Viele Eltern setzen schon bei Babys ab dem Breialter auf vegane Ernährung. Was halten Sie davon?
Karolin Rose: Eine diversifizierte Ernährung unter Einschluss aller Lebensmittelgruppen gilt als gesündeste Ernährungsform des wachsenden Organismus. Dennoch unterstützen wir Eltern, die ihre Kinder aus zum Beispiel ethischen oder ökologischen Gründen pflanzenbasiert aufwachsen lassen möchten.
Prof. Dr. med. Carsten Posovszky: Eine vegane Ernährung während der Schwangerschaft, Stillzeit sowie von Säuglingen und Kleinkindern wird von deutschsprachigen Fachgesellschaften und Ernährungskommissionen nicht empfohlen. Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass es keine Daten zu langfristigen Gesundheitsauswirkungen gibt und die Sorge vor Fehl- oder Mangelernährung wie bei anderen einseitigen Ernährungsformen besteht.
Karolin Rose: Eine Begleitung durch erfahrene ÄrztInnen und ErnährungsberaterInnen ist aus unserer Sicht absolut notwendig, um mögliche Mängel zu verhindern. Wir unterstützen Eltern, die ihre Kinder pflanzenbasiert aufwachsen lassen möchten.
Worauf sollten Eltern achten, wenn sie ihre Kinder vegan ernähren?
Prof. Dr. med. Carsten Posovszky: Gerade bei veganer Ernährung ist die Zufuhr von einer ganzen Reihe von Nährstoffen wie Vitamin D, Jod, Eisen, Zink, Omega-3-Fettsäuren, Vitamin B12, Calcium, Protein und Vitamin B12 zu beachten.
Karolin Rose: Eine grosse Vielfalt und Abwechslung der Lebensmittel bei einer veganen Ernährung ist äusserst wichtig. Als Alternativen zu Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukten sollten täglich Hülsenfrüchte, Sojaprodukte, Nüsse, Same und Kerne sowie Vollkorngetreide auf dem Speisenplan stehen. Um die Aufnahme von Eisen und Zink zu gewährleisten, müssen spezielle Massnahmen angewendet werden (z.B. Vitamin C-haltige Lebensmittel). Bei Kleinkindern kann die geringere Kaloriendichte und bei älteren Kindern der geringere Proteingehalt der pflanzenbasierten Nahrung eine Herausforderung werden. Unabhängig von der Ausgewogenheit der veganen Ernährung ist eine Supplementation gewisser Nährstoffe unumgänglich (Vitamin B12 und allenfalls Jod, Vitamin D, Calcium und Omega-3-Fettsäuren).
Eine vegane Ernährung bei Kindern wird von von deutschsprachigen Fachgesellschaften und Ernährungskommissionen nicht empfohlen.
Getty ImagesHaben vegane Kinder mehr Mangelerscheinungen?
Karolin Rose: Glücklicherweise beschäftigen sich vegane Eltern meist sehr ausführlich und gewissenhaft mit ihrer Ernährungsweise und suchen sich gezielt Antworten beim Start der Ernährung ihres Säuglings. Vegan ernährte Säuglinge sind oft etwas schlanker, zeigen insgesamt aber ein gutes Gedeihen und eine normale Entwicklung. Schwerwiegende Mangelerscheinungen sehen wir nur selten.
Prof. Dr. med. Carsten Posovszky: Diese können jedoch sehr eindrücklich und folgenschwer sein, wie ich das in einem Fall eines Kleinkindes mit Gedeihstörung, schwerster geistiger Entwicklungsstörung und Krampfanfällen aufgrund von Mangel an Vitamin D, Eisen, Vitamin B12 und Protein, selber gesehen habe.
Brauchen Kinder Fleisch und Fisch oder lassen sich diese auch durch andere Alternativen ersetzen?
Karolin Rose: Eine klassisch vegetarische Ernährung gilt gemeinhin als sicher. Einzig auf die ausreichende Zufuhr von Eisen (z.B. durch Hülsenfrüchte, Tofu oder/und Vollkorngetreide) und Omega-3-Fettsäuren (z.B. durch Algenöl) ist zu achten.
Prof. Dr. med. Carsten Posovszky: Erste Langzeit-Studien zeigen auch, dass sich vegetarisch ernährte Kinder im Wachstum nicht unterscheiden.
Was halten Sie von Fleischersatzmitteln?
Prof. Dr. med. Carsten Posovszky: Stark, beziehungsweise ultra-prozessierte vegane Nahrungsmittel könnten sich ebenso wie ultra-prozessierte Fleisch-basierte Produkte negativ auf die Gesundheit auswirken, weshalb von «veganem Junk Food» mit langen Zutatenlisten ebenso abzuraten ist.
Karolin Rose: Jedoch sind nicht alle gängigen Fleischalternativen hoch prozessiert. Tofu beispielsweise ist in der der Herstellung vergleichbar mit der von Käse und besteht lediglich aus Soja und Gerinnungsmittel und ist ein wertvoller Lieferant von Protein, Eisen, Magnesium, Calcium, Folsäure, Niacin und Vitamin B1.
Gibt es Studien zu Langzeitwirkungen von Kindern, die vegan ernährt wurden? Weiss man, ob diese als Teenager/Erwachsene gesünder oder weniger gesund sind als Kinder, die Fleisch und Fisch und Eierprodukte gegessen haben?
Prof. Dr. med. Carsten Posovszky: Richtige Langzeitstudien, welche vegan lebende Personen vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter begleiten und Auswirkungen auf Wachstum, Knochendichte, Nährstoffmangel etc. erfassen, sind uns bisher nicht bekannt.
