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Christine Egerszegi zum Erpressungsversuch

Fall Berset: «Wir machen aus Opfern Täter»

Die Details zum Erpressungsversuch gegen Bundesrat Alain Berset seien reine Privatsache, sagt alt Ständerätin Christine Egerszegi. Warum die Freisinnige ihren lang­jährigen Weggefährten aus der SP in Schutz nimmt.

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Christine Egerszegi, 2020

Alt Ständerätin Christine Egerszegi kennt die Stolpersteine der Politik.

Kurt Reichenbach

«In Frustzeiten mache ich Musik», sagt Christine Egerszegi, 72, und deutet auf das Klavier in ihrem Wohnzimmer in Mellingen AG. Nun: Die Tasten dürften noch warm sein. Denn alt FDP-Ständerätin Christine Egerszegi hat sich in den letzten Tagen mächtig aufgeregt. Mitten in einer der grössten Gesundheitskrisen unseres Landes wurde bekannt, dass Bundesrat Alain Berset im Dezember 2019 von einer Frau um 100 000 Franken erpresst worden ist. Er erstattete Anzeige, die Frau wurde verurteilt. Letzte Woche hat die «Weltwoche» den Fall publik gemacht. Seither zieht der Erpressungsversuch weitere Kreise. «Schlimm, was hier geschieht», sagt Christine Egerszegi. Als Präsidentin der Kommission für die berufliche Vorsorge kämpft sie mit Alain Berset für die Sicherung der Altersvorsorge. «Ich schätze seine Verbindlichkeit», sagt sie.

Alain Berset, 2019

Bundesrat Alain Berset ist Opfer eines Erpressungsversuchs geworden. 

Kurt Reichenbach

Vor einer Woche Schweigen hat Bundesrat Alain Berset öffentlich gesagt, die versuchte Erpressung sei seine Privatsache. Stimmen Sie dem zu? 
Absolut! Auch Bundesräte haben Recht auf ein Privatleben. Ausserdem ist er nicht der erste Politiker der Schweiz, der erpresst wurde. Im Bundeshaus hat man immer wieder mit solchen Angriffen zu tun.

Sprechen Sie aus eigener Erfahrung? 
Ich wurde nie erpresst, dafür bedroht. «Leute wie Sie müsste man liquidieren», sagte man mir am Telefon, als ich für das neue Asylgesetz kämpfte. Ich habe Polizeischutz beantragt. Aber: Erpressungen und Drohungen gehören zum Politgeschäft. Wer sich einsetzt, setzt sich aus. Es braucht eine harte Schale, damit der Kern weich bleibt.

Gehört ein Seitensprung öffentlich gebeichtet?
Ganz sicher nicht! Glücklicherweise werden Affären in der Schweiz selten publik gemacht. Im Bundeshaus ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man darüber nicht spricht.

Wann gehört Privates an die Öffentlichkeit?
Angenommen, Herr Berset hätte sich mit einer Untergebenen eingelassen, dann müsste die Öffentlichkeit dies erfahren. Denn dann könnte allenfalls der Verdacht auf Machtmissbrauch im Raum stehen.

Christine Egerszegi, 2020

«Erpressungen gehören zum Politgeschäft», sagt Christine Egerszegi.

Kurt Reichenbach
«Was jetzt geschieht, ist Sensationshascherei!»

Berset ist wegen des Erpressungsversuchs an die Bundesanwaltschaft gelangt – der richtige Weg?
Genau so muss ein Bundesrat bei einer Erpressung vorgehen: mit einer Strafanzeige. Das kann natürlich unangenehm sein, etwa wenn dann eine Affäre auffliegt. Aber mit diesem Vorgehen besteht die Chance, dass die Angelegenheit abgeschlossen wird …

… was bei Berset nicht zutrifft.
Die Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft untersucht die Vorgänge in der Behörde. Das ist überhaupt nicht in Ordnung! Die Straftat ist abgeschlossen. Es kann doch nicht sein, dass die Aufsichtsbehörde nun aufgrund eines Zeitungsartikels eine Untersuchung einleitet. Wenn, dann hätte sie von selbst aktiv werden müssen. Was jetzt geschieht, ist Sensationshascherei! Darum müssen wir uns fragen: Welche Verantwortung hat die Aufsichtsbehörde? 

Was, wenn die Aufsichtsbehörde herausfindet, dass doch nicht alles mit rechten Dingen zuging? 
Die Straftat ist wirklich abgeschlossen, die Frau hat die Strafe akzeptiert. 

Könnte ja sein, dass die Bundesanwaltschaft Druck auf die Frau ausübte, damit sie der Löschung ihrer Daten einwilligt.
Halten wir zuerst fest: Diese Frau hat einen Bundesrat um 100 000 Franken erpresst und schon die Konti da-
für bereitgestellt – nun soll sie plötzlich das Opfer sein? Genau diese Umkehrung beobachte ich immer wie-
der: dass wir die Opfer zu Tätern machen. Das ist eine sehr heikle Entwicklung.

Muss ein Bundesrat eine besondere Vorbildfunktion haben?
Man erwartet das. Aber nochmals: Im Fall von Herrn Berset kann ich keine Ungereimtheiten erkennen. Mich interessiert in erster Linie, ob er ein guter Bundesrat ist. Gerade jetzt, in dieser anspruchsvollen Zeit, hat er alle Hände voll zu tun und trägt eine grosse Verantwortung. Darum sollten wir ihm mit Achtung und Respekt begegnen.

Wann müsste Herr Berset Ihrer Meinung nach zurücktreten?
Wenn bei der Erpressung Geld geflossen wäre. 

Von Michelle Schwarzenbach am 25. November 2020 - 18:52 Uhr