Vorsichtig öffnet Lara Stoll die Haustür und steckt ihren Kopf durch den engen Spalt. «Ja sali, häsch du pfuuset?», fragt sie liebevoll und mit kindlicher Stimme, ehe sie ihr neues Zuhause in Zürich Wiedikon betritt. Seit fünf Monaten wohnt sie hier mit Kater Flan, der tiefenentspannt und unbeeindruckt zu ihr hinüberblickt. Erst als er das Rascheln der «Guuteli» hört, eilt er herbei und windet sich um die Beine der 38-Jährigen.

Seit dem Umzug von Winterthur nach Zürich hat Kater Flan endlich Auslauf.
Joseph Khakshouri«Die Strapazen der Wohnungssuche haben sich ausgezahlt. Hier fühle ich mich endlich wohl, und der Kleine kann die Aussenwelt erkunden», sagt die Künstlerin und deutet ihre schier endlose Odyssee an. Zahlreiche Wohnungsbewerbungen, überfüllte Besichtigungen, immer dieselben Absagen gingen ihrem Wohnglück voraus. Einmal stand sie mit unzähligen Menschen über eine Stunde in der Schlange, um sich eine bezahlbare Zwei-Zimmer-Bleibe anschauen zu können. Als ironischen Beitrag zur Wohnungsnot veröffentlichte Stoll damals ein Video auf Social Media, das über die Landesgrenzen hinaus viral ging. Witzig, findet sie – bis zu dem Moment, als ihr Instagram-Post von der deutschen Partei CDU für deren Migrationspropaganda missbraucht wird. «Ich war entsetzt, wie skrupellos Lügen und Falschinformationen verbreitet wurden», sagt sie rückblickend. «Es wurden Ausländerinnen und Ausländer für die Umstände verantwortlich gemacht, dabei stand ich primär mit Schweizerinnen und Schweizern an.»
Humor, Haltung und Handwerk
Groll über solche Erlebnisse trägt die 2021 mit dem Salzburger Stier ausgezeichnete Komikerin und Slam-Poetin nicht lange in sich. Im Gegenteil: Sie schöpft Inspiration daraus. «Wenn mich etwas nervt oder ärgert, schreibe ich es auf. Danach ist es raus, und ich bin wieder ruhig.» Diese Fähigkeit, Wut in Witz zu verwandeln, ist in den bald 20 Jahren, in denen sie auf der Bühne steht, zum Markenzeichen geworden. So ist ihr aktuelles Programm «Volume 5» eine virtuose Mischung aus vielen kleinen Anekdoten und witzigen Vorkommnissen in ihrem Künstlerinnenleben, ausgedrückt in Form von Poesie, Musik und Performance – laut, scharf, eigenwillig. «Ich liebe trockenen Humor, und privat mag ich auch Slapstick», sagt sie und erklärt: «Ehrlichkeit kann Spannung auflösen. Vor allem, wenn man Unerwartetes ausspricht.» Gleichzeitig zieht die Thurgauerin klare Grenzen: «Über Minderheiten mache ich keine Witze, und stereotype Sprüche finde ich einfach zu langweilig.»

Mit dem Umzug hat die Thurgauerin das Chaos aus der Wohnung in den Keller verbannt – doch ihren Salzburger Stier von 2021 findet sie mühelos.
Joseph KhakshouriDisziplin und Kontrolle gehören ebenfalls zu ihrem Werkzeug. «Ich bin ein absoluter Kontrollfreak», gibt Lara Stoll zu. «Je sicherer ich auf der Bühne bin, desto mehr kann ich improvisieren und überraschen. Ich will, dass niemand weiss, was als Nächstes kommt.» Ihre Arbeit verlangt ihr viel ab, gibt ihr aber auch Energie. «Reich werde ich nicht, aber ich kann gut davon leben», verrät sie. Geld ist nicht ihr Ansporn: Lukrative Firmenauftritte lehnt sie bewusst ab, um kreativ und unabhängig zu bleiben. «Ich spiele ein- bis zweimal pro Woche mein Soloprogramm, schreibe Drehbücher, mache Musik. Wenn in einem Bereich nichts läuft, arbeite ich im anderen weiter.» Diese Vielseitigkeit ist Rezept gegen kreative Durststrecken, aber auch Sicherheit in einem schwierigen Berufsstand.
Veränderung als Katzenmama
Privat bevorzugt Lara Stoll Ruhe. Auch lebt sie in vielerlei Hinsicht bewusster und entschiedener. «Ich sage oftmals Nein und konzentriere mich auf das, was mir wichtig ist.» Dazu gehört unter anderem ihre Beziehung. Seit eineinhalb Jahren ist sie mit einem IT-Unternehmer zusammen, mit Alexis. «Er ist spezialisiert auf Datenschutz und hält sich deshalb aus der Öffentlichkeit», erklärt sie. Dass sie beim Umzug nicht nach einer gemeinsamen Wohnung gesucht haben, sei ein bewusster Entscheid gewesen: «Getrennt zu leben, funktioniert für uns im Moment perfekt. Wir brauchen beide viel Raum. Da wir aber flexibel arbeiten können, sehen wir uns oft.» In solchen Momenten werde regelmässig gemeinsam gekocht. Stolls Spezialität: Ragù. Derzeit versucht sie, ihre fleischlose Variante zu perfektionieren. Seitdem sie Katzenmama ist, lebt sie nämlich vegetarisch. «Flan hat mir die Augen geöffnet. Es ist absurd für mich, ein Tier daheim zu haben, dieses unendlich fest zu lieben und gleichzeitig andere Tiere zu essen. Zudem hatte ich den Wert des Fleisches nicht mehr vor Augen.»

Lara Stoll will sich vermehrt als Drehbuchautorin betätigen und liest Sachbücher, um sich weiterzuentwickeln.
Joseph KhakshouriAlles darf so bleiben
Klarheit im Leben ist Lara Stoll allgemein ziemlich wichtig, nur in die Zukunft lässt sie sich gern treiben. «Im Moment steht fest: Ich möchte weiter schreiben, vielleicht eine TV-Serie, mehr schauspielern. Alles andere ist eher ungewiss», sagt sie. «Schön wäre irgendwann auch ein Häuschen mit Garten – aber kein Luxus. Es wird so kommen, wie es muss.» Kinder oder Hochzeit? «Sind kein Thema. Ich finde es schön, dass ich es nicht weiss. Das Leben darf sich entwickeln.»
Flan hat sich währenddessen auf einem Stuhl im Esszimmer zusammengerollt. Draussen färbt sich der Himmel golden, das letzte Tageslicht fällt durch die grossen Fenster. Stoll bleibt im Türrahmen stehen, schaut auf ihren Kater und sagt ruhig: «So darf es jetzt einfach weitergehen.»

