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  4. Erziehung: Tipps, was Eltern statt bestrafen tun können

Die Essenz aus vielen Erziehungsratgebern

Wie man Strafe im Erziehungsalltag überflüssig macht

Erziehen ohne Strafe: So sinnvoll das in der Theorie tönt, so schwierig gestaltet es sich in der Praxis. Mit Achtsamkeit, Geduld und Respekt ist es jedoch hinzukriegen.

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A man with daughter in the garden, planting seedlings.

Erziehen ohne Strafe ist zwar mit Aufwand verbunden, bringt aber langfristig mehr Harmonie in den Familienalltag.

Getty Images

Nie standen Eltern mehr Informationen zur Verfügung als im Zeitalter des Internets. Kaum hat man ein Baby im Arm, drückt einem die Sachbuch-Industrie auch noch gefühlte 145'849 Leseempfehlungen in die Hand. Als hätte man jetzt noch Zeit zum Lesen!

Gleichzeitig hatten Eltern wohl nie so viele Fragen wie heutzutage. Denn Eins ist mittlerweile klar: So wie frühere Generationen wollen wir Vieles nicht mehr machen. Nur wie dann?

Gerade wenn es um Bestrafungen geht, ist eine Revolution im Gange. Nicht nur die Art und Weise, wie Eltern unerwünschtes Verhalten ihrer Kinder bestrafen, wird diskutiert, sondern Bestrafung als Gesamtkonzept infrage gestellt. Pädagogische Fachpersonen lehnen mittlerweile einen harten Führungsstil mehrheitlich ab. «Bestrafung entmündigt die Kinder», sagt etwa Sozialpädagogin Carmen Lahusen zu SI Family. Strafen erzielen selten den gewünschten Effekt und schädigen auf Dauer die Eltern-Kind-Beziehung.

Nur, wie geht Erziehung ohne Strafe? Auch dazu gibt es eine wahre Informationsflut. Wir haben uns durchgewühlt und wichtige Grundpfeiler herausgefiltert, wie Eltern der Strafe im Familienalltag ein für alle mal «Auf Nimmerwiedersehen!» sagen können. 

Vorleben ist besser als Vollquatschen

Wasser predigen aber Wein trinken – das hat noch nie funktioniert. Wenn wir uns ein bestimmtes Verhalten von unseren Kindern wünschen, haben wir wohl die besten Erfolgschancen, wenn wir es ihnen vorleben.

Das funktioniert umgekehrt auch mit nicht erwünschtem Verhalten, so Psychiaterin und Bestseller-Autorin Gail Saltz. «Beleidigungen und Schläge gehen niemals. Kinder lernen von Erwachsenen. Wenn diese auf gewalttätig sind, lernen die Kinder von ihnen, Konflikten mit Aggression oder Gemeinheit zu begegnen.» Oder anders ausgedrückt: Wir schreien unsere Kinder ständig an? Kein Wunder, schreien sie zurück. Allerdings lässt sich daraus nicht schliessen, dass ein Kleinkind, das die Fäuste benutzt, um seine Probleme zu lösen, ein gewalttätiges Elternhaus hat – es braucht eventuell einfach noch ein wenig Zeit, um sich konstruktive Lösungsstrategien von seinen Vorbildern abzugucken.

«Erklären Sie ihrem Kind, warum sie die Fassung verloren haben und machen Sie deutlich, dass sie sich wünschten, das wäre nicht passiert.»

Bestseller-Autorin Gail Saltz

Nun ist es natürlich für Eltern nicht ganz einfach, jederzeit achtsam, liebevoll und besonnen zu reagieren. Manchmal wird man eifach SUPER WÜTEND! Hier rät die Expertin auf der amerikanischen Elternplattform Very Well Family: «Nehmen Sie sich eine Auszeit. Gehen Sie weg und kommen Sie erst zurück, wenn sie einen Plan haben, wie Sie mit der Situation umgehen wollen.» Sollte es doch einmal passieren, dass ein Elternteil die Fassung verliert, rät die Expertin, zum Fehler zu stehen und sich zu entschuldigen. «Erklären Sie ihrem Kind, warum sie die Fassung verloren haben und machen Sie deutlich, dass sie sich wünschten, das wäre nicht passiert.»

Anweisungen richtig geben: So gehts!

Es ist ein kleines Phänomen, dass Eltern ihre Anweisungen an Kinder oft als Frage formulieren – und damit eigentlich unbewusst das Kind auffordern, sich für oder gegen die Umsetzung zu entscheiden. «Gehst du schon mal deine Schuhe anziehen?» Auf diese Formulierung kann das Kind theorietisch mit «Nein, danke» reagieren, ohne dass wir ihm einen Vorwurf machen dürfen. Wir haben ja gefragt, nicht eine klare Anweisung formuliert.

Für ein Kind sind deutliche Anweisungen einfacher zu befolgen. «Ich möchte, dass du deine Schuhe anziehst», lautet ein freundlicher Satz, der keinen Interpretationsspielraum zulässt. Laut dem amerikanischen Familientheurapeuten David Johnson sollen Eltern mit ihren Anweisungen zudem sparsam umgehen. Einmal sagen, reicht. «Wenn man den Kindern wiederholt dasselbe sagt, bevor sie reagieren, trainiert man sie dazu, einen zu ignorieren.»

Natürliche Konsequenzen zulassen

Beim Vermeiden von Bestrafungen geht es nicht darum, dem Kind jegliche negative Erfahrung zu ersparen. Im Gegenteil: Es ist wichtig, dass Kinder die Konsequenzen ihrer Handlungen kennenlernen. Denn Konsequenzen sind die natürliche Folge unseres Verhaltens.

Damit Kinder lernen können, dies zu begreifen, müssen Eltern zulassen, dass die Kleinen ihre eigenen Erfahrungen sammeln – und auch mal einen Fehler machen oder scheitern. Das wird ihnen im Leben noch oft passieren und es kann nicht schaden, eine bereits in der Kindheit Bewältigungsstrategien dafür zu entwickeln (aka Resilienz).

Um beim einfachen Beispiel mit den Schuhen zu bleiben. Wenn ein Kind im Regen keine Gummistiefel anziehen will, merkt es schnell, dass man dann halt nasse Füsse kriegt. Hier ist elterliche Geduld gefragt. Denn oft sind solche Abenteuer mit einem Mehraufwand verbunden (man muss sich das Gejammer anhören, man muss danach die Schuhe trockenen ...). Ein Mehraufwand, der sich allerdings lohnt. Der Lerneffekt ist viel grösser, wenn die Kinder selbst Erfahrungen sammeln dürfen, als wenn wir uns darüber den Mund fusselig reden – wie ja eben auch David Johnson festhält.

Problemlösung ersetzt Bestrafung

Beim Erziehen ohne Strafe steht ein Kernelement im Vordergrund: der gegenseitige respektvolle Umgang. Anstatt unser Kind für einen Fehler zu verurteilen können wir als Eltern seine Partner werden bei der Problemlösung. Gemeinsam gehts besser, dies ist einer der Leitsätze von Erziehungsexpertin Bonnie Harris: «Problemlösung ist das, was Bestrafung ersetzen muss, um ein verantwortungsbewusstes und respektvolles Verhalten bei Kindern und Erwachsenen zu ermöglichen», sagt die Expertin. Denn Bestrafung habe nichts mit Respekt zu tun. Sie sei eine erzwingende manipulative Taktik, die angewendet wird, um Kindern den eigenen Willen aufzuzwängen. «Sie trägt nicht dazu bei, Charakter und Empathie zu entwickeln. Das gehört dazu, Mobber zu erschaffen. Kinder lernen nicht durch Angst und Zwang.»

Wie Problemlösung gemeinsam mit den Kindern funktionieren kann, leben Herzogin Kate und Prinz William vor. Sie haben anstelle von Bestrafungen ein Chat-Sofa entwickelt. Verhält sich eines der Kinder inakzeptabel, setzt sich einer der beiden Elternteile mit ihm aufs Sofa und diskutiert die Angelegenheit, lässt das Kind seine Gefühle formulieren und sucht gemeinsam mit dem Kind nach einer Lösung. Diese Methode zeugt von Respekt und Liebe, weil sie auf Augenhöhe mit dem Kind stattfindet, die Eltern-Kind-Beziehung stärkt und Kinder wichtige Kompetenzen fördert, wie etwa das benennen eigener Gefühle und die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen und Lösungen zu finden.

Von KMY am 27. Mai 2022 - 07:09 Uhr