«Doris und ich sind wie gute Freundinnen.» Ruth Leuthard, 86, steht in der Küche ihres Hauses in Merenschwand AG und zeigt auf die Liegenschaft nebenan. Dort ist Doris Leuthard mit ihrem Mann daheim. Während der Woche lebt die Bundesrätin in Bern.
«An den Wochenenden winke ich ihr durchs Küchenfenster. Dann höckeln wir in meiner Stube zum Kafi zusammen und plaudern.» Über Politik? «Nein! Ausser ich habe Doris am Vorabend in der ‹Arena› gesehen. Hier daheim will sie abschalten. Wir reden über das Neueste aus dem Dorf und über die Setzlinge, die sie mir mitgebracht hat.»
«Ich hatte Angst, dass sie einmal zusammensackt»
In letzter Zeit sei Doris angespannt gewesen, habe erst ein wenig aufgeräumt, bevor sie sich an den Stubentisch setzte. Dort vertraute sie ihrer Mutter an, dass sie nicht mehr ganz so gut abschalten, nicht mehr ganz so gut schlafen kann – die Arbeit als Bundesrätin werde immer aufreibender. «Ich hatte Angst, dass sie einmal zusammensackt», erzählt ihre Mutter.
Doch die Tochter sagte immer, sie sei stark: «Mami, du brauchst keine Angst um mich zu haben!» Gut, habe Doris nun auf sich selber gehört und entschieden, aufzuhören. Das sei ein Geschenk für sie und die ganze Familie.
Leuthards Rücktritt war zu Weihnachten ein Thema
Der Rücktritt als Bundesrätin: Auch bei der Weihnachtsfeier 2017 im Kreis der Familie ist das ein Thema gewesen. Alle waren ins Elternhaus gekommen zu Mutter Ruth: Doris, 55, mit Gatte Roland Hausin, 57, und ihre jüngeren Brüder Fabian, Maurus sowie Thomas; Vater Leonz ist 2016 verstorben. Er werde immer wieder darauf angesprochen, wann sie zurücktrete, sagte der gleich nebenan wohnende Fabian zu seiner Schwester. Das stehe noch nicht fest, antwortete Doris. Und wenn ihr Entscheid feststehe, sei es sowieso besser, die Familie wisse nichts davon.
Als die Bundesrätin ihren Rücktritt per Ende Jahr bekannt gibt, erfährt die Mutter dies erst ein paar Minuten später am Telefon vom Journalisten der «Schweizer Illustrierten». Sie ist gerade am Bügeln der Blusen und Jupes, die Tochter Doris im Amt trägt.
Ihre Roben hat die Magistratin jeweils am Freitagabend im Gepäck, wenn ihr Chauffeur sie heim nach Merenschwand fährt; montags um 5.40 Uhr steht der Dienstwagen dann wieder vor dem Haus. Mami Leuthard: «Ich bügle Doris’ Kleider von Herzen gern. Es ist ein Genuss, die feinen Stoffe in den Händen zu halten. Mit ihr hat die Schweizer Textilindustrie eine elegante Botschafterin.»
Auf Auslandsreisen denkt die Bundesrätin an ihre Mama
Im Übrigen bringe ihre Tochter nicht nur Sachen zum Bügeln nach Hause. «Von jeder Auslandsreise hat sie ein Geschenk für mich dabei, eine Creme, einen Lippenstift.» Und vom Berner Märit bringe sie oft ein Stück Fleisch oder ein paar Setzlinge mit. Letztere pflanzen die beiden Frauen dann samstags im Garten. Jäten, Hecken schneiden, aussäen: «Doris gärtnert gern, das bringt sie auf andere Gedanken. Ihr Mann pflegt den Rasen.»
Ich bete jeden Morgen und jeden Abend für sie, in letzter Zeit ein bisschen mehr
Die Mutter ist ihrer Tochter dankbar. «Sie hat sich immer Zeit genommen für mich und meinen Mann, auch im grössten Stress.» Vor Kurzem war Ruth Leuthard mit Doris und ihrem Mann für ein paar Tage im Tessin in deren Ferienhaus in Gambarogno. Daheim in Merenschwand gönnen sich die zwei Freundinnen ab und zu ein Erdbeertörtli im Restaurant Huwyler. «Doris ist ein grossartiger Mensch! Ich bete jeden Morgen und jeden Abend für sie, in letzter Zeit ein bisschen mehr.»
In Bundesbern schätzt man die gute Beziehung
Ist Ruth Leuthard krank, kommen Anrufe aus Bundesbern mit der Bitte: «Schauen Sie, dass Sie am Wochenende wieder gesund sind! Doris braucht Sie!» Mutter Leuthard sagt, Doris sei eine Einfache. Die ehemalige Wirtin im «Zum wilden Mann» in Sarmenstorf AG: «Ich habe ihr immer gesagt: Brauch keine Fremdwörter! Doris ist sich treu geblieben. Das schätzen die Leute.»
Stolz ist sie, die Mutter! Immer wieder haben Menschen sie angerufen, mitunter wildfremde. Und baten sie: «Sagen Sie Ihrer Tochter, sie soll weitermachen!» Und nun, nach dem angekündigten Rücktritt, wird Ruth Leuthard im Dorf auf Schritt und Tritt begrüsst mit: «Schade! Die Schweiz verliert eine grossartige Politikerin.»
«Sie ist unsere Doris geblieben»
Merenschwands Dorfchronist Bruno Käppeli, 80, über die berühmteste Einheimische: «Sie ist unsere Doris geblieben. Wenn sie im hiesigen Volg einkauft, hat sie mit allen Zeit für einen Schwatz.» Adrian Meier, Präsident des örtlichen Turnvereins, kann sich gut vorstellen, «dass Doris wieder am Turnerabend-Buffet mithelfen wird».
Sportlich ist Doris Leuthard noch heute: Mitarbeiterinnen ihres Departments schenkten ihr einen Gutschein für eine Pilates-Probelektion. Seither geht sie regelmässig ins Training.
Die Augen der Mutter funkeln. «Hier, das sind wunderschöne Erinnerungen!» Ein Dutzend Fotobücher liegen auf ihrem Stubentisch: Dokumente besonderer Auslandsreisen von Bundesrätin Leuthard. Zum Beispiel die in den Vatikan. Als Bundespräsidentin bekam Doris Leuthard 2017 eine Privataudienz bei Papst Franziskus. Sie nahm ihre Mutter mit.
Noch heute schwärmt sie: «Mit der Staatskarosse konnten wir immer bei Rot durch.» Als strenggläubige Katholikin wünschte sie dem Papst gute Gesundheit und Kraft. Er sagte ihr: «Sie können stolz sein auf Ihre Tochter!»
Ruth Leuthard lacht. Die Fotobücher habe Doris ihr «nur» ausgeliehen – damit die Mutter und Gäste sie anschauen können. Ihr selber bliebe dafür momentan keine Zeit. Bei ihrer Rücktritts-Ankündigung kämpfte die Bundesrätin mit den Tränen: «Mein Mann, meine Mutter und meine Brüder sind zu kurz gekommen während all der Jahre.»
Die Zukunft hält viele Angebote für sie bereit
Im Januar will die Vollblut-Politikerin erst einmal ausgiebig Ferien machen. Ruth Leuthard sagt, dann habe Doris endlich Zeit, richtig auszuspannen. «Und die wunderschönen Fotobücher anzuschauen.» Doch privatisieren wird Doris Leuthard nicht. «Nähme sie alle Angebote an, hätte sie bald wieder keine freie Zeit mehr.» Ihre Mutter freut sich sehr: «Bald ist Doris wieder mehr daheim.»