Das Showkostüm für seine Premiere in der Manege des Circus Knie ist da! Aufgeregt rennt Maycol junior (4) zu seinen Eltern. Papa Maycol Errani (37) frisiert ihm für die Zirkusprobe die Haare mit Gel, Mama Géraldine Knie (49) zupft das weisse Hemd ihres Kleinen zurecht und reicht ihm das schwarze Jackett. «Che bello sei!» – «Du siehst hübsch aus!», sagt sie freudig. «Maycolino» legt seine Hände auf die Brust, streicht über das Kostüm und hebt stolz seinen Kopf: Jetzt ist er ein Zirkusartist.
Bis vor drei Monaten hätte niemand der Familie Knie geglaubt, dass der jüngste Spross diese Saison seinen Einstieg in die Showwelt bestreiten würde. Denn Maycol jun. hatte vor allem eines im Kopf: Traktoren! «Er liebt alles Technische, zählt alle Lastwagen, schaut sich im Zelt jeden Anker, jedes Spannnetz an», sagt Géraldine Knie. Dass nach Chanel (11) und Ivan Frédéric (20) nun auch ihr drittes Kind mit einer Ponynummer sein Debüt gibt, überrascht die künstlerische Direktorin aber nicht. «Bei uns ist es so: Nach ‹Mami› und ‹Papi› lernen die Kinder gleich alle Pferdenamen.»
«Bei uns ist es so: Nach ‹Mami› und ‹Papi› lernen die Kinder gleich alle Pferdenamen.»
Géraldine Knie
«Ist gut, wie ich sitze?», fragt Maycol jun. auf Pony Dallas und schaut zu seinem grossen Bruder hoch. «Ja, super!», sagt Ivan. Dass Maycol jun. seine Geschwister ständig auf den Rücken der Pferde sah, hat dazu geführt, dass er es ihnen gleichtun wollte. Nonno Fredy Knie (75) der mit seinem Enkel die Nummer trainiert, erinnert sich an jenen Moment, als der Kleine mit einem alten Flyer zu ihm kam und fragte: «Nonno, wieso bin ich nicht darauf zu sehen?» – «Weil die alle in der Manege arbeiten.» Zwei Tage später sei Maycolino bei ihm in den Stallungen gestanden und habe gesagt: «Ich will reiten lernen!»
Mama Géraldine, Bruder Ivan und Schwester Chanel haben ihren Einstand in einem ähnlichen Alter gegeben. Ivan Knie erlebt in den Proben fürs aktuelle Programm einen nostalgischen Flashback, als er sieht, wie Schwester Chanel den Buben an der Hand und das Pony Tycoon an den Zügeln Richtung Manege führt. «Mich hat damals mein Grossvater Fredy geleitet, und ich war sehr nervös.» Auch Chanel weiss noch, wie Nonno sie als Dreijährige auf dem Pony Lafayette und dem Pferd Amadeus in die Zirkuswelt einführte. «Ich habe immer meine Ohren gehalten und meine Backen aufgeblasen. Nonno sagte, ich soll damit aufhören, weil ich wie ein Äffchen aussehe.» Chanel lacht. Sie weiss: «Maycolino ist für die Manege mehr als bereit!»
«In diesem Alter ist das Auftreten eher wie Spielen – und freiwillig»
Ivan Knie
«In diesem Alter ist das Auftreten eher wie Spielen – und freiwillig», sagt Ivan Knie. «Kinder müssen Kinder sein, das Auftreten soll sich nicht wie Arbeiten anfühlen – geforderte Disziplin hin oder her. Und Maycolino ist sowieso eigenwillig. Wenn ihm etwas nicht passt, macht er es nicht.»
Bei Ivan kam der Ernst erst ins Spiel, als es darum ging, einen Beruf zu erlernen. «Pferdedresseur zu sein, bedeutet immer, 100 Prozent zu geben. Aber es gibt nichts, was mir mehr Spass machen würde.» Vor zwei Jahren hat Ivan Knie von Grossvater Fredy sechs braune Pferde zum Geburtstag erhalten. «Diese zu trainieren und auszubilden, ist sozusagen seine Lehrmeisterprüfung», sagt Fredy Knie. Im aktuellen Programm zeigt Ivan nun seine allererste Nummer mit selbst dressierten Pferden. «Dieser Beruf ist eine lange Ausbildung. Ich lerne jeden Tag von Nonno.»
Trotz seinem Rücktritt 2019 steht der Zirkusdoyen täglich als Direktor mit den Tieren und seinen Enkeln in der Trainingshalle. «Die Jungen sollen möglichst lange von meinen Erfahrungen profitieren. Bis jetzt hören noch beide auf mich», sagt er mit einem Augenzwinkern. Zu wissen, dass seine Leidenschaft in seinem Sinne weitergeführt wird, erleichtert den Rücktritt vom Scheinwerferlicht. «Ich erlebe sie und sehe, dass sie es können. Es gibt nichts Schöneres.» Auch wenn Ivan heute mit der Probe nicht zufrieden ist – von Nonno gibts lobende Worte. «Er hat die Pferde super im Griff. Bei mir wars noch lange nicht immer so. Zwölf Pferde bedeuten zwölf verschiedene Charaktere.» – «Ja, die Tiere lehren mich Geduld», sagt Ivan.
Abseits der Auftritte und der Arbeit existiert bei Familie Knie, die rund um die Uhr zusammen ist, ein normaler Alltag mit sehr flexiblen Bettzeiten. Täglich essen die sechste, die siebte und die achte Generation gemeinsam zu Mittag, das Menu kocht meist Nonno. Maycol jun. ist auch abseits der Essenszeiten oft im Buffetzelt anzutreffen. Der Kleine liebt es, überall mitzuhelfen – ob am Buffet, an der Kasse oder in der Werkstatt. «Er ist ein Allrounder wie sein Vater. Sozusagen ein Baby-Maycol», sagt Ivan. Der Älteste der drei Geschwister – sein Vater ist Artist Ivan Pellegrini – hat in den vergangenen Jahren seine geliebte Playstation aufgegeben und ist zum «Sport-Fanatiker» geworden. Jede freie Minute widmet er dem Fussball oder dem Tennis. Vor allem mit dem diesjährigen Special Guest Sänger Bastian Baker, 30, misst er sich gern auf dem Tennisplatz. «Hobbys abseits des Zirkus zu haben, ist sehr wichtig in diesem Beruf», sagt Ivan. Auch sein Freundeskreis hat mehrheitlich nichts mit der Manege zu tun.
Chanel sitzt in der Garderobe und wartet auf ihren nächsten Einsatz. Während der Tournee besucht sie die Zirkusschule, in der Saisonpause im Winter die öffentliche. «In der Freizeit reite ich gern mit Ivan aus oder spiele mit Maycolino Ball», erzählt sie. Zudem sei sie es gewesen, die zuerst die Nummer ihres kleinen Bruders mit den beiden Ponys geübt habe. «Oh, ich muss zur Arbeit!», ruft sie und springt auf. Die Musik zum Finale ertönt. Schliesslich will auch dieses geübt sein. «Maycolino?! Maycolino?!» Nanny Alma Christy de la Cruz, 54, sucht zwischen den Wohnwagen nach ihrem Schützling. Auch er muss doch zur Finalprobe. «I am always running after them», sagt die Filipina. Seit 20 Jahren umsorgt sie als Nanny Géraldine Knies Kinder. Sie ist eine von 200 Mitarbeitenden aus 17 Nationen – davon sind 37 Artisten. Doch wo ist der Jüngste?
Ivan beobachtet seelenruhig die Szenerie, während er selber Richtung Zelt geht. «Einer muss ja der ruhende Pol in der Familie sein. Chanel und Maycol sind sehr temperamentvoll und für ihr junges Alter bereits sehr pflichtbewusst», sagt er lachend, «aber sehr empathisch.» Dass sich vieles um den kleinen Principe dreht, stört ihn überhaupt nicht. «Das war bei Chanel und mir nicht anders. Wir hatten alle genügend Aufmerksamkeit.» Aber klar sei: «Mit 20 Jahren ist im Zirkus der Jö-Faktor weg, und ich muss mit Leistungen überzeugen.» Irgendwann wird dies auch bei Maycolino der Fall sein. Aber bis dahin soll er das Spiel vom Zirkus in der Manege geniessen.