Die «Gilmore Girls»-Fans - zu denen ich selbstredend gehöre - haben sich schon Monate im voraus gefreut. Wie ist es Lorelai und Rory in den vergangenen zehn Jahren ergangen? Wer von den quirligen Stars-Hollow-Figuren ist wieder mit dabei? Seit letztem Freitag kann man seine Neugierde auf Netflix endlich stillen. Doch die Vorfreude wird durch bittere Enttäuschung abgelöst.
Was mich am meisten stört: Die Gilmore Girls sind gleichgültig geworden. Rory schläft wieder mit ihrem Ex-Freund Logan, der aber verlobt ist. Sie haben ein «Arrangement» für Sex, als würde das den Betrug beschönigen oder rechtfertigen. Rory plagt dabei kein schlechtes Gewissen - ganz im Gegensatz zu der Zeit, als sie mit ihrem Ex-Freund Dean geschlafen hat, obwohl der verheiratet war. Lorelai machte ihr damals die Hölle heiss. Nur schon als Rory in der 2. Staffel Jess küsste, obwohl sie mit Dean zusammen war, kam eine Standpauke der achso moralischen Mutter. Die aktuelle Affäre mit Logan kommentiert sie mit einem «Oh» und einem mitleidigen Blick - zumindest so gut das mit dem Botox-Gesicht möglich ist.
Auch Rorys aktuelle Beziehung zu Paul oder Pete - oder wie auch immer er heisst - passt nicht in die Gilmore-Welt. Paul kommt in der ersten Folge zu Besuch nach Stars Hollow. Und Luke und Lorelai, die den jungen Mann bereits kennen, können sich in keinster Weise an ihn oder ein Gespräch mit ihm erinnern. Auch Rory behandelt in wie ein Stück (entschuldigen Sie die Ausdrucksweise) Scheisse. Sie meldet sich nie bei ihm und vergisst ihn ständig. Wo ist die Rory, die sogar mit Steinen befreundet war? Und wo ist die Lorelai, die ihrer Tochter erklärt, dass man Menschen nicht so schäbig behandelt? Es geht nicht darum, den Moral-Appostel zu spielen. Doch hier werden Individuen, die über sieben Staffeln geschaffen und geschliffen wurden zu zweidimensionalen Figuren gestaucht, die ihre ursprünglichen Werte verraten. Die Szenen sind nicht mal besonders witzig oder originell, sondern einfach nur armselig.
Keine Probleme? Kein Problem!
Die neuen Folgen laufen ganz nach dem Motto «Wo keine Probleme sind, werden welche gemacht». Luke und Lorelai haben am Ende der siebten Staffel endlich zusammengefunden und sind glücklich. Und sie sind es auch nach zehn Jahren noch. Sie sind nicht verheiratet und haben keine Kinder zusammen. Und auch in ihrer Beziehung läuft es rund. Das ist reichlich langweilig für so ein Mega-Comeback. Also müssen künstlich Probleme geschaffen werden. Lorelai unterstellt Luke einen heimlichen Kinderwunsch, den er aber gar nicht hegt. Lorelai will nur ein Baby, weil sie glaubt, dass Luke eins will. Da Lorelai mittlerweile 48 Jahre alt ist, enden sie in einer Klinik für künstliche Befruchtung, die von - der wirklich grossartigen - Paris Geller geführt wird. Am Ende merken sie, was sie eigentlich schon immer wussten: Sie wollen kein Kind. Und die ganze Episode wirkt, als müsste man erst einen guten Grund (Luke hat Angst, er müsse mit einer Leihmutter schlafen) haben, um keine Kinder zu wollen. Eine Serie mit ursprünglich starken Frauenfiguren scheitert hier an einem reaktionären Verständnis von Familie.
Lorelais «Probleme» ziehen sich denn auch durch die anderen drei Folgen. Einmal geht sie mit ihrer Mutter zu einer Therapie, die nicht zu einer einzigen Erkenntnis führt. Dann will sie auf eine Wander-Tour wie im Buch bzw. Film «Wild». Doch Lorelai muss nicht einen Schritt wandern, um zu merken, dass sie Luke nicht verlassen, sondern heiraten will. Eine Erkenntnis, die sie ja schon am Ende der 5. Staffel hatte und die jetzt nochmals - eben mangels wirklicher Probleme - aufgewärmt wird. Die Hochzeit findet dann auch tatsächlich in den letzten zwei Minuten statt.
Wer ist der Vater von Rorys Baby?
Ganz am Schluss kommt aus, dass Rory schwanger ist. Und bevor geklärt werden kann, wer der Erzeuger des ungeborenen Kindes ist, ist der «Gilmore Girls»-Spuk auch schon wieder vorbei. Für viele ist klar: Logan muss der Vater sein. Das wäre durchaus möglich - doch alles andere als logisch. Der bald verheiratete Logan, der aus einer reichen Familie stammt, die auf ihren guten Ruf bedacht ist, hat kaum Interesse an einem unehelichen Kind, Verhütung dürfte ihm daher sehr wichtig sein. Ausserdem weiss man aus den vorangehenden Staffeln, dass Rory Verhütung gerne in die eigne Hand nimmt. Es ist also doppelt sicher. Auch Paul kommt nicht infrage. Erstens sieht sie den Mann kaum und zweitens will sie ständig mit ihm Schluss machen. Ein Kind als Krönung dieser nicht existierenden Liebe? Wohl kaum. Bleibt noch der Wookie. Ja, der Wookie. Rory hat in Folge 2 einen One-Night-Stand mit einem Unbekannten in einem «Star Wars»-Kostüm. Und zwar ziemlich betrunken. Dass man da die Verhütung vergisst, ist weitaus wahrscheinlicher. So oder so schreit das Ende nach einem Rory-Spin-Off: Sie bekommt das Baby, zieht es als Single-Mom gross und Jess, der ja ganz offensichtlich noch etwas für Rory empfindet, hilft ihr. Der Kreis des Lebens wäre geschlossen.
«Gilmore Girls - A Year in the Life» hat natürlich auch ein paar gute Momente. Die Art und Weise, wie mit dem Tod von Edward Hermann, †71, der den Grossvater Richard Gilmore spielte, umgegangen wird, ist gelungen. Emily Gilmores Trauer wirkt echt: Die toughe Frau ist dünn und zerbrechlich geworden, sie durchläuft die verschiedenen Phasen der Trauer aber ohne ihren Biss zu verlieren. Bei der Szene, in der Lorelai endlich die von Emily gewünschte Anekdote über Richard erzählt, schiessen die Tränen nicht nur hartgesottenen Fans in die Augen. Zumindest hier gibt es ein versöhnliches und befriedigendes Ende.
Die vier Folgen zehren von den wenigen witzigen Momenten* und Details: Luke hat endlich ein WiFi in seinem Cafe - doch er gibt den Kunden ständig falsche Passwörter. Ausserdem hat er sein «No-Cell-Phone»-Schild erweitert. Man darf im Luke's Diner keine Fotos von Essen machen, keine Kopfhörer tragen und Luke hasst offenbar Hipster, den Man-Buns sind nicht erlaubt.
Mein Fazit: Für sechs Stunden kam ein bisschen Stars-Hollow-Flair zurück. Das Wiedersehen mit all den Figuren war nett, mehr aber auch nicht. Die ersten drei Folgen waren streckenweise ziemlich dröge. In der letzten Folge flammte dann zum ersten Mal das altbekannte und lang vermisste Drama auf, die Gefühle, die Sehnsucht. Sie hätte Potenzial als erste Folge gehabt. Doch der Schluss - und vor allem das Wissen darüber, dass es nicht weiter geht, war wie eine Ohrfeige.
*Die witzigste Szene des ganzen Revivals folgt nach dem Gespräch zwischen Rory und Jess: