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  4. Homosexualität: Warum Outing von Curdin Orlik Schlagzeile wert ist

«Dann denkst du: Scheisse, das ist nicht gut»

Wieso Curdin Orliks Outing eine Schlagzeile wert ist

Schwinger Curdin Orlik wusste schon immer, dass er schwul ist. Aber er dachte, das sei falsch, das könne nicht sein. Und genau deshalb muss seine Geschichte Schlagzeilen machen.

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Curdin Orlik  2020

Curdin Orlik outete sich als erster aktiver männlicher Spitzensportler in der Schweiz als schwul.

Simon Habegger

Eigentlich, so könnte man meinen, sollte ein Coming-Out längst keine Schlagzeile mehr wert sein. Und trotzdem sorgen die Worte, mit denen der Schweizer Schwinger Curdin Orlik am Freitag an die Öffentlichkeit ging, für Aufsehen. «Lieber bin ich frei als ängstlich», sagt er gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Und outet sich als schwul.

Dass ein männlicher Schweizer Spitzensportler diesen Schritt in der Blütezeit seiner Karriere macht, ist ein Novum. Das sorgt für Schlagzeilen, auch wenn es schlicht Normalität sein sollte. Tatsächlich gab es Überlegungen, irgendwann, in einem Interview, einfach beiläufig eine Bemerkung zu machen. Als sei es das Normalste der Welt. Aber: «In der Welt, aus der ich komme, wird Schwulsein eben nicht als das Normalste der Welt betrachtet», sagt Curdin Orlik. Und das ist nicht nur in seiner Welt so.

«So ein schwuler Pass»

Curdin Orlik ist 27 Jahre alt, Vater eines Sohnes und Schwinger.  Er habe schon immer gewusst, dass er schwul sei, sicher seit er zwölf war. «Aber ich dachte: Das ist falsch, das kann nicht sein.»

Er berichtet von Alltagsszenen, die es überall gibt, die aber nur wenige bewusst wahrnehmen. «Auf dem Schulhausplatz habe ich Sachen gehört: Du schwule Sau, du Schwuchtel. Oder beim Fussball: So ein schwuler Pass! Auch beim Schwingen.» Curdin Orlik aber nahm diese Szenen wahr. Und sie brannten sich bei ihm ein.

«Klar, niemand meinte das ernst», ordnet er sein Erlebtes ein. So, wie es wohl auch andere, an den Szenen Beteiligte, einordnen. «Aber wenn du selbst so bist, dann denkst du: Scheisse, das ist nicht gut. Ich dachte: Ich will nicht schwul sein.»

«So bin ich geboren»

Im «Tages-Anzeiger» erzählt Curdin Orlik von seinem Weg zum Coming-Out, bis er sich – und nun auch der Öffentlichkeit – sagen konnte: «Ich bin so, ich kann nichts dafür. So bin ich geboren.» Ein einschneidendes Erlebnis, wieso er sich nicht früher geöffnet hat, kann er nicht benennen. Er erzählt aber von unbedachten Bemerkungen, von Schwulenwitzen, über die er mitlachte, um nicht aufzufallen. Und gleichzeitig von einer kompletten Abwesenheit des Themas, in der Schule, in der Kirche, im Schwingen. Und wie es ihn innerlich immer mehr zerriss. 

Im Sommer 2017, ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes, ging es dann nicht mehr. «Ich merkte, so kann es nicht ein Leben lang bleiben.» Curdin Orlik zog aus der gemeinsamen Wohnung mit seiner Partnerin aus, erzählte ihr wenig später alles. Mit der Zeit konnte er sich auch Freunden und seiner Familie öffnen. Jedes Mal war da eine Angst, zurückgewiesen zu werden. Und jedes Mal gab es danach ein Gefühl, befreit zu sein.

Riesige Welle an Unterstützung für Curdin Orlik

Nun also weiss es auch die Öffentlichkeit. Und die Reaktionen sind überwältigend. Unter seinem Facebook- und Instagram-Post vom Freitag gibt es eine riesige Flut an Kommentaren. Positiven Kommentaren. «Bravo», «Respekt», «Vorbild», so die meisten Wortmeldungen.

Für Curdin Orlik dürfte sich damit nun, nach dem grossen Schritt, wiederum ein Gefühl der Befreiung einstellen. Auch dank all der positiven Rückmeldungen. Eine Welle der Unterstützung, die auch anderen in der gleichen Situation Mut machen dürfte, den gleichen Weg zu gehen, sich zu befreien. Nur schon deshalb ist Curdin Orlik eine Schlagzeile wert.

Aber auch noch aus einem ganz anderen Grund. Denn die Geschichte, die Curdin Orlik erzählt, macht auch nachdenklich, ist sie doch kein Einzelfall. Die beiläufigen Bemerkungen, die nicht böse gemeinten Witze, das Totschweigen eines Themas – und die Auswirkungen von alledem auf Jugendliche wie den damals 12-jährigen Curdin Orlik.

Vielleicht führen solche Schlagzeilen irgendwann dazu, dass die unterstützenden Worte, die Bewunderung, der Respekt nicht nur nach einem Coming-Out kommen. Sondern schon viel früher. Damit irgendwann niemand mehr ängstlich sein muss. Sondern alle frei sein können.

Von Thomas Bürgisser am 7. März 2020 - 12:11 Uhr