Das mit den Komplimenten ist so eine Sache. Eigentlich freuen wir uns darüber, wissen aber oft nicht, wie wir reagieren sollen. Allein auf die Aussage «Schöner Pulli!» folgt meist «Ach, der ist alt», oder «Der fusselt aber», oder «Ist nur von Zara» und reflexartig «Deiner auch». Unausgesprochen bleibt «Scan mich doch bitte nicht so. Oh Gott, warum sagt er/sie das?». Spinnen wir eigentlich? Weil er/sie es genau so meint, vermutlich ...
Den Abwehrmechanismus müssen wir uns dringend abtrainieren
Schliesslich spürt man doch, wenn es der andere ernst meint. Den Pulli hat man gekauft, weil man ihn schön findet. Da liegt es nahe, dass andere ihn ebenso gut finden. Die Wenigsten wollen bloss schleimen. Ausserdem muss man sich weder zur Gegenleistung verpflichtet fühlen, noch ist die Angst begründet, arrogant zu wirken. Warum also nette Worte abwerten und auf eigene Schwächen umlenken? Eigentlich reicht ein «Danke» plus Lächeln.
Komplimente zum Klicken
Wir machen uns klein, irrelevant und unbedeutend. Und das in einer Gesellschaft, in der es nur um Anerkennung geht. Es scheint, als wüssten wir nicht recht, was wir wollen. Ein Lob vom Chef oder der Chefin wünschen wir uns oft vergeblich sehnlichst, Likes jagen wir hinterher wie die Blöden. Und ein Like ist letzten Endes nichts mehr als ein unpersönliches «Gefällt mir», in deren Menge wir uns aber genüsslich suhlen. Stellt euch vor, die Community käme mit ihren echten Körpern auf euch zu und würde mit hörbarer Stimme «Schöner Glow», «Geiles Kleid» oder «Heisses Spiegelselfie» kommentieren – man würde es so sehr hassen, man könnte es niemals handlen. Denkt nur an all die Herzaugen- und Feuer-Emojis! Wie kämen die übersetzt ins Real Life daher …? Hilfe.
Männer, you too!
Und dann kommen da noch die Männer: Deren Komplimente sind oft noch viel schwieriger anzunehmen. «Die Hose sitzt gut» kommt von einem Boy? Ähm, bitte …? Man möchte keinesfalls aufs Äussere reduziert werden. Weil wir viel mehr sind. Das ist natürlich richtig. Aber genauso wie Leistung ist auch ein Look nicht gewöhnlich und muss nicht abgetan werden. Und sind wir mal ganz ehrlich, ganz leicht haben es Männer heutzutage nicht mehr. Spontan rausschleudern, was einem auf der Zunge liegt, funktioniert nicht mehr. Die Autorin dieses Textes zum Beispiel macht den Brüsten und Ausschnitten ihrer Freundinnen gerne Komplimente. Ein Mann kann das kaum, ohne als sexistisch und lüstern zu gelten. Da muss er schon wahnsinnig galant formulieren können. Also: Wir Frauen müssen lernen, zu differenzieren.
Nimmer auf der Hut
Genauso wie wir lernen müssen, die ewige falsche Bescheidenheit abzulegen. Klar, dezente Menschen sind liebenswerter und sympathischer, aber ein schlichtes Lächeln auf einen schwelgenden Lobgesang schadet dem Image nicht. Auch ständige Skepsis ist lästig, die bedarf es dringend zu eliminieren.