1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. PR-Experte Ferris Bühler über Rassismus-Shitstorm um Mirjam Jäger

PR-Experte Ferris Bühler zum Shitstorm

«Der Imageschaden für Mirjam ist nicht irreparabel»

Seit einer Äusserung im Zuge der «Black-Lives-Matter»-Demonstration vom 13. Juni 2020 in Zürich ist Mirjam «Mimi» Jäger mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert. Im Internet schlägt der Influencerin seit Tagen eine riesige Hasswelle entgegen. In der Folge haben sich auch Unternehmen von ihr abgewandt. Wir haben mit einem PR-Experten über den Shitstorm gesprochen.

Artikel teilen

Sperrfrist 24.04.2020 Interview Sarah 2020

Influencerin Mirjam «Mimi» Jäger hat nach einer kritischen Äusserung auf Instagram einen Shitstorm am Hals.

Joseph Khakshouri

«Danke, ihr lieben Demonstranten, unsere Pläne in der Stadt habt ihr ziemlich durcheinandergebracht. Jetzt habt ihr dann langsam genug demonstriert.» So äusserte sich Mirjam Jäger am Samstag, 13. Juni auf Instagram. Ferris Bühler, wie beurteilen Sie als PR-Experte diese Aussage?
Die Aussage selbst, an der ist nichts falsch daran. Mirjam hat aus einer Emotion heraus, die sie in diesem Augenblick fühlte, reagiert. Sich ab einer Demonstration zu stören, ist an sich kein politisches Statement. Das Problem ist nur, sie war sich dem Kontext, in den ihre Aussage gestellt wurde, nicht bewusst. Mirjam war nicht klar, dass sie mit ihrer Aussage einen derart grossen Personenkreis anspricht.

Hätte Mirjams Aussage denn weniger grosse Wellen geworfen, wenn das Anliegen der Demonstration ein anderes gewesen wäre?
An jenem Wochenende war die «Black-Lives-Matter»-Bewegung weltweit das grosse Thema. Wir reden hier von einer international riesigen Bewegung, die eine gewaltige Dynamik hat, weil sich so viele Menschen gleichzeitig mit dieser Thematik auseinandersetzen. Wäre das Anliegen der Demonstrierenden ein anderes gewesen, zum Beispiel Quartierbewohner, die ein Bauvorhaben stoppen möchten, hätte Mirjams Aussage niemals ein solches Echo ausgelöst.

Was ist in diesem Fall überhaupt problematischer, das öffentliche Luft machen über ihren Ärger generell oder die eigentliche Wortwahl?
Das Problem liegt weniger in der Wortwahl als im unüberlegten, vorschnellen Mitteilen einer Emotion. Gerade in Zeiten von Social Media melden sich Personen im Internet wahnsinnig schnell emotional zu Wort. Da das eigene Smartphone jederzeit griffbereit ist, vergeht zwischen der Gefühlsregung bis zum Teilen der Emotion praktisch keine Zeit. Seinem Ärger aber realtime Luft zu machen, birgt besonders für Prominente grosse Gefahren. Wie schnell tritt man doch in ein Fettnäpfchen, drückt sich zu wenig respektvoll oder präzise aus und tritt so jemandem zu nahe.

Mirjams Verlobter Rafael Beutl war im besagten Insta-Video auch zu sehen. Er äusserte sich mit den Worten: «Einfach nicht cool, Giele.» Warum bekommt Rafa nix vom Shitstorm ab und nur Mimi?
Ein Shitstorm konzentriert sich per se immer auf eine Figur. Sie war die Absenderin des Instagram-Videos. Er sagte einfach, es sei nicht cool. Rafael hat sich weitaus neutraler geäussert als sie, daher gingen alle auf sie los.

Sperrfrist 24.04.2020 Interview Sarah 2020

Erwarten im September ihr zweites Kind: Mirjam Jäger und Rafael Beutl.

Joseph Khakshouri

«Einen solchen krassen Schlagabtausch im Netz gibt es erst seit Corona»

Wenn man sich vor Augen führt, welche Hasswelle Mirjam die vergangenen zwei Wochen entgegenschlug, kriegt man den Eindruck, als wären die Leute aggressiver geworden.
Im Zuge der Corona-Pandemie haben Social Media sehr viel mehr Zuspruch bekommen. Sehr viele Leute hatten im Lockdown keine Möglichkeit, sich mit Mitmenschen auszutauschen. Es gab keine Stammtische, keine Versammlungen, keine Veranstaltungen. Das Bilden von Meinungen wurde komplett auf Social Media verlagert. Wer sich aber virtuell so direkt und frei äussert, läuft Gefahr, in eine Falle zu trampen. Denn zurzeit ist die Gesprächsführung auf Social Media extrem aggressiv und resolut – auch bei anderen Themen. Einen solchen krassen Schlagabtausch im Netz gibt es erst seit Corona. Für nicht öffentliche Personen ist es in der Regel kein Problem, im Netz frei ihre Meinung kundzutun, für Personen der Öffentlichkeit hingegen schon. Wenn sich eine prominente Person kritisch oder emotional äussert, schallt es zehnfach zurück.

In der Schweiz hat jede Person das Recht auf freie Meinungsäusserung. Gilt das für Influencer denn nicht?
Das Sprichwort «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» kann hier als Wegleitung genommen werden. Besonders bei sensiblen Themen wie etwa LGBTQ+, Klimaschutz, Rassismus oder auch Genderfragen ist es ratsam, sich nicht oder nur sehr überlegt und fundiert zu äussern. Als öffentliche Person muss ich mir zuallererst meine Positionierung überlegen. Wie bin ich und wie will ich wahrgenommen werden? Bin ich laut, schrill und schräg? Oder bin ich brav, leise und eher konservativ? Das sind jetzt die beiden Extreme, da gibt es etliche Mittelwege. Zu welchen Themen will ich mich überhaupt äussern? Das sind alles Überlegungen, die auch eine Auswirkung darauf haben sollten, welche bezahlte Partnerschaften man eingeht und welche nicht.

Im Internet wird Mirjam mit Schimpfwörtern eingedeckt. Sie sei ein «elender Rassist» und eine «grusige Drecks-Schweizerin». Sogar Morddrohungen erhält sie. Was sind das für Personen, die jemandem den Tod wünschen, «nur» weil diese Person sich unsensibel geäussert hat?
Diese Personen sind sogenannte Social-Media-Hardliner. Damit meine ich Extremitäten von links bis rechts. Im echten Leben sind das diejenigen Personen, die mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen: «Das geht gar nicht. Dieser Person müsste man die Fresse polieren.» An einem Stammtisch beispielsweise mögen sich diese Menschen mit Gleichgesinnten austauschen können. Im Jahr 2020 verwechseln einige von ihnen Social Media mit dem Stammtisch. Sie lesen irgendwo etwas über eine Person und verurteilen sie lautstark, ohne den Sachverhalt genau zu kennen. Das ist ein inkorrektes Verhalten.

Bringt es aus PR-Sicht überhaupt etwas, mit solchen Kritikern, ja Hatern, in Kontakt zu treten und den Dialog zu suchen?
Nein, das ist extrem zeitaufwendig und zumeist zwecklos. Die Hater benutzen falsche Profile oder anonyme E-Mail-Adressen, um einem zu kontaktieren. Aber es ist wichtig, den Internet-Hass generell öffentlich zu thematisieren. Denn dies ist ein Thema, das uns als Gesellschaft betrifft, und das hat Mirjam getan.

«Die Post etwa hätte statt eines vorschnellen Tweets sofort mit Mimi in Kontakt treten sollen»

Der Diskurs hat so viel Fahrt angenommen, dass einige Unternehmen entschieden haben, nicht mehr mit ihr zusammenzuarbeiten. Ist das die richtige Strategie, um als Unternehmen unbeschadet aus der Sache rauszukommen?
In der Krisenkommunikation geht es immer zuerst darum, den Sachverhalt zu analysieren und erst in einem zweiten Schritt zu handeln. Auch hier liegt das Problem in den Social Media begründet. Ein Mitarbeitender der Unternehmenskommunikation realisiert: «Oh, da wird eine unserer Botschafterinnen im Internet an den sozialen Pranger gestellt. Das müssen wir stoppen.» Statt mit kühlem Kopf nach Wegen zu suchen, wie man sich in den Diskurs einbringen kann, handelt man vorschnell, man lässt die angeprangerte Person fallen.

Was wäre Ihrer Meinung nach die bessere Strategie für die Partner-Unternehmen von Mirjam gewesen?
Es wäre sinnvoller gewesen, den Dialog mit Mirjam zu suchen. Die Post etwa hätte statt eines vorschnellen Tweets, in welchem sich das Unternehmen von Jägers Aussagen distanziert, sofort mit Mimi in Kontakt treten sollen. In solchen Fällen müssen Marke und Botschafter gemeinsam auftreten. Sehr viele Unternehmen machen das leider falsch, sie beugen sich dem sozialen Druck. Sie reagieren nur noch, dabei wäre agieren wichtiger.

Inzwischen hat die Post in einem Statement angekündigt, das Gespräch mit Mirjam zu suchen. Im Gegenzug ist diese Woche IKEA zurückgekrebst, nachdem sie Mirjam anfangs noch Rückendeckung geboten hat. Das schwedische Möbelhaus löst den bestehenden Vertrag mit Mirjam auf. 
Das ist sehr peinlich von IKEA. Sie versuchte zuerst, zu Mirjam zu halten und merkte dann aber, der Wind ist zu rau. Das Thema reisst nicht ab. Dass sich IKEA nun doch von Mirjam abgewandt hat, löst in der Öffentlichkeit und insbesondere bei Mirjam selbst Verwirrung aus.

Mirjam sagt im Interview mit «Blick», IKEA hätte auf eine öffentliche Entschuldigung von ihr bei den «BLM»-Demonstranten bestanden. Hätte das Mirjams Imageschaden denn überhaupt wieder geradegebogen?
Generell will sich niemand für etwas entschuldigen, wofür er missverstanden wurde. In diesem Punkt verstehe ich, dass Mirjam abgelehnt hat. Eine Entschuldigung hätte aber durchaus etwas bewirken können: Sie hätte die Thematik in einem sympathischen Video nochmal aufgreifen können und klarstellen, was ihr widerfahren ist.

Zur Person

Ferris Bühler PR-Experte und Geschäftsführer von Ferris Bühler Communications
Sandro Bross

Ferris Bühler ist Gründer und Geschäftsführer von Ferris Bühler Communications in Baden. Die im Jahr 2000 gegründete PR-Agentur berät Unternehmen und Organisationen in allen kommunikativen Belangen.

Wie vermeidet man als Unternehmen überhaupt, dass eines der eigenen Aushängeschilder mit einem Thema öffentlich an den Pranger gestellt wird, womit man als Unternehmen nicht in Verbindung gebracht werden will?
Indem man sehr genau analysiert und in persönlichen Gesprächen auslotet, mit welcher Person man eine Partnerschaft eingeht. Influencer sind schliesslich auch nur Menschen. Die haben Gefühle und die handeln in bestimmten Situationen. Auch ist es wichtig, als Unternehmen gemeinsam mit dem Influencer über mögliche Worst-Case-Szenarien zu reden, Meinungen und Themen zu identifizieren, die eventuell Anlass zur Kritik geben könnten. Die Realität ist aber nicht so: Heute heuern viele Firmen Hals über Kopf Influencer an, weil das Influencer-Business so fragil ist. Man strebt keine langfristigen Partnerschaften an, sondern will einzelnen Produkten oder Dienstleistungen einfach möglichst schnell Schub verleihen. Wenn Unternehmen früher ein Testimonial suchten, liessen sie sich sehr viel Zeit bei der Entscheidungsfindung. Mit letzterem Ansatz holt man sich den gewinnbringenderen und nachhaltigeren Markenbotschafter ins Haus. Darüber müssen Unternehmen wieder mehr nachdenken.

Das ist also die Hausaufgabe für Unternehmen. Was muss Mirjam für Strategien anwenden, um aus der Sache rauszukommen?
Zuerst ist es nun wichtig, sich von keinen Emotionen mehr leiten zu lassen. Auch wenn es Mirjam bei all dem Druck schwerfällt und für sie als Betroffene die Versuchung riesig ist, sich nochmal in die Diskussion reinzugeben, sie muss jetzt cool bleiben. In einem zweiten Schritt geht es darum, mit allen ihren Kooperationspartnern das persönliche Gespräch zu suchen. Sie muss ihren aktuellen sowie potenziellen Auftraggebern aufzeigen: «Ich bin nicht so, wie ich wahrgenommen werde.» In einem dritten Schritt könnte sie sich gemeinsam mit einem Auftraggeber Gedanken dazu machen, wie sie sich auf eine sympathische Art und Weise für «Black-Lives-Matter»-Anliegen stark machen kann, um eben zu zeigen: «Hey, ich bin nicht gegen euer Anliegen.»

Mirjam hat gegenüber «Blick» gesagt, dass der Verlust in die Tausende geht. Wie hoch schätzen Sie die ihr durch die Rassismus-Debatte entgangenen Gelder ein?
Im Falle der IKEA war es vermutlich eine längerfristige Kooperations-vereinbarung. Weil ich den Leistungsumfang nicht kenne, kann ich nichts zur Preisbasis sagen. Allein die Einnahmen aus den gekündigten Verträgen können aber wohl schnell in den fünfstelligen Bereich gehen. Rechnet man noch potenzielle Aufträge dazu, für die Mirjam mit weiteren Partnern im Gespräch war, könnte der gesamte Verlust schnell im höheren fünfstelligen Bereich liegen.

Wie lange dauert es, bis ein solcher Shitstorm aus den Köpfen der Kunden und Unternehmen verschwunden ist?
Weil dieser Shitstorm nicht nur mediale Auswirkungen, sondern auch wirtschaftliche Auswirkungen hatte, wird es länger dauern, bis der Name Mirjam Jäger nicht mehr damit in Verbindung gebracht wird. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass der Imageschaden für Mirjam nicht irreparabel ist. Es wird sicherlich nicht sofort vergessen sein, aber es wird auch nicht Folgen für die Ewigkeit haben.

Von Sarah Huber am 25. Juni 2020 - 18:51 Uhr