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Stephan Eicher im Interview

«Ich bin ein glücklicher Frosch, küsst mich!»

Er ist der berühmteste Schweizer Musiker in der frankofonen Welt und steht seit 45 Jahren auf der Bühne. «Poussière d’or», Goldstaub: Sein 18. Studioalbum ist melancholisch, ironisch und zuweilen kryptisch. Wie Stephan Eicher selbst.

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Stephan Eicher, Musiker, Interview zu seinem neuen Album, einen grossen Teil des Albums hat er im Hotel Marktgasse in der Bibliothek geschrieben, Poussiere d'or, Zuerich, 2025, Fotos: Geri Born Stephan Eicher, Musiker, Interview, Zürich

Stephan Eicher mietete sich im Zürcher Niederdorf in einem Hotel ein, um neue Songs zu schreiben: «Es fühlte sich fantastisch an.»

Geri Born

Zweifelsohne, der Berner ist nicht nur Musikmonument und Stolz der Nation, sondern auch der schönste Grossvater der Schweiz. Trotz oder gerade wegen seiner grauen Mähne. Offiziell ist Stephan Eicher (65) ein Senior. Seinen jungenhaften Charme hat er sich ebenso bewahrt wie den Hang zu verschrobenen intellektuellen Gedankensprüngen, Understatement und sehr viel schalkhaftem Witz. Im Gespräch mit der Schweizer Illustrierten lacht Eicher oft. Er spricht über seine Songs, die Nachteile des Nichtrauchens und den Verdacht, warum Trump unbedingt Grönland will.

Einige Ihrer neuen Lieder klingen, als machten Sie sich Sorgen um den Zustand der Welt. Stephan Eicher, wann hatten Sie das letzte Mal ein «déjeuner en paix»?

Im Sinne von «in Ruhe gegessen»? Gestern Abend. Und nein, ich sorge mich ganz und gar nicht. 2025 ist doch alles besser. Man stelle sich einen Arzt besuch im Jahr 1123 vor, das Essen einfacher Leute 1632 oder eine unabhängige Frau in der Schweiz vor 1972. Ausser der Musik, die war in der Renaissance doch besser, in der Romantik auch. Die Beatles waren besser. Die Luft vielleicht auch. Ich spiele gern mit Humor und Ironie. Die Welt steht immer kurz vor dem Zusammenbruch. Es ist nicht die Rolle des Künstlers, die Welt zu verändern. Ich habe versucht, lächelnd zu singen, die Leute musikalisch in die Arme zu nehmen.

Wie viel Autobiografisches steckt in Ihren Liedern?

Ich komponiere die Musik. Die französischen Texte schreibt Philippe Djian, die deutschen Martin Suter. Natürlich suche ich aus, was zu mir passt. Ich muss es ja dann Hunderte Male singen. Philippe hat wunderschöne Liebeslieder geschrieben, «Tu ne me dois rien», «Pas d’ami (comme toi)». Oder jetzt «Toute la place!», wo der Typ sagt: «Chum, Schatz, chum i mis Läbe. Schau, ich räume alles aus, damit du Platz hast.»

Melden Sie Themenwünsche an, wenn ein neues Projekt ansteht?

Bei Martin Suter gibt es das. Er ist ein fantastischer Poet, seine Texte sind durchdacht. Ich weiss nicht, ob er es machen würde, aber ich sänge gern ein Lied über diese eine Zigarette. Wenn einer feststellt: Alle Ziele sind erreicht, er hat es geschafft. In seiner Glückseligkeit sagt er sich – obwohl er schon lange nicht mehr raucht: «So, jetzt eine Zigarette!», mit einem glückseligen Lächeln.

<p>Stephan Eicher hat zu vielen Themen eine klare Haltung – aber nicht das Bedürfnis, diese partout immer und überall vor sich herzutragen.</p>

Stephan Eicher hat zu vielen Themen eine klare Haltung – aber nicht das Bedürfnis, diese partout immer und überall vor sich herzutragen.

Geri Born

Wann haben Sie das Rauchen aufgegeben?

Vor acht Kilos. Heutzutage raucht man nicht mehr, isst keine Kühe mehr. Ich möchte herausfinden, in dieser Zeit, in der ein gesunder Lebensstil das höchste Gut ist, ob ich so ein Lied bringen kann. Keine Ahnung, ob es im Radio gespielt würde.

Warum hat es auf dem Album nur ein neues Lied auf Schweizerdeutsch?

«Bliib no chli», nur eines, das ist vielleicht eine Überraschung – und es kommt fast am Ende. Das könnte ja heissen, dass danach noch etwas kommt, das weitergeht mit dem Schweizerdeutsch.

Ist das ein Versprechen?

Oh, versprechen ist schwierig in meinem Alter! Man weiss ja nie, ob da noch ein Meteorit herumfliegt. Im Moment ist es relativ ruhig. Ja gut, Trump schreit halt rum. Der macht das clever: Wenn er etwas will, reisst er einfach eine Tür auf und schreit hinein: «Ich will jetzt Grönland!» Tür zu. Wow! Total unanständig. Das macht er auch bei Themen, über die man lange diskutieren müsste. Dafür lässt er uns keine Zeit. Und es funktioniert. Dass er Grönland will, macht mir schon etwas Angst. Dort hat es ja nicht nur Bodenschätze, bald wachsen wohl auch Palmen.

Plant Trump auf Grönland eine Art Reduit wegen des Klimakollapses?

Ich glaube, die Elite wird sich dort einnisten. Der da, der auf den Mars will, hat sich sicher schon ein paar Quadratmeter gesichert. Neuseeland wäre auch noch geeignet. Oder Chile. Die vielen Gletscher dort würden viel Wasser liefern, das man dann profitabel verkaufen kann.

Was ist klüger: ducken und aussitzen oder aufstehen und riskieren, dass man plattgewalzt wird?

Meine Mutter hat mich dazu erzogen, ziemlich mutig zu sagen, was man denkt und spürt. In den sozialen Medien passiert aber Unangenehmes. Da haben Leute eine Meinung, die aus fünf Wörtern besteht – und wollen nicht weiter diskutieren. Dass der Populismus überall so gross wurde, erschüttert mich. Dennoch verstehe ich nicht, dass man Diskussionen einfach abwürgt und gewissen Leuten das Gespräch verweigert. Ich möchte, mit wenigen Ausnahmen, mit allen Menschen reden. Tatsächlich habe ich aber eine Schere im Kopf, ich sage meine Meinung eigentlich schon lange nicht mehr. Jedenfalls nicht immer, überall und zu jedem Thema.

Haben Sie mal einen Shitstorm ausgelöst?

Nur in der Familie. Ich bin nicht sicher, ob ich immer genug weiss, um eine klare Haltung einzunehmen. Gibt es ein «Team Mensch», das Themen nicht mit Ideologie, sondern mit Vernunft angeht? Wenn ja, möchte ich Team Mensch sein.

Wie halten Sie es mit sozialen Medien?

Ein Smartphone ist bequem. Damit könnte ich ein perfektes Album aufnehmen – viele machen das ja auch. Das Gerät liefert sofort Vorschläge, wie die Musik besser funktionieren würde bei den Streaming-Diensten. Ich bin nicht davor gefeit, habe auch ein Smartphone und Playlists. Ich sollte den Tag nicht mit Whatsapp beginnen. Und beenden, indem ich mich durch ägyptische Pyramiden, den Dollarverfall sowie Fotos unserer Bundespräsidentin mit einem Bernhardiner nach einem unglücklichen Telefonat scrolle.

Die nächste Generation wächst damit auf.

Im Tram ist mir aufgefallen, dass kleine Kinder offenbar eine neue Art von Schreien entwickelt haben. Wenn man ihnen das Handy wegnimmt, schreien sie in einer sehr hohen Frequenz, so hoch, dass fast nur noch Hunde sie hören. Gibt man ihnen das Handy zurück, sind sie wieder still.

<p>In der Bibliothek des Hotels Marktgasse in Zürich komponierte Eicher unter anderem seinen neuen Song «Au secours».</p>

In der Bibliothek des Hotels Marktgasse in Zürich komponierte Eicher unter anderem seinen neuen Song «Au secours».

Geri Born

Welche Ihrer Lieder können Sie nicht mehr hören?

Es gab Momente, in denen ich beim Grenzübertritt dachte: «Wenn jetzt wieder ein Zöllner anfängt, ‹Combien de temps› zu pfeifen, während er meinen Pass anschaut …» Andererseits ist es schön, wenn Leute meine Lieder pfeifen.

Eicher geht immer?

Das wäre ein schöner Titel für dieses Interview, aber ich sollte so etwas nicht sagen, ich bin aus Münchenbuchsee, da ist man zurückhaltend.

Ihre Entwicklung als Künstler kann man nachverfolgen. Wie haben Sie sich als Mensch entwickelt?

Mir geht es gut. Ich habe das beste Leben und bin dafür sehr, sehr dankbar, der glücklichste Frosch in diesem Teich. Das gäbe auch eine schöne Überschrift: Ich bin der glücklichste Frosch – küsst mich! Vor allem zwei Dinge sind wichtig. Eben Dankbarkeit. Die leuchtet wie ein warmes Lämpchen nahe bei meinem Herzen, wenn man auch schwierigere Momente überstanden hat.

Und das Zweite?

Vertrauen zu schenken. Das Vertrackte ist nur, dass man zuerst jemandem vertrauen muss, bevor man weiss, ob man ihm vertrauen kann. Das ist ein Risiko. Ich würde sagen, von zehnmal wird man zweimal enttäuscht. Also achtmal nicht, wow! Das ist mathematisch eine akzeptable Rechnung. Das lohnt sich.

Hat sich auch Ihre Stimme verändert?

Ja, als ich aufhörte zu rauchen, verlor sie an Qualität, ich habe weniger Bässe. Ehrlich, vorher klang ich schon ein bisschen sexyer. Ich glaube, ich bin ohne die Stimulanz des Nikotins auch etwas dümmer geworden. Zum Glück singe ich viel, dadurch habe ich mir eine gewisse Elastizität der Stimmbänder, der Muskeln bewahrt. Auf der emotionalen Ebene kann ich mich vielleicht sogar ein bisschen besser ausdrücken. Und ich singe etwas melodiöser.

Das ist ... Stephan Eicher

Der Berner gilt als Grandseigneur des europäischen Chansons. 1983 erschien sein erstes Soloalbum, «Les chansons bleues». Damit begann seine beispiellose internationale Karriere. Stephan Eicher hat zwei erwachsene Söhne, eine Enkeltochter und lebt in Genf.

Leben Sie noch im warmen Südfrankreich?

Nein, die Kinder sind gross, wir brauchen kein Haus mehr und sind nach Genf gezogen. Ich bin dort angemeldet, zahle Steuern und Krankenkasse. Die politische Situation in Frankreich ist im Moment nicht sehr gesund. Ich bin ein Verfechter der direkten Demokratie. Das hat mir in all den Jahren in Frankreich gefehlt.

Ihr ältester Sohn Carlo ist 41 – sind Sie Grossvater?

Ich bin stolzer «Ätti» eines «Meitschis», seit bald zehn Jahren. Es war gewöhnungsbedürftig, «Ätti» gerufen zu werden. Der Grossvater im Bernbiet ist halt der «Ätti», und mein Sohn und seine wunderbare Frau, die auch Berner Wurzeln hat, hatten mich ja gefragt, wie ich gerufen werden wolle. «Ätti» war eine mutige Entscheidung! Aber Grossvater zu sein, ist einfach grossartig!

Dennoch klagen Sie im Song «Cheveux blancs» über weisse Haare, die da seien «wie eine Wunde, die nicht verheilt»?

Die meisten Menschen, die ich treffe, möchten lange leben. Jedenfalls lieber als kurz. Nur, dann kommt man einfach nicht um das Älterwerden herum. Ich habe gelernt, mich nur über Dinge aufzuregen, die ich ändern kann. Dinge, die ich nicht ändern kann, akzeptiere ich. Mein ehemaliger Manager Martin Hess hat mal den gescheiten Satz gesagt, man solle sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Seine nie endende Aufgabe bleibt die gleiche. Aber während er immer wieder von Neuem die Kugel den Berg hochrollt, ist er glücklich.

Sie wurden im August 65 und haben nun Anrecht auf die AHV.

Die bekomme ich später. Von der AHV könnte ich in der Schweiz nicht leben. Ich muss arbeiten. Darum habe ich gesagt, lasst mich in Ruhe, ich habe noch zu tun. Ich bin ein Künstler, der ein Publikum hat. Und mir geht es verdammt gut damit. Ich bin glücklich mit dieser Arbeit.

Von Ruth Brüderlin am 21. Dezember 2025 - 06:00 Uhr