Muss man dich kennen?» Diese Frage wird Kristian Grippo regelmässig von älteren Personen gestellt. Immer dann, wenn sich in der Öffentlichkeit eine Schar junger Menschen um ihn herum versammelt, die unter Schnappatmung oder Kreischanfällen um Selfies bittet. «Es ist total okay, wenn man nicht weiss, wer ich bin», antwortet der 22-jährige Basler lässig und erklärt: «Ich mache bloss Videos im Internet und zeige meinen Alltag – beim Sport, beim Tanzen oder Stylen.»
Andere Meinungen sind dem Internet-Star egal: «Nur weil ich Make-up benutze, bin ich nicht weniger Mann.»
Joseph KhakshouriAn seinem Leben sind viele interessiert. Allein auf der Videoplattform Youtube, die ihr 20-Jahr-Jubiläum feiert, zählt er fast siebeneinhalb Millionen Fans und ist damit der erfolgreichste Schweizer Creator. Über all seine Kanäle ist die Reichweite noch grösser: 20 Millionen Followerinnen und Follower begeistert er täglich.
Social Media statt Studium
Seinen Lauf nimmt alles während der Pandemie. «Ich war viel daheim und ständig auf Instagram und Tiktok. Irgendwann hat mich die Lust gepackt, selbst Videos zu drehen und diese hochzuladen. Als ich gemerkt habe, dass mein Content gut ankommt, hat es mich nicht mehr losgelassen.» Mit der wachsenden Community kommen noch während seiner Gymi-Zeit erste Werbeaufträge. Nach und nach merkt Kris, dass aus seinem Hobby ein Beruf wird, weshalb er nach der Matur nicht wie geplant das Pädagogikstudium angeht, sondern alles auf die sozialen Medien setzt.
Als Einzelkind ist Kris der ganze Stolz von Papi Tomas – nur beim Fussball sind sie sich nicht einig: Der Junior ist Juve-Fan, das Herz des Seniors schlägt für den heimischen FCB.
Joseph KhakshouriDass der Sohn eine eher unkonventionelle Berufslaufbahn einschlägt, ist für Papa Tomas (54) kein Problem: «Für meine Frau und mich war immer wichtig, dass er sich als Person entfalten und seine Träume verwirklichen kann. Wenn er glücklich ist, bin ich es auch», sagt der Servicetechniker, ehe er leicht verlegen ergänzt: «Hinzu kommt, dass er gutes Geld damit verdient, auch wenn ich nicht ganz verstehe, wie das im Detail abläuft.» – «Das habe ich dir schon x-fach erklärt», interveniert Kris mit einem Lachen und setzt ein weiteres Mal an: «Marken wie Coca-Cola, L’Oréal oder Zalando bezahlen mich, damit ich ihre Produkte in meinen Kurzvideos einbinde und so Werbung für sie mache. Wir Influencer sind das, was früher Inserate, Plakate und TV-Spots waren.»
Neue Videos erfordern auch neue Outfits. Mode ist Kristians grosse Passion: «So kann ich mich auch wortlos ausdrücken.»
Joseph KhakshouriBei der Auswahl seiner Partner achtet der Jungunternehmer darauf, dass sie in seinen Lifestyle passen und er sie möglichst über mehrere Jahre repräsentieren kann. «Das schafft Authentizität und für mich in finanzieller Hinsicht bessere Planbarkeit.» Zusätzlich spülen einzelne Kooperationen und Vorschauwerbung auf Social-Media-Plattformen Geld in seine Kasse. «Eine komplexe Rechnung. Teilweise blicke ich selbst nicht durch», gesteht der Internet-Star. «Ich bin froh, dass mein Management sich um Administratives kümmert und ich Treuhänder habe, die sich mit meinen Steuern und Finanzanlagen herumschlagen. So kann ich mich dem kreativen Teil widmen.»
Ein Job mit Ablaufdatum
Wer nach Kristian Grippo googelt, erhält rasch den Suchvorschlag nach seinem Vermögen. Die Spannbreite diverser Schätzungen reicht von 500 000 bis fünf Millionen Franken. «Der Range ist gross, aber wir bewegen uns dazwischen», sagt er spitzbübisch. Doch konkreter auf die Gagen und Einnahmen will er nicht eingehen. Nur so viel: «Es schenkt ausgesprochen grosszügig ein.» Doch im gleichen Atemzug relativiert Grippo: «Die meisten verstehen nicht, dass mein Job ein Ablaufdatum hat – wie im Profisport. Deswegen muss ich jetzt vorsorgen.»
Oftmals werde er – vor allem von Älteren – belächelt, wenn es um seine Arbeit gehe. «Das stört mich etwas. Die wenigsten wissen, wie hart ich in meinem Kinderzimmer arbeite. Ich muss mir neue Ideen überlegen, die Videos drehen, schneiden, mich um die Distribution kümmern und gute Zahlen liefern. Es gibt Momente, in denen sich mein Leben nach Content richtet. Obwohl das ermüdend sein kann, schätze ich es enorm, dass ich zu dem kleinen Kreis gehöre, der davon leben kann.»
Die goldene Plakette an der Wand hat «Kris» von Youtube erhalten – für eine Million Abonnenten. Ab zehn Millionen gibt es einen Diamanten, der ihm schon bald winkt.
Joseph KhakshouriKalkül für Klicks?
Als Vollprofi weiss Kris, der italienische Wurzeln hat, welche Inhalte online funktionieren. «Ein sicherer Wert sind Videos, in denen ich mich schminke.» Es folgt eine Erklärung, ganz im Jargon von Social-Media-Profis: «Das sorgt für Engagement, was der Algorithmus liebt und mir Reach verschafft.» Nichtsdestotrotz, von Kalkül für Klicks will er nichts wissen. Und wieder sprudelt es aus dem Gen-Zler raus: «Seit meinen Anfängen nutze ich Make-up. Früher, als ich noch weniger Self-Confidence hatte, habe ich dafür sogar Hate bekommen. Wer setzt sich dem schon gern freiwillig aus?»
Kristian alias Kris8an und Valeria alias darkredsakura sind seit vier Monaten ein Paar. Künftig wollen sie auch Content zusammen machen.
Joseph KhakshouriKristian Grippos Auftreten sorgt seit je für Spekulationen um seine Sexualität. Was ihn einst gestört hat, nimmt er heute mit Humor. Seit vier Monaten ist er mit Valeria (23), einer deutschen Twitch-Streamerin, in einer Beziehung. «Sie lebt in Berlin, ich im kleinen Allschwil. Das funktioniert nur, weil wir sehr flexibel sind und wir grosses Verständnis füreinander aufbringen. Es ist schön, jemanden im Leben zu haben, mit dem man alles teilen kann.» So wollen sie künftig auch als Paar ihre Community bespielen. Und weil es zwischen den beiden so gut funktioniert, ist ein Zusammenzug bereits Thema – «wir müssen aber noch ausdiskutieren, wo wir uns eine gemeinsame Zukunft aufbauen».
Fakten
2,5
Milliarden
monatliche Nutzerinnen und Nutzer zählt Youtube im vergangenen Jahr – Tendenz steigend.
500
Stunden
Videomaterial werden 2022 pro Minuten auf die Plattform hochgeladen – heute sind es noch mehr. Zum Vergleich: 2010 waren es 24 Stunden.
8,6
Milliarden
Aufrufe verzeichnet das erfolgreichste Musikvideo aller Zeiten. Dabei handelt es sich um «Despacito» des puerto-ricanisch-amerikanischen Sängers Luis Fonsi.