Was hat eine Blasenentzündung mit dem Riss einer Achillessehne zu tun? Unwahrscheinlich, aber wahr: Die Ruptur kann mit einer falschen Medikation im Zusammenhang stehen. Schmerzlich erfahren musste das Fitnessberater, Buchautor und Personal Trainer Fritz Bebie. Mit Bauchschmerzen, die er einer Fast-Food-Mahlzeit zuschrieb, begab er sich an einem Sonntag in eine Notfallinstitution in Zürich. Nach verschiedenen Abklärungen stand fest: Der Fitnessberater hatte eine Blasenentzündung. Der Arzt drückte ihm ein Antibiotikum (Ciprofloxacin) mit dem Wirkstoff Fluorochinolone in die Hand. Am nächsten Tag, auf dem Weg von der Bridge-Stunde, musste er kurz aufs Tram rennen. Da verspürte er erstmals ein leichtes Ziehen in der Achillessehne. In der gleichen Woche absolvierte er noch drei Trainings mit Kunden als Personal Trainer. Am Wochenende fuhr er mit seinem Alfa Romeo 4C an ein Fahrsicherheitstraining in Italien. Beim Besuch in einem Automuseum in Mailand streifte er mit seinem Fuss ein Podest und spürte einen kurzen, heftigen Schmerz.
Beim Nachhausefahren erkundigte er sich bei Dr. Walter O. Frey (siehe Interview), ob er vorbeikommen könne. Mit seinem Fuss stimme etwas nicht. Ein MRI machte alles klar: Fritz Bebie hatte eine Achillessehnen-Ruptur von über drei Zentimetern. Es stand die Frage offen, ob die Behandlung konservativ oder operativ sein sollte. Da Bebie immer noch als Personal Trainer arbeitet, kam nur die Operation infrage, die dann auch nach zwei Tagen durchgeführt wurde. Er bekam einen Gips, den er acht Wochen (!) tragen muss.
Als Bebies Frau Lotti einer Freundin von der Verletzung erzählte, fragte diese sofort, ob er ein Antibiotikum genommen hätte. Fritz Bebie wurde hellhörig, fing an zu recherchieren und stiess auf eine Unmenge von Berichten, die einen Zusammenhang von Achillessehnen-Rupturen mit einer speziellen Gruppe von Antibiotika mit dem Wirkstoff Fluorochinolone ergaben. Als Experte und Buchautor beim Magazin «Gesundheitstipp» fragte Bebie eine Kollegin an, ob sie auch schon von diesem Zusammenhang gehört hätte. Sie wies ihn gleich auf einen Bericht vom vergangenen Jahr hin, der genau dieses Thema behandelte. Ein Mann mittleren Alters bekam nach einer Gallenblasenentzündung exakt das gleiche Antibiotikum wie Bebie. Zuerst bekam der damals 40-jährige Angstattacken. Es ging ihm mit jedem Tag schlechter, seine Gelenke knackten, Sehnen und Nerven schmerzten so stark, dass jeder Schritt zur Qual wurde. An Sport war nicht mehr zu denken. Der Betroffene leidet noch heute unter starken Nerven- und Gelenkschmerzen. Dem «Gesundheitstipp» gegenüber sagte er, was ihn noch viel mehr schmerzt: «Ich werde meinen Kindern nie das Skifahren oder Fussballspielen beibringen können. Mein Leben, wie ich es kannte, gibt es nicht mehr.»
Und das ist kein Einzelbeispiel: Im gleichen Artikel kommt ein Betroffener aus Zürich zu Wort. Gegen eine vermeintliche Prostataentzündung verschrieb ihm ein Arzt ein Antibiotikum mit dem Wirkstoff Fluorochinolone. Nach dem vierten Tag begannen seine Muskeln zu zucken, und seine Sehnen schmerzten stark. Das Medikament schädigte seine Sehnen so sehr, dass er die Hoffnung auf ein schmerzfreies Leben aufgab.
Der Fälle nicht genug. Im Bulletin der Patientenstelle Ostschweiz und Zürich konnte man im April 2018 folgenden Text lesen: «Herr M. hat eine banale Blaseninfektion und sucht kurz vor seinen Ferien zur Sicherheit einen Arzt auf. Dieser verschreibt ihm ein Antibiotikum mit dem Wirkstoff Fluorochinolone. Er nimmt es ein und erleidet die zwar seltene, aber bekannte Nebenwirkung einer Sehnenschädigung. Seine Gesundheitsschädigung ist schwer, bleibend und beeinträchtigt seine Lebensqualität massiv. Er muss seine Berufstätigkeit aufgeben, ist teilinvalid und kann nur noch in einem Teilzeitpensum mit einer angepassten Tätigkeit arbeiten.»
Antibiotika mit dem Wirkstoff Fluorochinolone können laut der Packungsbeilage «zu schwerwiegenden, potenziell irreversiblen, unerwünschten Wirkungen verschiedener Organsystem führen, die zusammen bei einem Patienten auftreten können. Diese unerwünschten Wirkungen sind Tendinitis (Achillessehnen-Entzündung) und Sehnenrupturen, Arthralgien (Gelenkschmerzen), Effekte auf das periphere sowie zentrale Nervensystem. Diese unerwünschten Wirkungen können innerhalb von Stunden bis Wochen nach Anwendung und bei Patienten jeden Alters auftreten.»
Swissmedic hat im Januar 2018 Anwendungseinschränkungen herausgegeben. Neu dürfen diese Antibiotika nicht zur Erstlinientherapie bei unkomplizierten Infektionen verschrieben werden. In den USA steht bereits ein Warnsymbol auf der Verpackung. Mittlerweile verklagen dort über 200 000 Betroffene die Hersteller auf Schadenersatz. Die Verschreibungspraxis in der Schweiz sei völlig inakzeptabel, hält die Patientenstelle fest. Eine aktuelle Studie zur Verschreibungspraxis von Urologen zeige – sie verschreiben diese Substanz am meisten –, dass sich diese in über 50 Prozent der Fälle nicht an ihre Guidelines halten, in denen sie nicht mehr als Ersttherapie empfohlen werden. Dazu Erika Ziltener, Präsidentin der Patientenstelle Zürich: «Wir werden voraussichtlich einen Aufruf machen, da wir die Problematik als gravierend einschätzen. Die beiden betroffenen Herren – Herr M. und Fritz Bebie – haben eine vergleichbare Leidensgeschichte, was uns bei der Beweisführung eines allfälligen Behandlungsfehlers hilft.»
Warum wurde Fritz Bebie bei einer unkomplizierten Blasenentzündung diese Substanz abgegeben, obwohl Fluorochinolone nur noch bei schwerwiegenden Infektionen eingesetzt werden sollten? Diese Frage stellten wir dem Arzt, von dem Fritz Bebie das Antibiotikum bekommen hatte, bekamen aber auch nach zweimaliger Anfrage keine Antwort.
Der Sommer ist für Fritz Bebie gelaufen: keine Wanderungen, kein Segeltörn, keine Ausfahrten mit seinem Alfa. Dazu der finanzielle Verlust als Personal Trainer und die Aussicht auf eine lange Rehabilitation.