Obwohl er mit Farben und Pinseln aufgewachsen ist, entdeckt Jürg Halter (44) die Arbeitsutensilien seines Vaters erst spät für sich – und beginnt zu malen. Halters Vater Martin (77) führt in Bern eine der ältesten Glasmaler-Familientraditionen in der dritten Generation. Sein Sohn Jürg aber mischte nach seinem Fine-Arts-Studium an der Hochschule der Künste in Bern erst die internationale Spoken-Word-Szene auf, machte sich dann als Mundart-Rapper Kutti MC einen Namen – und verschaffte sich schliesslich auch als Schriftsteller und Dichter Beachtung.
Jetzt malt Halter. Auch noch. Sieht er sich als Universalkünstler? «Das wäre ein bisschen übertrieben», sagt er, weil im Tanz habe er sich noch nicht ausprobiert, meint er augenzwinkernd. Universalsprachkünstler, das trifft es eher. «Mein Medium ist die Sprache.» Eins seiner Vorbilder sei die 1985 in Basel verstorbene Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim, die Gedichte schrieb, Bilder malte und Plastiken und Skulpturen schuf. In dieser Tradition sehe er sich auch, sagt Halter.
Vom Kopf auf die Leinwand
Dass Jürg Halter nun neu auch malt, ist dem geschuldet, dass er eine Idee hatte, «die sich weder in Gedicht- oder Buchform noch als Theaterstück oder Liedtext umsetzen liess». Seine ersten Bilder bestanden aus gemalten Worten, die erste Solo-Ausstellung des Berner Künstlers nannte er denn auch «Fuck Slogans».
Zu den gemalten Worten hat Halter jetzt auch figurative Elemente hinzugefügt. «Es geht mir um die Spannung zwischen Text im Bild und dem Betrachter.» Rund 30 Bilder sind in den letzten Monaten entstanden. Um in aller Ruhe arbeiten zu können, hat er sich in Kehrsatz BE in einem Industriebau ein Atelier eingerichtet, die Staffelei seines Urgrossvaters aufgestellt, zu Farben und Pinseln gegriffen – und seine Ideen auf Leinwände gebracht. Zwölf bis dreizehn Stunden am Stück habe er gemalt.
«Ich brauche solche intensiven Phasen, darf von nichts und niemandem abgelenkt sein und komme so in den nötigen Flow für meine Arbeiten.» Aus Halters Bildern im Kopf wurden Bilder auf Leinwand.
Bilder zum Nachdenken
Seine neusten Werke sind jetzt in der Zürcher Galerie Stephan Witschi zu sehen. «No Resistance» («Kein Widerstand») heisst die Ausstellung. Halter nimmt in den gezeigten Bildern die «zunehmenden gesellschaftspolitischen Spannungen und Widersprüche unserer Gegenwart auf, pointiert und provokant, aber auch poetisch und subtil hinterfragend», verspricht die Einladung der Galerie.
Konnte er bei seiner Arbeit von der Erfahrung seines Vaters als Glasmaler profitieren? «Meine bildnerische Kunst ist etwas, das technisch weder schwierig noch herausfordernd ist.» Wer seine Bilder anschaue, soll in erster Linie zum Nachdenken angeregt werden.
Was Jürg Halter von seinem Vater jedoch gelernt habe, sei die Disziplin, das Dranbleiben – und vor allem: durchzuhalten. Dass er das kann, hat er bereits bewiesen. Seit bald 20 Jahren lebt er von und für die Kunst – singt, schreibt und malt jetzt auch. Er ist ein Künstler. Ein Wort- und Sprachkünstler.