lebens. Ihr Mami ist nicht mehr hier auf der Erde, aber trotzdem da. Erwachsene können mit den Kindern zusammen Räume und Momente der Erinnerung schaffen. Man darf den Kindern Fotos der Mutter zeigen, aber dosiert, nicht aufdrängen. Auch ein Familienfoto darf in der Wohnung präsent sein. Rituelle Jahrestage zu Weihnachten, Ostern oder am Geburtstag, an denen man ganz bewusst zusammen ans Mami denkt, helfen, sie auf den Lebensweg der Kinder mitzunehmen. Mit 14 Jahren werden sie andere Fragen stellen als jetzt, und der Blick auf die Mama und darauf, was man ihnen von ihr erzählt, wird sich verändern. Sie werden mit den geschenkten Erinnerungen durchs Leben gehen. Die Frage, wie wäre es gewesen, wenn sie nicht gestorben wäre, wird sie ein Leben lang begleiten.

Sie haben in ihrer Praxis auch mit Erwachsenen zu tun, die ihre Mutter als Kind verloren haben. Was für Erfahrungen machen sie?
Das kommt stark darauf an, was für tragfähige Beziehungen in ihr Leben kommen. Oft bauen sie eine starke Beziehung zu einer anderen Person auf. Das kann eine Gotte, eine Tante oder auch eine Freundin der verstorbenen Mutter sein. Diese Beziehung ist nie als Ersatz für Mami zu verstehen und ist doch bedeutungsvoll. Ihr Leben ist anders, als es mit der Mutter verlaufen wäre, aber es muss nicht schlechter sein. Es ist wichtig, den Lebensweg dieser Kinder zu unterstützen, zu stärken und zu würdigen. An bestimmten Punkten in ihrem Leben wird die abwesende Mama stärker im Mittelpunkt stehen, etwa wenn sie selber Kinder bekommen.

Erika Schärer-Santschi, Präsidentin des Vereins Krisen- und Trauerbegleitung Schweiz, ist Trauerbegleiterin mit eigener Praxis in Thun, Autorin sowie Dozentin und Referentin im Bereich Palliative Care. Sie leitet den ersten Studiengang CAS in Krisen- und Trauerbegleitung HES-SO Wallis.

 

Von am 5. Mai 2023 - 17:43 Uhr