1. Home
  2. Family
  3. Hilfe unsere Tochter (3) verhält sich wie ein Baby

Romina weiss Rat

Auffälliges Verhalten – eine Kindersprache für sich

Wenn ein Kind plötzlich frech oder aggressiv wird, oder gar in die frühkindliche Phase zurückfällt, steckt dahinter oft ein Hilferuf. Unsere Familienexpertin Romina Brunner hilft, ihn zu deuten.

Artikel teilen

kind mit fläschchen

Wenn das Fläschchen sein Comeback feiert: Manche Kleinkinder fallen in die Babyphase zurück, wenn sie etwas zu verarbeiten haben.

Getty Images
Romina Brunner, SI Online Familien Bloggerin, bei sich zu Hause in Birchwil ZH, am 09.11.2018, Foto Lucian Hunziker
Romina Brunner

Meine Tochter kommt nächstes Jahr in den Kindergarten. Bislang empfand ich sie als reif genug dafür. Doch seit ihre älteren Geschwister (Zwillinge) im Kindergarten sind und sie an den Kita-Tagen vorwiegend jüngere Kinder um sich hat, fällt sie Zuhause oft in frühkindliche Verhaltensmuster zurück. Sie bildet keine ganzen Sätze mehr, macht Babygeräusche und stellt sich unselbständig an. Ist das normal? Was kann ich dagegen tun? – Tamara

Liebe Tamara

Seit deine Tochter geboren wurde, ist um sie herum ständig etwas los. Sie wird gestreichelt, umarmt, geküsst, bewundert. Gezogen, geschupst, erschreckt und manchmal auch bedroht. Sie ist so gut wie nie alleine. Selbst beim Stillen oder Schlafen wird sie mehrheitlich beobachtet.

Fragt Romina!

Habt ihr auch ein Thema, das euch beschäftigt? Dann schreibt ein Mail an romina@schweizer-illustrierte.ch

Nun plötzlich diese Stille. Da sind keine überlauten Stimmen, kein fröhliches Lachen, da ist kein Geschrei, kein Geräusch. Selbst wenn das Radio läuft oder du ihr eine Geschichte erzählst, ist es auffällig still und ungewohnt ruhig. Da kann deine Maus noch so glücklich sein, dass sie dich für sich alleine hat – es fühlt sich gleichzeitig gspässig an. Wie alles, was neu ist.

Verhaltensauffälligkeiten kompensieren Lücken in der Sprache

Doch die meisten Dreijährigen können ihre Gefühle weder einordnen noch benennen. «Kinder drücken ihre Probleme immer durch Verhaltensauffälligkeiten aus», sagt Sozialpädagogin Carmen Lahusen. Falle ein Kind zurück in eine frühere Entwicklungsphase, deute dies auf einen Mangel an Aufmerksamkeit hin und auf ein Gefühl der Verlassenheit, diese werde häufig durch Veränderungen in ihrer Lebenswelt hervorgerufen.

Deiner Tochter scheint dies auf zweierlei Art zu widerfahren: Sie bekommt weniger Aufmerksamkeit, weil ihre Zwillingsgeschwister im Fokus stehen, neue Freunde gefunden haben und viel erleben. Gleichzeitig verliert deine Tochter auf einen Schlag beide Geschwister als Spielkameraden an den Kindergarten. «Das jüngere Kind bleibt zurück, was ihm ein Gefühl von Verlassenheit gibt», sagt Lahusen. «Da dürfte ihr die Verhaltensanpassung an jüngere Kinder in der Kita ein beglückendes Gefühl der Zugehörigkeit bescheren», glaubt die Sozialpädagogin.

Umstellungen im Alltag brauchen Verarbeitungszeit

Liebe Tamara, unsere Tochter hatte auch Mühe, als ihre grosse Schwester in den Kindergarten kam. Mittlerweilen findet sie sich aber ganz gut zu recht und geniesst es wahnsinnig, mich für sich zu haben.

Der Kindergarteneintritt unserer Älteren bedeutete aber auch für mich eine Umstellung. Von einem Tag auf den anderen war alles so viel ruhiger und entspannter. Und doch gleichzeitig seltsam. Inzwischen haben wir uns in unserem neuen Alltag zurechtgefunden. Der Morgen ist strukturiert, wir haben gemeinsame Rituale geschaffen. Wir geniessen die Zweisamkeit und trotzdem freuen wir uns beide ungemein, wenn die Grosse am Mittag nach Hause kommt.

Ignorieren ist keine Lösung

Ich glaube, dass sich eure Situation bald einrenken wird. Vielleicht hilft es, wenn du eure gemeinsame Zeit für Dinge nutzt, die früher im Beisein der Zwillinge zu kurz kamen oder nicht gleichermassen genossen werden konnten. Wir, beispielsweise, gehen einkaufen, Flaschen entsorgen, zeichnen, spielen und kochen zusammen.

Lahusen rät, sich voll und ganz auf das zurückbleibende Kind zu konzentrieren. «Meines Erachtens wäre es wichtig, sich auf die Kleinkindphase der Dreijährigen zu 100 Prozent einzulassen und ihr die dringend benötigte Aufmerksamkeit zu gewähren.» Dadurch fühle sie sich angenommen und verstanden. Durch die Aufmerksamkeit bekommt sie aber auch ein Gefühl von Zugehörigkeit. Laut Lahusen darf man das frühkindliche Verhalten keineswegs ignorieren, das würde diese «Phase» nur verlängern und sogar verstärken, da die Bedürfnisse des Kindes nicht erfüllt werden.

Doch was, wenn alles nichts nützt? «Sollte dies nicht die erhoffte Wirkung zeigen, könnten die Eltern dem Kind immer wieder kleinere Aufträge erteilen, die seinem Alter entsprechen und die das Kind mit Erfolg selbstständig ausführen kann», sagt Lahusen. Idealerweise seien dies die einfachsten «Mithilfe-Aufgaben im Haushalt», die erledigt werden müssen. Natürlich soll dies gelobt werden, aber richtig: «Man schaut das Kind bewusst an und lächelt. Durch diese Erfahrung wird es wieder Selbstvertrauen aufbauen, denn was es macht, ist wichtig und richtig und gibt ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit.» 

Übrigens, sollte der Rückfall in die kleinkindliche Phase auch ein Comeback von Fläschchen und Nuggi bedeuten, findest du hier Tipps für die Entwöhnung.

Herzlich,
Romina

Unsere Expertin für Familienfragen

Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.

Von Romina Brunner am 21. Januar 2021 - 07:09 Uhr