Von Davos bis Tokio: Alain Berset, 46, war vergangenes Jahr fast ständig auf Achse im Dienst der Schweiz. Auf Instagram teilte er seine persönlichen Eindrücke. Hier sagt er, was ihn 2018 am meisten bewegt, geärgert und gefreut hat.
Galerie: Alain Bersets Jahr in Bildern
Herr Bundesrat, haben Sie 2018 als Bundespräsident etwas zum ersten Mal gemacht?
Ich hatte die Gelegenheit, drei Flüchtlingslager zu besuchen. Im Februar war ich im Rohingya-Lager in Bangladesch. Das war ein sehr beeindruckender Moment.
Ihr persönlicher Sieg 2018?
Als Mitglied des Bundesrats kann ich nie von einem persönlichen Sieg sprechen. Aber ich habe tatsächlich eine Auszeichnung erhalten, die mich sehr berührt hat: Der Schweizerische Gehörlosenbund hat «Alain Berset» zur Gebärde des Jahres gekürt. Kennen Sie sie? Das Handzeichen bezieht sich auf meine Frisur (Berset zieht mit Daumen und Zeigfinger ein Band um seinen Kopf). Im Gegenzug habe ich dem Gehörlosenbund in Gebärdensprache gedankt.
Ihre grösste Niederlage?
Für eine Niederlage halte ich das 2:2-Unentschieden im Töggelen gegen den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch in Freiburg letzten April. Nein, ernsthaft: Jedes Mitglied des Bundesrats ist Teil des Kollegiums, wir entscheiden gemeinsam.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Die zusätzliche Arbeitsbelastung als Bundespräsident. Trotz meiner sechs Jahre im Bundesrat habe ich das ehrlich gesagt nicht erwartet. Aber es war ein sehr schönes Jahr – und man weiss genau, wann es aufhört.
Hat Sie dieses Engagement nicht auch frustriert?
Gar nicht, die verschiedenen Rollen und die Überbelastung haben auch Spass gemacht. Ich tat das, was meiner Meinung nach getan werden musste.
Wo hats Ihnen am besten gefallen?
Der Spaziergang mit den Leserinnen und Lesern der Schweizer Illustrierten am 31. Juli ist mir in Erinnerung geblieben. Vor allem der wunderschöne Abstieg im Breccatal zum Schwarzsee, der in ein fantastisches Licht getaucht war.
Wie fassen Sie das vergangene Jahr zusammen?
2018 hat mich daran erinnert, dass der Kampf gegen Gleichgültigkeit und für Gleichheit ein Schlüsselfaktor für die Schweiz ist. Menschliche Kontakte sind das Herzstück dieser Gesellschaft. Ich habe starke Verbindungen zu meiner Gemeinde Belfaux im Freiburgischen. Diese Verankerung ist extrem wichtig.
Was haben Sie 2018 am meisten vermisst?
Zeit. Zeit für meine Familie und für Freunde, Zeit für mich.
Und was hat Sie glücklich gemacht?
Momente des Austauschs. Etwa am Comic-Festival Belfaux, wo die Feier bis in die Nacht hinein dauerte. Diese Augenblicke, in denen man einfach ein Bier und ein Gespräch teilt, sind unerlässlich.
Das heisst, als Politiker muss man Menschen lieben?
Auf jeden Fall. Gleichzeitig muss man bereit sein, zu widersprechen und eine Debatte zu leiten – allerdings habe ich nie so viel Energie wie in Debatten. Dieses Jahr war ich wirklich beeindruckt von der Unterstützung, die ich erfahren durfte. Am Filmfestival in Locarno hat jemand meinen Kaffee bezahlt und eine Notiz hinterlassen: «Danke für Ihre Arbeit.»
Ihre Herzensanliegen?
Sehr aktuelle, die uns alle betreffen: die Realität des Klimawandels. Wie gerade veröffentlichte Berichte zeigen, gehören die Schweiz und ihre Gletscher wahrscheinlich zu den ersten Opfern.
Und welche anderen Probleme blieben dieses Jahr ungelöst?
Ich würde nicht sagen, völlig ungelöst ... aber trotz den immensen Anstrengungen bleiben die Gesundheitskosten zu hoch und die Ergebnisse zu wenig sichtbar.
Frustriert Sie das?
Es ist eher eine Sorge, die mich dazu bringt, zu kämpfen und mich engagieren zu wollen.
Was wünschen Sie sich für die Schweiz im Jahr 2019?
Gleichgewicht, Gleichheit, Offenheit gegenüber der Welt. Und dass die Menschen glücklich sind. Das ist es doch, was zählt.
Und was wünschen Sie dem Bundesrat?
So ziemlich .... nein – genau das Gleiche!