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Mit der Miss Schweiz auf abenteuerlicher Reise

Lauriane Sallin fährt im Lastwagen nach Marokko

Übermut und 400 PS, mehr braucht Lauriane Sallin nicht, um eine verrückte Idee in die Tat umzusetzen. Am Steuer eines Lastwagens trägt die Miss Schweiz ihren Teil dazu bei, Kinderleben zu retten. Die «Schweizer Illustrierte» ist hautnah dabei.

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Lauriane Sallin Miss Suisse auf Facebook über Herkunft ohne Schwester und Kontakt auf Insta

Lauriane Sallin hat den Lastwagen-Führerschein der Kategorie C seit drei Monaten.

Nicolas Righetti

Schweizer Schoggi als Bestechung

Dem Ziel so nah, und jetzt geht gar nichts mehr. Lauriane Sallin (29) setzt den Blinker, reiht ihren 18-Tönner in die Warteschlange, stellt Licht und Motor aus und bleibt im Dunkeln am Steuer sitzen. Es ist vier Uhr früh. 2171 Kilometer Autobahn liegen hinter ihr. Ein Sturm hat ihren Zeitplan über den Haufen gefegt, 18 Stunden musste sie im südspanischen Algeciras auf die Fähre warten. Und jetzt, wo sie trotz drei Meter hohen Wellen endlich das marokkanische Festland erreicht hat, bläst der Gegenwind erst richtig los: Die Zolldokumente seien unvollständig! Der LKW steckt in der Entladezone fest. Vier Fahrstunden vom Ziel entfernt! Lauriane atmet tief durch und schliesst die Augen. «Das ist meine Stärke. Je grösser die Probleme, desto ruhiger werde ich.»

Vier Tage zuvor ist sie noch aufgeregt. Die Miss Schweiz will medizinisches Material nach Marokko transportieren. Guten Mutes, mit roten Lippen und von Medienrummel begleitet, startet sie ihre Reise in Chavornay VD. Das Lastwagen-Permis der Kategorie C trägt sie erst seit drei Monaten im Portemonnaie. Aber mit ihrem Fahrlehrer Emerick Wicki, 51, hat sie einen erfahrenen Begleiter gewonnen. «Was für ein Glück! Wir interessieren uns beide für die Antike», sagt die angehende Archäologin. «Uns wird der Gesprächsstoff nicht ausgehen.» Abenteuerlustig packen die beiden einen Sack voller Snacks in die Fahrerkabine, obendrauf eine Monsterpackung Schweizer Schoggi. «Bestechung», sagt Lauriane lachend. Ein Omen?

 
 
Lauriane Sallin Miss Suisse auf Facebook über Herkunft ohne Schwester und Kontakt auf Insta

Teamwork: Im Zweistundentakt wechseln sich Laurian und ihr früherer LKW-Fahrlerer Emerick Wicki am Steuer ihres Lastwagens ab.

Nicolas Righetti

Eine Wein-Idee

Die Idee ist verrückt und natürlich bei einem Glas Wein entstanden. Im Sommer 2016, als Lauriane den Aufbau eines Kinderherzzentrums der Hilfsorganisationen Terre des hommes und Corelina in der marokkanischen Hauptstadt Rabat besichtigt, erfährt sie durch die Berner Ärzte vor Ort, welche Hürden beim Transport von dringend benötigtem Material zu bewältigen sind. «Eigentlich wäre es am einfachsten, jemand könnte das Zeug im Lastwagen hierherkutschieren», meint beim Abendessen Prof. Alexander Kadner, Leiter der Kinderherzchirurgie des Inselspitals. Nur: Niemand im Team hat den C-Führerschein, geschweige denn Zeit, ihn zu machen. «Doch, ich!», bringt Lauriane sich ein.

Seit vier Tagen ist die Neu-Chauffeurin nun unterwegs. Jede Romantik vom Fernfahrerleben ist vom Winde verweht. «Ich stinke», sagt Lauriane lachend. Zuletzt geduscht hat sie bei ihrer Tante, die sie vor zwei Tagen in Andalusien besuchte. Die letzte Mahlzeit, ein Kebab am spanischen Hafen, liegt zwölf Stunden zurück und hat Flecken auf ihrem Jupe hinterlassen. Die Haare sind zerzaust, weil sie die Fährenüberfahrt an Deck genossen hat. «Was für eine Freude, ich habe noch nie so ein verrücktes Meer gesehen!»

Auch das letzte Nickerchen ist 24 Stunden her. Es ist fünf Uhr morgens. Bis ein Büro öffnet, das ihr mit den fehlenden Papieren weiterhelfen kann, werden noch Stunden vergehen. Und obs dann klappt? Bereits in Algeciras hat ihr ein Hafenarbeiter gegen die Gebühr von 400 Euro Transfer-Dokumente ausgestellt, die nun offenbar nichts taugen. Lauriane macht ein paar Telefonanrufe, kommt jedoch nicht weiter. «Bakshish», schlägt ein Fremder als Lösung vor. Das Schmiergeld betrage «üblicherweise zehn Prozent des Warenwertes». Das aber könnte Lauriane sich gar nicht leisten: Röntgengerät, Spitalbetten und OP-Lampen, die sie geladen hat, kosten neu mehrere Hunderttausend Franken. Alles Spenden, die sie in ihrem Elternhaus in Belfaux FR zusammentelefoniert hat. Wie der Lastwagen, den sie nach ihrer Rückkehr für Corelina verkaufen will.

Daran ist noch nicht zu denken. Während sich Lauriane am Telefon abmüht, winken ihr die anderen Fernfahrer zum Abschied zu. Das junge Mädchen im wehenden grünen Kleid hat sich schon in Spanien zum Liebling der Trucker gemausert. «Am Anfang wurde ich skeptisch gemustert, ich war ja die einzige Frau. Aber das weckte meinen Ehrgeiz.» Unter gespannten Blicken manövrierte sie ihren elf Meter langen und 2,55 Meter breiten Camion auf die drei Meter schmale Schiffsspur. Ruhig und konzentriert. Rückwärts. In einem Zug. Das war um Mitternacht, da haben einige Fernfahrer ihre Wetteinsätze verloren.

Jetzt steht die Sonne hoch. Endlich hat Lauriane Erfolg: Der Schweizer Botschafter in Marokko, Massimo Baggi, zeigt sich beeindruckt vom Projekt: «Es zeigt, wie viel man mit ein wenig Vorstellungskraft erreichen kann!» Er stellt eine Mitarbeiterin ab, die sich um die fehlenden Papiere kümmert. Es vergehen noch einmal 24 Stunden, in denen Lauriane und Emerick die letzten Vorräte aus ihrem Snack-Sack plündern. Als sie sich endlich auf den Weg macht, die letzten Kilometer bis Rabat hinter sich zu bringen, fährt sie prompt eine polizeiliche Ermahnung wegen einer Geschwindigkeitsübertretung ein. Kann passieren, wenn man plötzlich Rückenwind hat!

Sylvie Kempa
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Von Sylvie Kempa am 24. März 2017 - 14:02 Uhr, aktualisiert 4. November 2022 - 13:30 Uhr